Etwas Vergleichbares gab es selten auf der Tennis-Tour: Jo-Wilfried Tsonga räumt in Toronto innert Wochenfrist die Spitze der Weltrangliste aus dem Weg, zuletzt Roger Federer im Final (7:5, 7:6). Nun ist die Frage, ob ihm auch bei den US Open etwas zuzutrauen ist.
Federer. Nadal. Federer. Djokovic. Nadal. Murray. Murray. Djokovic. Djokovic. Nadal.
So sieht die Siegerliste beim kanadischen Masters-Turnier in den Jahren von 2004 bis 2013 aus, schwarz auf weiss ein Ausweis der Machtballung auf die Fantastischen Vier der Tenniswelt. Und nun dies: Tennis-Ali Jo-Wilfried Tsonga schlägt in einer Turnierwoche alle drei Spieler aus dem Elitezirkel, die zum Pokalkampf angetreten sind, Murray, Djokovic und am Ende in einem spannungsgeladenen Endspiel auch noch Roger Federer – und verewigt sich als erster Franzose in der Galerie von Toronto.
Kaum einmal gelang es, das Kartell zu erschüttern
Eine vergleichbare Turnierwoche hat Tsonga noch nie hingelegt, sie übertrifft noch den Endspieleinzug bei den Australian Open, den er als aufstrebender Professional einst 2008 geschafft hatte. Was auch zeigt, wie schwer es ist, das Kartell der Klasseleute auf dem Gipfel überhaupt einmal zu erschüttern, zu dem natürlich auch noch der momentan verletzt fehlende Nadal gehört.
Tsonga gilt wie viele Top-Ten-Leute jenseits des Goldenen Quartetts seit geraumer Zeit auch als potentieller Major-Gewinner, er wird sicher auch jetzt wieder als sogenannter Geheimfavorit für die US Open (25. August bis 8. September) gehandelt werden.
Doch keiner ausser dem Argentinier Juan Martin del Potro und dem Eidgenossen Stanislas Wawrinka hat in der vergangenen Dekade jemals das Kunststück geschafft, die Grand Slam-Dominanz der aussergewöhnlichen Gentlemen aufzubrechen. Wawrinka gelang das Im Januar bei den Australian Open unter Aufbietung aller Ressourcen.
Der junggebliebene Tsonga steuert auf die 30 zu
Bei Tsonga vergisst man gern, wie alt der junggebliebene Franzose wirklich schon ist. Der energiegeladene Tennis-Ali steht nun an der Schwelle zu seinen Dreissigern, insofern bleibt ihm wie auch manch anderem Aspiranten auf Grand Slam-Ruhm nicht mehr allzu viel Zeit, das ehrgeizige Ziel zu erreichen.
Tsonga dürfte sich bei allem berechtigten Jubel über den Coup in Kanada auch darüber im klaren sein, dass seine herausragenden Gegenspieler, die Murrays, Federers und Djokovics, zu diesem Masters-Turnier auch gerade erst aus der Sommerfrische kamen und ihre ersten Meter auf dem langen Weg der zweiten Saisonhälfte absolvierten. Was der Sieg des Galliers wirklich wert ist, wird sich erst in New York zeigen – dann, wenn alle Spitzenleute wieder voll auf Betriebstemperatur sind.
Wawrinkas Erfahrung als Champion
Wie schwer es ist, dauerhaft mit den Superstars mitzuhalten, wie schwer es aber auch ist, selbst auf allerhöchstem Niveau allen professionellen Verpflichtungen nachzukommen und seine Top-Leistung stabil zu zeigen, hat der Fall Wawrinka gezeigt. Erst als Grand Slam-Champion erkannte der Romand, welche Anforderungen das moderne Tennis-Business an seine Besten stellt – und was eben auch einer wie sein Freund Federer über all die Jahre geleistet hatte, auf und vor allem auch neben dem Court.
Erdrückend sei für ihn die Terminflut gewesen, der Umstand, dass alle an ihm gezerrt hätten, sagte Wawrinka jüngst einmal. So richtig auf Spitzenniveau kam er nach dem australischen Märchen nur noch einmal, als er in Monte Carlo im Masters-Finale den Kumpel Federer schlug, ansonsten gab es viele Enttäuschungen und auch längere Wettkampfpausen.
Für New York und die US Open gilt deshalb: Tsonga, auch Wawrinka haben ihre Aussenseiterchancen auf den letzten grossen Titel des Jahres 2014. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Dauersieger der letzten Jahre wieder im Arthur-Ashe-Stadion die Trophäe in die Höhe stemmt, ist viel grösser.