Ein schwarzer Freitag für Federer

Die kräfteraubende Aufholjagd im Londoner WM-Halbfinale rächt sich nun für Roger Federer am Davis Cup in Lille: Gegen Gael Monfils reichten seine Kräfte am Freitagabend nicht. Es ist fraglich, ob sich Federer bis Sonntag erholen wird – aber das Wunder von Lille ist noch immer möglich.

Swiss Davis Cup Team captain Severin Luethi, right, speaks to Roger Federer of Switzerland, during second single match of the Davis Cup Final match between France and Switzerland, at the Stadium Pierre Mauroy in Lille, France, Friday, November 21, 2014. (KEYSTONE/Salvatore Di Nolfi) (Bild: Keystone/SALVATORE DI NOLFI)

Die kräfteraubende Aufholjagd im Londoner WM-Halbfinale rächt sich nun für Roger Federer am Davis Cup in Lille: Gegen Gael Monfils reichten seine Kräfte am Freitagabend nicht. Es ist fraglich, ob sich Federer bis Sonntag erholen wird – aber das Wunder von Lille ist noch immer möglich.

Wie kann man diesen ersten Finaltag von Lillebeschreiben? Vielleicht mit der banalen Erkenntnis, dass einfach alles anders war als man das über viele Jahre und Spielzeiten im Schweizer Tennis gewohnt war. Und mit der Erkenntnis, dass trotz eines noch immer alles offen lassenden 1:1-Gleichstands eben auch eine leicht tragische Note über dem Spielgeschehen lag, verkörpert durch Roger Federer, die Lichtgestalt seines Sports und auch der eidgenössischen Nation.

«Bin bereit, noch zweimal zu spielen» – die Reaktion Roger Federers auf seine Niederlage.

Jahrelang hatte Federer sich dem Geschehen im Davis Cup, dem ältesten Nationenwettbewerb der Welt, nur mit bedingter Leidenschaft gewidmet. Selten war eine Konstanz in seinem Engagement zu beobachten, natürlich auch, weil an seiner Seite der zweite starke Mann gefehlt hatte, der Länderspielmissionen regelmässiger zu Erfolgen geführt hätte. So war Federer oft in Rettungseinsätzen beschäftigt, mit dem Ziel, sein Land wenigstens im Unterbau der Champions League zu halten.

Und nun, an diesem vorletzten November-Wochenende des Jahres 2014, bei der lange herbeigesehnten Krönungsmesse im französischen Lille, da war auf einmal er der Problemfall. Der Mann, dessen Schritte nicht mit der üblichen Ehrfurcht und Faszination, sondern mit Bangen und Bibbern, Zittern und Zagen verfolgt wurden.

Wawrinka legt gegen Tsonga einen Gala-Auftritt hin

Alles war, wie gesagt anders: Wawrinka, die Nummer 2 im Team, legte einen Gala-Auftritt bei seinem 6:1, 3:6, 6:3, 6:2-Sieg über die französische Nummer 1, Jo-Wilfried Tsonga, hin. Und der zwar auf dem Platz anwesende, aber doch verletzt angeschlagene, nachhaltig eingeschränkte Federer verlor chancenlos 1:6, 4:6 und 3:6 in drei Durchgängen gegen die französische Nummer 2, den Ernst machenden Kleinkünstler und Entertainer Gael Monfils.



Schöne Geste: Stan Wawrinka trägt Roger Federers Utensilien nach dem Match vom Platz.

Schöne Geste: Stan Wawrinka trägt Roger Federers Utensilien nach dem Match vom Platz. (Bild: Keystone/SALVATORE DI NOLFI)

Und wenn nicht alles täuscht und noch ein Wunder geschieht, dann wird sich an dieser Hierarchie und Tennis-Gefechtsaufstellung auch nichts mehr ändern bis zu den letzten Ballwechseln am Sonntag: Wawrinka, die bestimmende Kraft im Schweizer Team, der Mann, auf den es ankommt. Und Federer der Spieler, der sich mit eigener Verzweiflung und Grimm über die malade Verfassung durchschleppt, der vielleicht am Sonntag noch eher darauf setzen kann, wieder etwas fitter zu sein, um gegen Tsonga einen Punkt zu holen, im dritten Einzel vielleicht schon die Niederlage zu verhindern suchen muss.

Vermutlich dürfte sich Federer auch in seiner Auftaktpartie gegen Monfils noch einige Male über den Samstag von London geärgert haben, an dem sein persönliches Drama seinen Ausgang nahm – das Drama, das ihm womöglich noch die Erfüllung eines Traum kosten könnte, den Traum, sich  diesen letzten in seiner Trophäensammlung fehlenden Titel zu holen, den Davis-Cup-Sieg mit seinen Freunden.

Der Londoner Kampf rächt sich

Ein WM-Halbfinale sensationell umgedreht gegen Wawrinka – doch zu welchem Preis, das war und ist die Frage, die sich sechs Tage später stellte, nach Federers Auftritt gegen Monfils. Federer war zwar körperlich in diesem Match, aber es war eben nicht der wirkliche, der gewichtige Federer, der da auf dem Centre Court stand vor 27’432 Zuschauern.

Nicht wenige Male wirkte es, als wäre er da in seinem eigenen Alptraum unterwegs, der grösste Spieler dieser Epoche – verflucht von der guten Tat dieser Aufholjagd aus der Londoner 02-Arena, von der Rückenverletzung, die er sich da im Schlussspurt eingehandelt hatte – ganz zu schweigen von den anderen Kalamitäten, die diese Partie heraufbeschwor.

Unwahrscheinlich, dass Federer sich erholen wird bis zum abschliessenden Sonntag. Umso mehr richtet sich der Blick auf den Verlierer des letzten Samstags, der im Davis Cup zunächst der grosse Gewinner ist. Ohne Stan Wawrinkas couragierten Auftritt gegen Tsonga wäre die Lage für die Schweiz schon jetzt schier aussichtslos, so bleibt aber noch die Hoffnung, dass der Romand die Initiative komplett an sich reisst und zum Matchwinner wird.

Muss Wawrinka nun auch im Doppel ran?

Wawrinka wird auch im Doppel aufgeboten werden müssen, um einen Vorsprung zu erzwingen – einen Vorsprung, den er selbst im allerletzten Einzel am Sonntag als Vorlage verwandeln müsste. Teamchef Lüthi wird sich gewiss bis zum Samstagmittag offenhalten, wen er neben Wawrinka aufstellen wird und soll.

Den gut 3000 Schweizer Zuschauern unter der Davis-Cup-Rekordkulisse von Lille schoss sicher am Freitag ein ums andere Mal die Frage durch den Kopf, was nur gewesen wäre, wenn das Team von Swiss Tennis mit einem gesunden Federer angetreten wäre.

Doch was hilft alles Wenn und Aber? Nichts. Wawrinka, Federer und Co. können nur ein Ziel haben: Weiter das Bestmögliche aus der komplizierten Situation zu machen. Noch ist das Wunder von Lille möglich.

Davis-Cup-Final 2014, 21. bis 23. November
Ort: Lille, Stade Pierre-Mauroy
Belag: Sand

Programm:
Jo-Wilfried Tsonga–Stanislas Wawrinka 6:1, 3:6, 6:3, 6:2
Gaël Monfils–Roger Federer 1:6, 4:6, 3:6
Samstag, 15.30 Uhr: Julien Benneteau/Richard Gasquet–Marco Chiudinelli/Michael Lammer
Sonntag ab 13.00 Uhr: Jo-Wilfried Tsonga–Roger Federer, gefolgt von Gaël Monfils–Stanislas Wawrinka
(Die Besetzung der Partien kann bis eine Stunde vor Beginn geändert werden)

Frankreichs Aufgebot unter Captain Arnaud Clément:
Jo-Wilfried Tsonga, ATP 12
Gaël Monfils, ATP 19
Richard Gasquet, ATP 26
Julien Benneteau, ATP 25

Schweizer Aufgebot unter Captain Severin Lüthi:
Roger Federer, ATP 2
Stanislas Wawrinka, ATP 4
Marco Chiudinellei, ATP 212
Michael Lammer, ATP 508

» Stand Frankreich vs. Schweiz im Davis Cup: 10:2 » Details zu den Begegnungen
» Die offizielle Website zum Davis Cup

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