Real Madrid kassiert die erste Niederlage der Saison. Das klingt nicht nach Krise, ein Blick auf die Verletztenliste, den Spielplan und vor allem auf das Spiel der Königlichen zeigt aber: Es ist noch viel mehr.
Was Emilio Butragueño als «Direktor für institutionelle Beziehungen» von Real Madrid sonst noch so macht, weiss niemand genau. Staatsgeheimnis. Öffentlich tritt der mythische Ex-Torjäger nach jedem Spiel auf der Ehrentribüne auf, wenn er in seinem Interview die amtliche Analyse vornimmt. Mit diplomatischen Floskeln und blinder Loyalität hat er dabei schon für manch nordkoreanischen Moment gesorgt, so verwunderlich wie am Sonntagabend in Sevillas Estadio Ramón Sánchez Pizjuán hallte der Ruf aus der Parallelwelt allerdings noch selten in die Fangemeinde.
Butragueño bescheinigte Real allen Ernstes ein «sehr gutes Spiel». Er meinte dasselbe Spiel, dessen zweite Halbzeit die Kommentatoren als «Desaster» einstuften, als «Unfähigkeitserklärung» und «Verrat an der Tradition». Das Spiel, über das Kapitän Sergio Ramos sagte, jeder könne «die Adjektive benutzen, die er will», fest stehe bloss, «dass die Dinge überhaupt nicht gut gemacht wurden».
2:3 (1:1) verlor Madrid beim kriselnden Europa-League-Sieger aus Andalusien. Eine halbe Woche nach dem «Wunder vom Bernabéu» (die klubnahe «As» zum irreal glücklichen Champions-League-Sieg gegen Paris St. Germain) rettete diesmal kein Pfosten, keine Latte und vor allem kein Keylor Navas. Dessen brillante Paraden hatten den Zeitpunkt der ersten Saisonniederlage unnatürlich hinausgezögert. Ohne den verletzten Torwart nahm das Unheil wie auf Knopfdruck seinen Lauf.
Der vielseitige Mittelstürmer gilt in Madrid als unersetzbar, weil er das Bindeglied darstellt zwischen den Ego-Shootern Gareth Bale und Cristiano Ronaldo, die auch in Sevilla mal wieder aneinander vorbeispielten. Sofern sie überhaupt am Geschehen teilnahmen: Der bestenfalls halb präsente «CR7» erwarb sich bei «Marca» den neuen Spitznamen «CR3,5». Ansonsten wird fleissig debattiert, ob nun diese Partie die unterirdischste seiner sechs Real-Jahre war – oder doch die fünf Tage zuvor gegen Paris, als er seine Energie vor allem darauf verwand, dem Gegner zu schmeicheln.
So publicityträchtig wie er im Interviewmarathon zur Premiere seines Dokumentarfilms mit einem Weggang flirtete («Warum nicht?»), liess er in den Katakomben vor dem Anpfiff den Real-Präsidenten Florentino Pérez abblitzen («Habe ich so nicht gesagt»), um nach dem Abpfiff dem PSG-Eigner Nasser Al-Khelaifi ein komplizenhaftes Zwinkern zuzuwerfen. Auf dem Spielfeld flüsterte er mit PSG-Trainer Laurent Blanc. Die Zeitung «Le Parisien» will sogar herausgefunden haben, was der Inhalt gewesen sei: «Ihre Mannschaft spielt gut, ich würde gern mit Ihnen arbeiten.»
Ein unzufriedener Superstar, ein Stürmer im Gesetzeskonflikt, Ärzte ohne Vertrauen, ein Trainer ohne Vision und eine Mannschaft ohne Eigenschaften: Auf der Ebene der institutionellen Beziehungen lässt sich das offenbar nicht alles klären.
(Quelle: weltfussball.com)