Warum reagierten Basler Ultras derart gewalttätig auf die Präsenz der Polizei nach der Partie gegen den FCZ? Der Berner Sportwissenschaftler Alain Brechbühl versucht eine Erklärung. Er hat analysiert, wann kritische Situationen zwischen der Polizei und Fussballfans eskalieren – und wann nicht.
Der Sportwissenschaftler Alain Brechbühl hat untersucht, wann kritische Situationen zwischen der Polizei und Fans in Gewalt mündeten. Dazu hat der Berner acht heikle Momente rund um Partien zwischen den Berner Young Boys und dem FC St. Gallen analysiert und in Gesprächen mit Beteiligten Rückschlüsse gezogen, wie sich Eskalationen vermeiden lassen. Von den acht untersuchten Situationen gingen vier friedlich aus.
Die Ergebnisse der Studie liegen Ende April vor, Zwischenresultate wurden bereits veröffentlicht.
Herr Brechbühl, haben Sie die Gewalteskalation nach der Partie FCB gegen FCZ am Sonntag in Basel mitverfolgt?
Ich habe einige Videos gesehen, kenne aber die genauen Umstände nicht, welche zur Eskalation geführt haben. Klar zu sehen ist, wie aggressiv die Fans auf die Präsenz der Polizei reagieren. Es sind durchaus schockierende Angriffe auf die Polizei.
Haben Sie eine mögliche Erklärung für das Verhalten der Fans?
Was wir im Rahmen unserer Studie relativ deutlich herausgefunden haben, ist, dass Fans das Auftreten der Polizisten in Kampfmontur, mit Schutzschild, mit Panzerung und Waffen als stark provozierend empfinden. Auf der anderen Seite verstehen Polizisten die Vermummung der Fans als Symbol der Gewalt.
Das ist aber nichts Aussergewöhnliches. Müssten sich nicht beide Seiten an diese Konstellation gewöhnt haben?
Fans haben eigene Vorstellungen davon, was legitimes Verhalten der Polizei ist und was nicht. Verstehen sie das Aufmarschieren der Polizei als Eindringen in ihren eigenen Bereich, ihre angestammte Zone, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie empfindlich darauf reagieren.
Offensichtlich marschierte die Polizei anders als üblich über den Vorplatz der Muttenzerkurve.
Das kann unter Umständen problematisch sein. Denn alle Beteiligten interpretieren permanent das Verhalten der anderen. Sehe ich als Fan einen Zug Polizisten in Kampfmontur auflaufen, denke ich vielleicht: Die machen sich jetzt parat, die wollen gegen uns vorgehen. Gewaltbereite Fans sammeln sich, vermummen sich, wappnen sich. Das interpretieren wiederum die Polizisten als aggressiven Akt. Ein Teufelskreis, der regelmässig in Gewalt endet.
Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen?
Kommunikation war in unserer Studie der Schlüssel. Es braucht auf der einen Seite einen einflussreichen Fan oder einen professionellen Fanarbeiter. Die Polizei sollte ein Dialogteam vor Ort haben. Ohne Vermummung, ohne Panzerung. Dann sollte die Polizei versuchen, die Infos an die Fans weiterzugeben, was sie vorhat. Ob dies im jetzigen Fall so geschehen ist oder versucht wurde, kann ich nicht beurteilen. Beispielsweise hätte im jetzigen Fall kommuniziert werden können, dass sich die Polizisten nur verschieben, um den Aufgang zum Bahndamm zu sichern. Dieses Wissen schafft Vertrauen und wirkt deeskalierend.
Ist das praktikabel angesichts der grossen Masse der Fans und den Erfordernissen, schnelle Entscheidungen zu treffen?
Im Rahmen unserer Studie funktionierte das teils gut, etwa bei Fanmärschen. Dann tritt ein Polizist nach vorne, fragt die Fans, warum sie die vereinbarte Route nicht einhalten. Die Fans erklären sich und dann einigt man sich im Optimalfall, ohne dass es zu einem Zusammenstoss kommt. Aber der FC Basel scheint in der Schweiz durchaus ein Spezialfall zu sein aufgrund der grossen Anzahl an Fans in der Kurve. Auch die vorherrschende Fankultur ist entscheidend. Ob man in Basel mit Dialog eine solche Eskalation hätte vermeiden können, kann ich zu wenig beurteilen.