FCB: 23 Sekunden zwischen Triumph und Trübsinn

Durch ein Tor von Anatole Ngamukol in der vierten Minute der Nachspielzeit stellen die Grasshoppers den Spielverlauf auf den Kopf und bezwingen den FCB mit 1:0. Die Basler verspielen damit den fast schon sicheren vorzeitigen Gewinn des Meistertitels. Der Vorsprung auf GC beträgt nur noch drei Punkte.

93 Minuten, 18 Sekunden: Anatole Ngamukol lenkt den Ball an FCB-Goalie Yann Sommer vorbei ins Tor, Fabian Schär schaut betreten. (Bild: Valeriano Di Domenico/freshfocus)

Durch ein Tor von Anatole Ngamukol in der vierten Minute der Nachspielzeit stellen die Grasshoppers den Spielverlauf auf den Kopf und bezwingen den FCB mit 1:0. Die Basler verspielen damit den fast schon sicheren vorzeitigen Gewinn des Meistertitels. Der Vorsprung auf GC beträgt nur noch drei Punkte.

Ungefähr eine Minute hat dem FC Basel im Letzigrund gefehlt. Eine Minute bis zum Abpfiff und bis zu einem 0:0, mit dem ihm die Meisterschaft nicht mehr zu nehmen gewesen wäre bei sechs Punkten Vorsprung und dem um 18 Treffer besseren Torverhältnis.

Und es hätte noch besser kommen können: Marco Streller eilte in der 93. Minute alleine dem GC-Tor entgegen, entschied sich für einen missglückten Querpass auf Mohamed Salah. Die Chance war auf unfassbare Weise dahin, mit einem 1:0-Sieg den Meistertitel auf dem Rasen des Rivalen zu feiern – und anschliessend auf dem Barfüsserplatz in Basel.

GC wird für erbärmliche Vorstellung belohnt

Aber damit nicht genug: Im Gegenzug düpierten die Grasshoppers einen bis dahin überlegenen FC Basel, stellten die Zürcher den Spielverlauf in grotesker Art und Weise auf den Kopf. Am Pfingstmontag noch durchaus verdient Cupsieger über den FC Basel, hatte GC sechs Tage später den 17’100 Zuschauern im Letzigrund eine über weite Strecken spielerisch erbärmliche Vorstellung geboten – um mit einer Flanke die Basler Abwehr aus den Angeln zu heben.

Drei Minuten und 15 Sekunden der vierminütigen Nachspielzeit waren verstrichen bei Anatole Ngamukols Tor des Tages, da erbebte der Letzigrund unter dem fast ungläubigen Jubel der GC-Anhänger, während sich beim FCB Fassungslosigkeit ausbreitete. «Es ist nicht an mir, zu beurteilen, ob wir auf diese Bälle da vorne gehen und das 1:0 suchen müssen», sagte Bernhard Heusler im ersten Moment der grossen Enttäuschung.

Der FCB-Präsident fand die Leistung seiner Mannschaft hervorragend: «Das war 90 Minuten lang ein Spiel auf ein Tor. Und die anderen schiessen am Ende ein Tor. Das gibt es eben im Fussball.» Heusler hofft, dass man mit dem Resultat umgehen könne und verhehlt seine Anspannung nicht: «Soll ich jetzt relaxed hier stehen und sagen, es sei lustig gewesen?»

Es ist ja nicht das erste Mal, dass sich der FCB in diesem Frühjahr in der Schlussphase eines kapitalen Spiels noch die Butter vom Brot nehmen lässt. Und das, nachdem Murat Yakins Mannschaft und namentlich Marco Streller in den letzten Minuten einen ganzen Strauss von Chancen ausgelassen hatte.

Wenn man die Tore vorne nicht macht…

«Mir fällt da nur der Spruch ein: Wenn man die Tore vorne nicht macht, bekommt man sie hinten», sagte Fabian Frei mit einem Achselzucken. Jener Fabian Frei, der Glück gehabt hatte. Weil er die einzige gelbe Karte des Spiels sah – für ein Foul, das auch mit Rot hätte geahndet werden können. Schiedsrichter Sascha Kever verzichtete in diesem von der Physis geprägten Spiel mit vielen Zweikämpfen ansonsten in irritierender Weise auf die Nutzung seines Kartensortiments.

Auch die Unbeherrschtheit von Fabian Schär, der – nach dem Gegentor mit seinem Zutun – GC-Assistgeber Shkelzen Gashi vor die Brust stiess, blieb ohne Folgen und war nach dieser 94. Minute auch nicht das Thema.

Die Frage bei noch zwei ausstehenden Runden ist, ob diese Niederlage des FCB, dieser neuerliche Nackenschlag nach dem im Penaltyschiessen verlorenen Cupfinal, mehr bedeutet als der Verlust von drei seiner sechs Punkte Vorsprung. Es sind die üblichen Durchhalteparolen, die die bitter enttäuschten Spieler formulierten. «Wir müssen wieder aufstehen», sagte ein sehr niedergeschlagen wirkender Marco Streller. «Wir haben es weiter in den eigenen Händen», meinte Fabian Frei, und Trainer Murat Yakin sagte: «Wir haben noch zwei Chancen. Wir müssen cool bleiben.»

GC-Trainer Forte glaubt an den FC Basel

Die für die Basler tröstlichste Einordnung der Lage kam nach diesem nasskühlen Nachmittag im Mai ausgerechnet vom Trainer des Konkurrenten. «Logisch, wollen wir jetzt Meister werden», sagte Uli Forte nach dem erneuten Husarenstreich seiner Mannschaft. Und neben ihm musste Murat Yakin grinsen. «Aber leider haben wir es nicht in den eigenen Füssen», so Forte, der prophezeit: «Basel wird einen der beiden Matchbälle verwerten – dann ist die Sache erledigt.»

Das Restprogramm im Titelkampf
Runde Datum FC Basel (66 Punkte)
Grasshoppers (63)
35 Mittwoch, 29.5., 20.30 Uhr YB (a) St. Gallen (a)
36 Samstag,   1.6., 20.30 Uhr St. Gallen (h) Lausanne (h)

34 Runden lang haben sich die Grasshoppers dagegen gewehrt, Ambitionen auf den Meistertitel zu formulieren, weil, wie Forte findet, man für eine solche Kampfansage «in die Klapsmühle» gehört hätte. Nun, an einem spielerischen Tiefpunkt seiner Mannschaft, der gleichzeitig einen Höhepunkt an maximaler Effizienz und Fortune darstellt, wittern sie bei GC plötzlich doch noch eine Chance.

Der verwundbare FCB

Und das ist nicht einmal unrealistisch, weil der FCB sich verwundbar zeigt. Weil ihn – nach Jahren des Erfolgs und nach einem Frühling, der ihn in der Europa League bis in die Halbfinals getragen hat, plötzlich in den entscheidenden Momenten, in den grossen Spielen, die Kaltblütigkeit, die Entschlossenheit und das Wettkampfglück verlassen haben. Weil die Mannschaft auf den letzten Metern der Zielgeraden Nerven zeigt.

Murat Yakin hatte auf den verlorenen Cupfinal reagiert, hatte vier neue Kräfte gebracht, und diese nicht von ungefähr: Die Degen-Zwillinge, Cabral und Markus Steinhöfer sind allesamt Spieler, «die wissen, wie man Titel gewinn», so Yakin. Steinhöfer spielte gut, Cabral ordentlich und David Degen so unproduktiv wie in seinen jüngsten Einsätzen zuvor. Philipp Degen machte eigentlich auch ein vernünftiges Spiel – und stand dann doch schlecht, als Frank Feltscher unbedrängt diese letzte Flanke in den FCB-Strafraum schlagen konnte.

Vieles ist Murat Yakin seit Amtsantritt im Oktober gelungen, vieles ist aufgegangen, so wie er es sich ausgedacht hat – und nun hat das Pendel zum wiederholten Mal auf die entgegengesetzte Seite ausgeschlagen. Er machte einen sehr verdrossenen Eindruck nach einer Woche, in der ihm GC und Uli Forte zweimal einen Titelgewinn verwehrt haben. Den einen unwiederbringlich, den anderen kann sich Basel nach wie vor holen. «Nichts gegen Muri», meinte Forte, «aber unser ganz grosses Ziel war es, dass Basel nicht hier in Zürich Meister wird.»

GC trägt noch weniger zum Spiel bei als im Cupfinal

Um diese Absicht zu verwirklichen, trug GC 90 Minuten lang noch weniger zum (unansehnlichen) Spiel bei als sechs Tage zuvor im Cupfinal. Zwei Chancen hatte Fortes Team, einen Kopfball Willian Rochas in der ersten Hälfte, ein Schuss Steven Zubers in der 87. Minute, und dazwischen erwischte Izet Hajrovic Aleksandar Dragovic in dessen einzigem schwachen Moment, aber Fabian Schär stoppte den Cupfinal-Torschützen. Ansonsten hatte GC nichts zu bieten, während der FCB kontrolliert und konzentriert agierte und sich selbst aus einer etwas vorsichtigeren Gangart eine klares Chancenplus erarbeitete.

Wie sich die Basler verunsichern liessen, als GC in der Nachspielzeit alles nach vorne warf und Forte für den erschöpften Verteidiger Rocha in Brahimi einen Offensiven brachte, erstaunte sehr. Was 90 Minuten wenn auch nicht glänzend, so doch als stabiles Mannschaftsgefüge gewirkt hatte, geriet gegen von jetzt auf nachher auf Alles oder Nichts umgepolte Grasshoppers ins Wanken – und fiel.

Es fällt nach diesem so kuriosen Spielverlauf nicht leicht, Fabian Frei zu folgen, der nicht glaubt, dass diese Niederlage nachhaltige Auswirkungen haben wird: «Es bringt nichts, sich gegenseitig verantwortlich zu machen. Unsere Leistung war nicht so schlecht, und es gibt keinen Grund, nervös zu werden. Wir besitzen drei Punkte Vorsprung und haben es immer noch in eigenen Händen.»

Nichts würde mehr wundern – selbst ein Meister GC nicht

Daran wird sich nicht einmal etwas ändern, sollte der FCB auch am Mittwoch in Bern straucheln. Gewinnen die Grasshoppers gleichzeitig in St. Gallen den «kleinen Final» um den Platz in der Champions-League-Qualifikation, hielte Basel im letzten Heimspiel am kommenden Samstag gegen die St. Galler immer noch die etwas besseren Karten in Händen – könnte der FCB mit dem verwandelten dritten und letzten Matchball den vierten Meistertitel in Folge unter Dach und Fach bringen. Und GC würden auch zwei Siege in den letzten zwei Spielen nichts bringen.

Aber seit dieser Niederlage im Letzigrund, bei der zwischen der letzten vergebenen Grosschance des FCB und dem Gegentreffer der Hoppers 23 Sekunden lagen, 23 Sekunden zwischen Triumph und Trübsinn, hält man im Schlussspurt dieses Meisterrennens gar nichts mehr für unmöglich. Selbst einen Meister GC nicht.

Super League, 34. Runde
Grasshoppers–FC Basel 1:0 (0:0)
Letzigrund. – 17’100 Zuschauer. – SR Kever.

Tor: 94. Anatole Ngamukol 1:0 (kommt aus vier Metern vor dem herausstürzenden Sommer an den Ball nach Flanke Feltscher und Kopfballvorlage Gashi).

Verwarnungen: 56. F. Frei (Foul).

GC (4-1-4-1): Bürki; Bauer, Vilotic, Grichting, Rocha (88. Brahimi); Salatic; Hajrovic (69. Feltscher), Abrashi (78. Coulibaly), Gashi, Zuber; Ngamukol. – Ersatz: Taini (T), Hossmann, Gülen.
FCB (4-2-3-1): Sommer; P. Degen, Schär, Dragovic, Steinhöfer; Cabral, F. Frei (90. Serey Die); D. Degen (63. Salah), Diaz (78. Elneny), Stocker; Streller. – Ersatz: Vailati (T), Voser, Sauro, Bobadilla.

Bemerkungen: GC ohne Ben Khalifa (gesperrt), Pavlovic, Toko, Lang und Xhaka (alle verletzt). FCB ohne Yapi und Park (beide verletzt).

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