Zwei deutsche Clubs im Final der Champions League und die Debatte um «spanische Verhältnisse».
Der Begriff ist schillernd und wird eher mit Macht denn mit Ohnmacht assoziiert. Es war wohl auch kein Zufall, dass Uli Hoeness, als seine Stimme im gesamtgesellschaftlichen Kontext noch Gewicht hatte, von der Gefahr «spanischer Verhältnisse» in der Fussball-Bundesliga sprach.
Inzwischen belastet den Präsidenten des FC Bayern München eine Steuerhinterziehungsaffäre, die seinem Leumund geschadet hat, inzwischen haben die übermächtigen Bayern ihre opulenten finanziellen Ressourcen wieder einmal genutzt, um ihren grössten nationalen Rivalen und Champions-League-Finalgegner Borussia Dortmund zu schwächen: durch die per Ausstiegsklausel mögliche und 37 Millionen Euro teure Verpflichtung des BVB-Wunderknaben Mario Götze zur neuen Saison.
Inzwischen ist auch unbestritten, dass «spanische Verhältnisse» nicht nur mit dem Duopol der auf Titel abonnierten Spitzenclubs FC Barcelona und Real Madrid zu kennzeichnen sind, sondern auch mit Steuerschulden, Insolvenz und Ungerechtigkeit. 690 Millionen Euro haben die Vereine aus der Primera División nach letzten Erhebungen dem Fiskus vorenthalten; einen Schuldenberg von 3,5 Milliarden Euro muss La Liga abtragen.
Die Gefahren lauern überall
Das Missverhältnis zwischen 2,1 Milliarden an jährlichen Ausgaben für die überteuerten Profis und 1,8 Milliarden Einnahmen bedarf im Sinne der Vernunft und des Financial Fairplay dringend einer einschneidenden Korrektur; so wie die dezentral geregelte Verteilung der nationalen Fernsehgelder mit dem dicken Batzen für Real und Barça (jeweils rund 175 Millionen Euro per annum) und dem, was dann noch übrig bleibt (weniger als 10 Millionen für die Vereine ohne Glanz und Gloria). Kein Wunder, dass eine Reihe von Erstligavereinen in Spanien in Insolvenzverfahren stecken oder unter monströsen Lasten ächzen wie der Ligavierte FC Valencia unter seinen 450 Millionen Euro Verbindlichkeiten.
Die Kehrseite der «spanischen Verhältnisse» hat natürlich auch mit der Unantastbarkeit von Real Madrid und dem FC Barcelona zu tun, die zusammen mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes der Primera División (1,718 Milliarden Euro in der Saison 2011/12) generieren und die abgehängte Konkurrenz immer wieder zu waghalsigen, manchmal existenzgefährdenden finanziellen Abenteuern verleitet haben. Im nationalen Wettbewerb nicht mehr mithalten zu können und durch die Millioneneinnahmen der anderen aus der Champions League noch weiter ins Hintertreffen zu geraten, ist eine ungesunde Situation, die vielerlei Gefahren birgt.
Die immune Bundesliga
Darauf verweist Arnd Hovemann, beim Bundesligisten FC Schalke 04 für Finanzen und Controlling zuständig und zuvor bei der Unternehmensberatungsgesellschaft Ernst & Young Leiter der Sportabteilung. Dort hat der Sportökonom aus Duisburg massgeblich an den Jahresberichten über die wirtschaftlichen Kennziffern, Trends und Prognosen für die fünf grössten europäischen Fussballligen (England, Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich) mitgewirkt. Hovemann sieht zwar die Gefahren, die auch in der Bundesliga lauern könnten, wenn neben den Bayern auch der BVB denen, die auch mal oben angreifen und um den Titel mitspielen wollen, enteilten, hält die Verfassung der deutschen Eliteklasse aber für stabil genug, um nicht vom spanischen Virus infiziert zu werden.
Gleichwohl macht er auf drei Risiken aufmerksam, die aus der europaweit nachlassenden Wettbewerbs-balance im Fussball erwachsen. Landesmeister wie der FC Bayern München bewegen sich in einer eigenen Liga. Nur einmal wurden die Rekord-Bayern in dieser Saison besiegt, daheim von Leverkusen, und 25 Punkte liegen sie am Ende vor dem entthronten Champion Dortmund. Aber auch die Meisterkollegen von Manchester United, Juventus Turin, dem FC Barcelona und Paris Saint Germain steuerten ihre Triumphe vergleichsweise unbedrängt an.
«Bei nachlassender competitive balance», sagt Hovemann, «kann der Zuschauer auf Dauer das Interesse verlieren – erst recht in einem Umfeld, in dem hohe Eintrittspreise wie in Spanien (50 Euro im Schnitt), aber auch in England und Italien verlangt werden.» Die Bundesliga mit den im Mittel geforderten 22.75 Euro stehe in dieser Hinsicht beispielhaft da – auch ein Grund für die nach wie vor prallvollen deutschen Erstliga-Arenen. Die Champions League, in der alle Vereine mit höheren Ansprüchen, auch Hovemanns Schalker, am liebsten Jahr für Jahr mitspielen wollen, wirft für die beteiligten Vereine erheblichen Gewinn ab.
Die Champions League vergrössert das Ungleichgewicht
Bis zu 60 Millionen Euro Prämien kommen allein aus den Töpfen der Europäischen Fussball Union zusammen. Dadurch vergrössert sich sukzessive das Ungleichgewicht in den nationalen Ligen. Um dort auch mal dabei zu sein, lehnten sich, so beschreibt Hovemann die zweite Gefahr der Wettbewerbsverzerrung, manche Clubs «weiter aus dem Fenster, als es gesund ist». Das einzudämmen, hat sich die Uefa durch die Einführung des Financial Fair Play vorgenommen, geprägt durch das Kaufmannsprinzip, dass Einnahmen und Ausgaben nicht wie bisher weit auseinanderdriften dürfen.
Da der Fussball in Europa aber von immer wieder denselben Vereinen bestimmt wird, droht nach Hovemanns Auffassung eine dritte Gefahr: «Wenn einige Clubs daheim gar keinen Gegner mehr haben, kommen die auf dumme Gedanken. Sie suchen dann den Zusammenschluss in neuen Ligen auf supranationaler Ebene.» Ein Ansinnen der baltischen Fussballverbände hat die Uefa, die bisher das europäische Monopol auf die internationale Konkurrenz hat, schon abgeschmettert.
Es gibt aber weiter Bestrebungen, über die Grenzen zu gehen: so in Schottland, wo Gedankenspiele um eine Nordatlantik-Liga kursieren, oder in Belgien, wo Spitzenclubs eine Fusion mit den führenden niederländischen Vereinen in einer gemeinsamen Spielklasse diskutieren.
Eine Europaliga für die besten Teams des Kontinents ist in den frühen Jahren der 1992 eingeführten Champions League ja auch schon einmal von Kritikern des Veranstaltermonopols der Uefa diskutiert und dann verworfen worden. Hovemann sagt dazu: «Das kann sich über die nächsten Generationen ändern. Dann sind die Clubs sämtlich Kapitalgesellschaften, in denen es um Umsatzsteigerungen und nicht um liebgewonnene nationale Traditionen geht.»
Werbeveranstaltung in London
In Deutschland schätzt Christian Seifert die Lage fürs Erste entspannt und positiv ein. «In den letzten sieben Jahren», hebt der Vorsitzende der Geschäftsführung der Deutschen Fussball Liga (DFL) hervor, «hatten wir mit Bayern, Dortmund, Stuttgart und Wolfsburg vier verschiedene Meister.» Die Bundesliga ist mit einem Gesamtumsatz von zuletzt 2,08 Milliarden Euro die Nummer zwei in Europa hinter der englischen Premier League (2,5), die von der nächsten Saison an allein aus der TV-Vermarktung knapp 2 Milliarden Euro pro Jahr kassiert.
Eine bessere Werbeveranstaltung für die Bundesliga mit zwei deutschen Vereinen im Londoner Champions-League-Finale am 25. Mai kann es nicht geben. Sie verheisst eine weitere beträchtliche Steigerung der Auslands-erlöse, die derzeit per annum bei 70 Millionen Euro liegen und damit noch ausbaufähig sind. Im Sinne des Grossen und Ganzen wäre allerdings, wenn Bayern und Dortmund nicht dauerhaft auf einsamer Höhe thronten. «Es wäre schön», sagt Seifert über die neue Spitzenqualität der solidesten Spitzenliga des Kontinents, «wenn noch ein oder zwei Clubs dazustossen würden.»
Die Bundesliga hat dazu mit ihrem Solidaritätsmodell bei der Verteilung der Fernsehgelder einen Massstab gesetzt, der mit «spanischen Verhältnissen» nichts zu tun hat. Wenn der deutsche Meister demnächst aus dem neuen Fernsehvertrag über jährlich durchschnittlich 624 Millionen Euro (bisher 420 Millionen) rund 40 Millionen Euro erhält, bleiben für den Tabellenachtzehnten am Saisonende immer noch 20 Millionen Euro übrig. Diese überschaubare 2:1-Spreizung gibt es so ähnlich nur noch in Frankreich, wo wie in Deutschland (im Verhältnis 80:20) ein Teil der Fernsehgesamteinnahmen aus dem Ligabetrieb an die Ligue 2 fliesst.
Die Uefa und die Finanzströme
«Lizenzierung und Financial Fair Play können dem Risikogebaren ein bisschen Einhalt gebieten», sagt Hovemann, «und dazu die Verteilung der TV-Gelder.» Letzteres sei von der Uefa nur so zu lösen, «indem man die Europa League stärkt». Als Beispiel dient Hovemann sein eigener Verein: Nimmt der FC Schalke 04 in der nächsten Saison nicht an der angestrebten Champions League teil, sondern steigt er in die Europa League ab, macht das laut dem Finanzfachmann Hovemann «einen Unterschied zwischen 15 und 18 Millionen Euro» aus.
«18 Millionen Euro zu haben oder nicht zu haben kann eine ganze Liga durcheinanderbringen, denkt man etwa an den belgischen Traditionsclub RSC Anderlecht mit einem Jahresumsatz von 32 Millionen Euro.» Aufgabe der Uefa sei es künftig, sagt der Schalker Controller, die Übergänge zwischen «Nichtteilnehmern, Europa-League- und Champions-League-Teilnehmern fliessender zu gestalten». Also einen Verteilerschlüssel der Finanzströme zu finden, der sich auf den nationalen Wettbewerb positiv auswirken kann. Das fordert auch das Europäische Clubforum, präsidiert von Karl-Heinz Rummenigge, dem Vorstandsvorsitzenden des steinreichen FC Bayern.
Die von Uli Hoeness beklagten, in der Bundesliga aber noch nicht realen Verhältnisse, werden im Übrigen auch auf der Iberischen Halbinsel längst sehr kritisch gesehen. Real und Barça müssen damit rechnen, dass die Zeiten des Booms dank der dezentralen Fernsehvermarktung der Ligarechte dem Ende entgegengehen. Der Majorität der Clubs, die die in allen anderen relevanten europäischen Ländern bis auf Spanien und Portugal übliche zentrale Fernsehvermarktung fordern, ist Miguel Cardenal in Zeiten der Wirtschaftskrise beigesprungen. «Viele Vereine», hat der Präsident der obersten spanischen Sportbehörde dieser Tage gesagt, «sind in einer heiklen Situation. Wir tun alles Mögliche, damit sie diese Phase überstehen.»
«Da lachen ja die Hühner»
Steuererleichterungen hat Cardenal damit nicht gemeint. Dass sie die Zeichen der Zeit verstanden hat, dokumentierte jüngst auch die spanische Liga, als sie für die kommende Saison eine Finanzkontrolle im Sinne des Financial Fair Plays der Uefa beschloss. Ausgabenkürzungen sind darin enthalten und ein Versprechen dazu. Bis 2020 will die Liga ihre Finanzamtsschulden abbezahlt haben.
Die von Uli Hoeness in Deutschland angestossene Debatte über «spanische Verhältnisse» hat sich derweil mit der Enthüllung seiner Steueraffäre verflüchtigt. Seine Kollegen in den Vorstandsetagen der deutschen Bundesliga haben ihm ohnehin wenig Beifall gespendet. Heribert Bruchhagen etwa, der Vorstandschef von Eintracht Frankfurt, Sechster in der Bundesliga und 40 Punkte hinter den Bayern eingekommen, erinnert daran, dass er schon vor 20 Jahren eine immer grössere Kluft vorhergesagt habe. Dafür sei er von Hoeness, mit dem er ein freundschaftliches Verhältnis pflege, medial verprügelt worden. «Und nun will ausgerechnet Hoeness den Samariter spielen – da lachen ja die Hühner.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.05.13