Rekorde sind Heiko Vogel nicht mehr so wichtig wie einst in seiner Kindheit, selbst wenn er einige aufstellen könnte. Lieber macht sich der Trainer des FC Basel daran, Fussball völlig losgelöst von alten Vorstellungen spielen zu lassen. Nächster Auftritt: Am Osterstamstag beim FC Luzern (17.45 Uhr).
Als Kind war Heiko Vogel besessen. Rekorde hatten es ihm angetan. Schnelles, Grosses, Kleines, Schweres, Schräges. «Das Guiness-Buch der Rekorde war mein Lieblingsbuch.» Doch heute ist Vogel 36-jährig, also «erwachsen», wie er feststellt. Und er ist Cheftrainer des FC Basel. Das ist keine Position, in der er sich mit Bestmarken auseinandersetzen mag. Lieber konzentriert er sich «auf das Wesentliche. Und das ist das Spiel meiner Mannschaft.»
Das ist durchaus in Ordnung, gehört es schliesslich zu den Kernkompetenzen eines Fussballlehrers. Und möglicherweise ist es genau diese Haltung, die dazu beiträgt, dass Vogels FCB eben doch ein paar Rekorde aufstellen wird. Denn es liegen einige Bestleistung in Reichweite. Und wer weiss, vielleicht wird die Begeisterung des kleinen Heiko im erwachsenen Cheftrainer doch noch einmal wachgekitzelt, wenn die eine oder andere Marke erst einmal aufgestellt ist.
Drei Rekorde in Griffweite
Derzeit in der Verlosung: Grösster Vorsprung eines Leaders vor dem Zweitplatzierten in einer laufenden Schweizermeisterschaft. Diese Marke hält bislang der FCB selbst mit 18 Punkten Vorsprung auf die Young Boys am 15. April 2004. Mit einem Sieg in beim FC Luzern am Samstag würden die Basler auf 20 Punkte davonziehen. Das würde die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Rekords erhöhen: Grösster Vorsprung eines Schweizermeisters vor dem Vizemeister. Das sind bislang jene 16 Punkte, die die Grasshoppers 1998 vor Servette lagen.
Schliesslich ist da die Serie der Ungeschlagenheit. 20 Spiele hat der FCB nun in der Liga nicht mehr verloren. Da reicht es in dieser Saison nicht mehr, den Rekord der modernen Fussballzeiten zu brechen. Der steht bei 29 ungeschlagenen Spielen des FCB unter Christian Gross von 2003 bis zum 17. März 2004 und einem 0:1 gegen den FC Zürich. Ebendieser FCZ hält auch die Bestmarke seit 1960: 1975 und 1976 blieben die Zürcher in sagenhaften 35 Spielen ohne Niederlage.
Aber eben, das interessiert Vogel ja alles gar nicht. Sein Vor- Vorgänger Gross mag immer den Eindruck hinterlassen haben, er könne alle laufenden Serien, historischen Marken und in Reichweite liegenden Rekorde noch im Schlaf herunter rattern. Vogel aber ist sich sicher: «Kein Fussballer geht auf den Platz und denkt sich in Minute dreissig: Hey, heute kann ich Geschichte schreiben.»
Eine neue Form des Fussballs
Wahrscheinlich hätten die Basler Fussballer auch gar nicht die Musse dazu. Schliesslich werden die FCB-Spieler von Vogel an eine neue Form des Fussballspielens herangeführt, da ist der Kopf mit anderen Dingen beschäftigt als mit Punktezählen. Nämlich damit, die Anweisungen des Trainers umzusetzen. Und die können recht komplex sein. Der FCB versucht sich derzeit an nichts Geringerem als daran, sich vom immer noch vorherrschenden Konzept mit mehr oder weniger starren Positionen auf dem Spielfeld zu verabschieden.
«Fussball ist das Spiel mit Zeit und Raum», sagt Vogel, «wir müssen uns davon lösen, dass Spieler nur auf bestimmten Positionen stehen.» Und er freut sich ungemein, dass seine Basler die Lektionen zu lernen scheinen: «Wir haben spielerisch zugelegt in den letzten zwei bis drei Wochen.»
Abraham als Paradebeispiel
Bestes Beispiel, wie so ein Spiel mit Raum und Zeit, aber ohne fixe Positionen aussieht, ist das 1:0 gegen Servette vom 24. März. Da startet David Abraham den Angriff mit einem Pass auf den rechten Flügel. Während Xherdan Shaqiri den Ball nach vorne treibt, läuft Abraham nicht dorthin zurück, wo ein Innenverteidiger normalerweise vermutet wird. Nein, er zieht durch, direkt in den gegnerischen Strafraum. Vorbei an den unbeteiligt wirkenden Genfern.
Ein Verteidiger als Sturmspitze? Das passt nicht in die Vorstellungswelt eines durchschnittlichen Fussballprofis. Also reagiert keiner der Servettiens. Sie bezahlen ihr Festhalten an alten Vorstellungen mit dem Gegentor.
(Sie finden die Szene in besserer Qualität auch im Archiv von SF – ab 2:30.)
Sieht spielerisch leicht aus das Ganze. Ist es aber natürlich nicht. Denn selbst beim FCB darf ein Verteidiger nicht einfach so nach vorne stürmen. In der Szene lässt sich Mittelfeldspieler Gilles Yapi zurückfallen, um eine mögliche Lücke im Defensivverbund gar nicht erst entstehen zu lassen. «Anders geht es nicht», sagt Vogel, «und wenn er es nicht macht, dann müssen wir das intern ansprechen.»
Nun hat Yapi seit seinem Comeback nach einem Kreuzbandriss keine Gründe für interne Ansprachen gegeben. «Sehr zufrieden» ist Vogel mit dem Ivorer, der «dominant» auftrete. Trotzdem dürfte Yapi am Samstag gegen den FC Luzern nicht in der Startformation stehen. Er soll nach seiner langen Verletzung behutsam an die Belastung herangeführt werden. Diesen Luxus kann sich der FCB leisten. Schliesslich brennt Benjamin Huggel darauf, bis zu seinem Rücktritt noch möglichst viele Spiele absolvieren zu dürfen.
Stocker fehlt mit Kniebeschwerden
Gegen den FCL gar nicht dabei sein werden Valentin Stocker und Kwang-Ryong Pak. Stocker meldete am Karfreitag den Physiotherapeuten leichte Schmerzen in jenem Knie, in dem er das Kreuzband gerissen hatte. Nichts Gravierendes laut Vogel: «Aber da will ich nicht das geringste Risiko eingehen.» Und Pak ist nach seinem ersten Tor in der Super League nach dem Lausanne-Spiel nach Bellinzona gereist. Dort wird er an einem internationalen Turnier mit der U21 des FCB auf die Boca Juniors (Arg), die Queens Park Rangers (Eng) und Spartak Moskau (Russ) treffen.
Möglich, dass auch bei den Luzernern der eine oder andere Spieler fehlen wird. Dann allerdings aus anderen Gründen. Die Luzerner spielen am Mittwoch ihr Halbfinalspiel im Schweizer Cup gegen den FC Sion. Heiko Vogel hätte grösstes Verständnis, wenn sein Antipode Murat Yakin die Spiele gegen Basel und Sion als Einheit betrachten würde. Denn nicht einmal Vogel spricht noch davon, dass die Meisterschaft mit einem Luzerner Sieg noch einmal spannend werden könnte: «Ich denke, für Luzern ist die Wahrscheinlichkeit grösser, mit dem Spiel am Mittwoch in den Cupfinal einzuziehen.»
Super League, 29. Runde
FC Luzern–FC Basel (Samstag, 17.45 Uhr)
Mögliche Aufstellung FCB: Sommer; Steinhöfer, Abraham, Dragovic, Park; Shaqiri, Huggel, Xhaka, F. Frei; A. Frei, Streller.
Bemerkungen: Basel ohne Degen (verletzt), Voser, Chipperfield (beide im Aufbau), Stocker (Kniebeschwerden) und Pak (U21).