Ein Wahlkampf wie von Machiavelli geschrieben

Ein geschichtsträchtiger Versammlungsort, undurchsichtige Strippenzieher, Doping, Schmiergeld: Der Radsport-Weltverband UCI wählt am Freitag einen neuen Präsidenten, ein edler Zweikampf wird es nicht. Die Wahl hat die Ingredenzien, als ob Niccolò Machiavelli die Dramaturgie geschrieben hätte. Das Sittengemälde einer zerstrittenen Familie.

Ein geschichtsträchtiger Versammlungsort, undurchsichtige Strippenzieher, Doping, Schmiergeld: Der Radsport-Weltverband UCI wählt am Freitag einen neuen Präsidenten, ein edler Zweikampf wird es nicht. Die Wahl hat die Ingredenzien, als ob Niccolò Machiavelli die Dramaturgie geschrieben hätte. Das Sittengemälde einer zerstrittenen Familie.

Sie werden viel Platz haben, die 42 stimmberechtigten Kongressmitglieder des Radsport-Weltverbands UCI, wenn sie am kommenden Freitag in Florenz zusammenkommen, um ihren Präsidenten zu wählen. Man legt Wert auf Etikette und hat nichts gegen Prunk in der Weltregierung des Radsports. Also wurde für die bedeutsame Sitzung gleich mal der prächtigste und wohl auch berühmteste Veranstaltungsort der an Baudenkmälern so reichen Stadt in der Toskana gebucht: der Saal der Fünfhundert im Palazzo Vecchio.

Die gewaltige Halle war vor mehr als 500 Jahren im Auftrag von Girolamo Savonarola erschaffen worden und schon damals ein Tagungsort. Dort traf sich nach der massgeblich vom berühmt-berüchtigten Bussprediger bewerkstelligten Vertreibung der Medici der Rat der Stadt. In der hatte – ungeachtet dieses republikanischen Dekors – für ein paar Jahre aber nur einer das Sagen: Savonarola.

Ein edler Zweikampf, geführt mit Anstand und geprägt vom Respekt für den jeweiligen Gegner, ist das Ringen um den UCI-Thron definitiv nicht.

Es war eine wilde und gefährliche Zeit in der Renaissance-Metropole, deren Aufstieg und Niedergang von unzähligen Machtkämpfen und Intrigen begleitet wurde. Nach heutigen Massstäben war Savonarola ein Hassprediger. Unerbittlich zog er gegen den Luxus und die Dekadenz zu Felde, liess Schriften «heidnischer» antiker Autoren und Kunstwerke auf der Piazza della Signoria zu Scheiterhaufen türmen und verbrennen. Dort, zu Füssen des Palazzo Vecchio, brannte schliesslich auch er.

Ganz so arg wird es nicht kommen, wenn die Fraktionen im Radsport-Weltverband in Florenz die Klingen kreuzen. Doch der Salone dei Cinquecento ist ein durchaus passender Ort für den Showdown zwischen dem um eine dritte Amtszeit kämpfenden UCI-Präsidenten Pat McQuaid und seinem Herausforderer Brian Cookson. Denn ein edler Zweikampf, geführt mit Anstand und geprägt vom Respekt für den jeweiligen Gegner, ist das Ringen um den UCI-Thron definitiv nicht.

Komplizenschaft des Verbandes mit Armstrong

Der 64-jährige Ire McQuaid trägt schwer an der Last der Vergangenheit. Er übernahm das Amt 2005 als Wunschnachfolger von Hein Verbruggen und wurde wie dieser im Zuge der Enthüllungen über Lance Armstrong schwer kompromittiert. «Er verdient es, vergessen zu werden», sagte McQuaid vor knapp einem Jahr in einer denkwürdigen Pressekonferenz in Genf über den texanischen Hochstapler.

Doch ist es dem UCI-Präsidenten das weit grössere Anliegen, die Öffentlichkeit möge seine fragwürdige Rolle während der jahrelangen Komplizenschaft des Verbands mit Armstrong vergessen. Bei Jean Regenwetter, einem der 42 stimmberechtigten Delegierten, ist ihm das nicht geglückt. «Neue Glaubwürdigkeit kann man nicht mit den Leuten erlangen, die für den Glaubwürdigkeitsverlust verantwortlich waren», sagt der Präsident des Luxemburger Radsportverbands.

Die Grösse, den Weg für einen Neuanfang im Radsport freizumachen, besitzt der ehemalige Radrennfahrer McQuaid nicht. Er klammert sich an den Posten und schreckt für die Chance auf eine weitere Amtszeit vor keiner Peinlichkeit zurück. Nachdem ihm der irische Heimatverband im Mai die Gefolgschaft versagt und ihn nicht als Kandidat nominiert hatte, griff der Präsident der in Aigle nahe dem Genfer See residierenden UCI zu Plan B und liess sich von Swiss Cycling aufstellen.

Als der ehemalige Schweizer Radsportfunktionär Kurt Bürgi und der Australier Jamie Fuller, Chef einer Sportbekleidungsmarke und Mitinitiator der Reformgruppe «Change Cycling now», die Umstände der Entscheidung verbandsjuristisch prüfen lassen wollten, machten die Schweizer Funktionäre jedoch einen Rückzieher.

Griff in die Trickkiste

Swiss-Cycling-Präsident Richard Chassot nahm seinen Hut, sein Freund McQuaid stand ohne fristgerechte Nominierung da und war damit eigentlich aus dem Rennen. Doch der Repräsentant der düsteren Vergangenheit, der so schön über die glorreiche Zukunft eines geläuterten Radsports reden kann, griff in die Trickkiste. Eine Änderung der Statuten, zu beschliessen vom UCI-Kongress am Freitag in Florenz vor der Wahl des Präsidenten, soll nun dafür sorgen, dass der Ire als Kandidat der Verbände Marokkos und Thailands zur Titel-, pardon, Amtsverteidigung antreten darf.

«Das zeigt einmal mehr, mit welchem Wasser der Mann gewaschen ist», sagt der Luxemburger Regenwetter. Eingereicht wurde der Vorschlag, das UCI-Statut zu ändern, von der Asien-Konföderation ACC, die treu zum Amtsinhaber steht, und dem Radsportverband Malaysias. Als wäre das nicht schon gespenstig genug, kam nun noch heraus, dass eine wesentliche Passage des Antrags Wort für Wort von freundlichen Ratgebern aus Aigle stammt: UCI-Generadirektor Christophe Hubschmid und UCI-Anwalt Amina Lanaya.

Verglichen mit Pat McQuaid sieht inzwischen jeder wie ein Reformkandidat aus.

Das sind gute Nachrichten für Herausforderer Cookson, denn verglichen mit Pat McQuaid sieht inzwischen jeder wie ein Reformkandidat aus. Zudem beauftragte die Europäische Radsport-Union (UEC) jüngst mit deutlicher Mehrheit ihre 14 stimmberechtigen Delegierten, am Freitag für den 62-jährigen Chef von British Cycling zu votieren. Den Antrag Malaysias und der Asien-Konföderation auf Änderung des Artikels 51 im UCI-Statut, der McQuaid wieder ins Rennen bringen soll, wollen die Europäer ablehnen.

«Europa besteht auf den herrschenden Regularien», sagt Toni Kirsch. Der Vorsitzende der Radsportjugend wird in Florenz als Vertreter des Bunds Deutscher Radfahrer mitwählen. Jean Regenwetter wird noch deutlicher: «Für mich gibt es keine Wahl zwischen zwei Kandidaten. Ein Präsidentschaftskandidat musste von seiner Föderation zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgeschlagen werden, und da gab’s nur einen: Cookson.»

Bisheriger Fürsprecher von McQuaid beauftragte Ermittler

Die Europäer stellen das grösste Kontingent an Stimmen, je neun entfallen auf Asien und Amerika, sieben auf Afrika und drei auf Ozeanien. Da in Florenz in geheimer Wahl abgestimmt wird, ist Brian Cookson aber klar, dass er sich für die UEC-Empfehlung nichts kaufen kann. «Die Leute können dir eine Sache erzählen, und dann ihr Kreuzchen woanders machen», sagte er jüngst der englischen Zeitung «The Guardian». Widersacher Pat McQuaid, dessen Kandidatur Cookson noch im Januar unterstützt hatte, ehe er es sich anders überlegte, ging gezielt in der Radsport-Diaspora auf Stimmenfang. Dort kommen die Funktionäre schon mit der Angst vor europäischer Bevormundung zur Welt.

Cooksons grösstes Problem ist aber ausgerechnet ein mächtiger Verbündeter: Igor Makarow. Der 51-Jährige Milliardär ist Eigentümer des ProTour-Teams Katjuscha, Chef des russischen Radsportverbands und Mitglied des UCI-Management-Komitees. Als Helfer im Wahlkampf um den UCI-Thron ist der im Gas- und Ölgeschäft reich gewordene Oligarch mit guten Beziehungen in den Kreml nicht zimperlich. In einem Schreiben an die anderen Mitglieder des Management Committee vom 13. September bestätigt Makarow, er habe gemeinsam mit einigen Personen, die vorerst ungenannt bleiben wollten, zwei Ermittler beauftragt, den Vorgängen an der Spitze des Weltverbands nachzuspüren.

Ein Dossier könnte McQuaids Ruf, oder was davon übrig ist, endgültig ruinieren

Heraus kam ein 54-seitiges Dossier, das McQuaids Ruf, oder was davon übrig ist, endgültig ruinieren könnte. Falls stimmt, was in der Zusammenfassung steht, die dem US-Fachmagazin «Velonews» zugespielt wurde, gehört der Ire eher hinter Gitter als ins höchste Amt des Weltradsports. So soll er gemeinsam mit Amtsvorgänger Verbruggen im Spätsommer 2012 vom Besitzer eines Profi-Radteams Schmiergeld in Höhe von 250’000 Euro verlangt haben. Dafür sei die Hilfe des Weltverbands bei der Steigerung des Bekanntheitsgrads der Equipe und des Radsports in deren Land angeboten worden.

Makarows Schnüffler wollen über Zeugenaussagen und Dokumente verfügen, die belegen, dass das Geld nicht etwa in die Kassen der UCI fliessen sollte. Die Rede ist vielmehr von einer Tarnfirma in den Vereinigten Arabischen Emiraten und einem Geheimkonto, das einem Schweizer Unternehmen der Finanzbranche zugeordnet werden könne. Der Teambesitzer soll übrigens dankend abgelehnt haben.

Angebot vom Weltverband für die Vertuschung eines positiven Dopingtests

Die Kurzfassung des Dossiers enthält weitere schwere Vorwürfe. So soll der Weltverband angeboten haben, gegen Geld den positiven Dopingtest von Alberto Contador aus der Tour 2010 zu vertuschen. Und Teile der von der UCI in Auftrag gegebenen Expertise des niederländischen Juristen und Verbruggen-Vertrauten Emile Vrijman, die Lance Armstrong nach Bekanntwerden seiner positiven Tests aus der Tour 1999 entlastete, soll der Anwalt des Texaners praktischerweise gleich selbst geschrieben haben. Armstrong habe zudem für das Gefälligkeitsgutachten bezahlt.

Pat McQuaid hatte Makarows Detektiven zufolge die Finger im Spiel, als Armstrong sein Comeback 2009 bei der Tour Down Under geben konnte, ohne zuvor die nötige Zeit im Dopingtestpool verbracht zu haben. Angebliche Gegenleistung: Armstrong trat im selben Jahr ohne Gage bei der Tour of Ireland an. Co-Veranstalter der Irland-Rundfahrt ist die Firma Shadetree Sports, die auch die Strassenrad-WM 2015 vermarktet, die nach Richmond im US-Bundesstaat Virginia vergeben wurde. Mitinhaber bei Shadetree (Geschäftssitze Dublin und Richmond): Darach McQuaid, einer der sechs Brüder des UCI-Präsidenten, dessen Söhne Andrew und David ihr Geld ebenfalls im Radsport-Umfeld verdienen.

Der Skandal-Report ist starker Tobak. Aber es ist Vorsicht geboten.

Der Skandal-Report ist starker Tobak. Aber es ist Vorsicht geboten. Denn auch über Igor Makarow gibt es spannende Dossiers. Eines davon soll beim FBI liegen. Der steile Aufstieg des einstigen UdSSR-Meisters im Strassenradsport wurde von Gerüchten über Mafia-Kontakte und Geldwäsche begleitet. Der Frankfurter Publizist und Korruptions-Experte Jürgen Roth bringt ihn in Zusammenhang mit der sizilianischen Cosa Nostra. Und einem als geheim klassifizierten Bericht der US-Botschaft in Kiew vom 10. Dezember 2008 zufolge, der als Teil der Wikileaks-Unterlagen an die Öffentlichkeit gelangte, pflegte Makarow vertrauten Umgang mit der russischen Mafia.

Im Bericht schildert der ukrainische Gas-Mogul Dmytro Firtasch den Amerikanern ein Essen auf Einladung Makarows im Januar 2002 in Kiew. Firtasch hatte den Konkurrenten gerade im Zentralasien-Geschäft ausgestochen und fürchtete nach eigener Aussage, bei der Zusammenkunft geschlagen oder sogar ermordet zu werden. Niemand krümmte ihm ein Haar, aber die illustre Runde im Restaurant machte klar, dass man sich mit Makarow besser nicht anlegte. Mit am Tisch laut Firtasch: Semion Mogilewitsch, nach Auffassung europäischer und amerikanischer Behörden Russlands Boss der Bosse, und Sergej «Mikhas» Michailow, Chef der Solnzewskaja-Bruderschaft, Moskaus mächtigstem Verbrechersyndikat.

«Makarow ist kein Messdiener»

Igor Makarow hat wiederholt betont, er unterhalte keine Beziehungen zum Organisierten Verbrechen. Ganz wohl ist Cooksons Parteigängern im europäischen Lager angesichts dieser Verbindung dennoch nicht. «Ich weiss auch, dass Makarow kein Messdiener ist», sagt der Luxemburger Verbandschef Regenwetter. Und BDR-Vertreter Toni Kirsch kennt die Akteure nach eigenen Angaben zwar «zu wenig, um zu der ganzen Diskussion, wer was wo wie veranlasst hat, vernünftig Stellung nehmen zu können». Doch er sagt auch: «Jeder muss sich darüber im Klaren sein, dass so ein Wahlkampf nicht positiv beschrieben wird. Das dient nicht der Sache. Es ist nicht gut für den Radsport.»

Brian Cookson war zuletzt auffallend darum bemüht, seine Unabhängigkeit zu betonen. Jean Regenwetter plagen da gewisse Zweifel: «Die Kampagne von Cookson hat ja auch Geld gekostet. Das hat sicher nicht der britische Verband bezahlt.» Das Geld des reichen Russen nimmt allerdings auch die Europäische Radsport-Union gern. Sie wird von Makarows Firmengruppe Itera gesponsert. Cookson freut sich öffentlich weiter tapfer über «die Unterstützung einer so wesentlichen Figur des Radsports».

Der Brite will Makarow aber auch erklärt haben, wie er das Amt an der Spitze der UCI im Fall seiner Wahl zu führen gedenkt: «Mit Integrität und Transparenz und ohne unzulässige Einmischung von wem auch immer.» Es wäre dem Radsport zu wünschen. Doch wer eine neue Ordnung der Dinge durchsetzen wolle, müsse nicht nur die Macht erlangen können, sondern auch über die Mittel verfügen, sie dauerhaft zu behaupten. Das schrieb vor 500 Jahren, den Aufstieg und Fall Savonarolas vor Augen, ein cleverer junger Florentiner. Er hiess Niccolò Machiavelli.

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