Mit seinem mühelosen 6:3, 6:2-Sieg gegen Kei Nishikori ist Roger Federer auf dem besten Weg ins Halbfinale der ATP World Tour Finals in London.
Wer Kei Nishikori nach einer Viertelstunde in die Augen blickte, wer ihn zwischen den Ballwechseln über den Centre Court schleichen sah, der hatte schon da einen geschlagenen Mann vor Augen. Einen Mann, der nicht wirklich glaubte, dass er an diesem Tag, in dieser Stunde und in diesem Moment gegen Roger Federer bestehen könnte. Überlebensgross gar musste Federer auch dem zweiten jungen Herausforderer bei diesen ATP World Tour Finals in London erscheinen, denn fast schon gespenstisch souverän und geräuschlos erledigte der 33-jährige Familienvater beim 6:3, 6:2-Sieg am Dienstagnachmittag seine Arbeit.
Es war nicht nur der zweite haushohe Erfolg für den Titel-Mitfavoriten, es war mittlerweile auch im fünften WM-Match der fünfte Auftritt zweier Spieler mit extrem unterschiedlicher Performance – von Spannung, Dramatik und Nervenkitzel war bei diesem bisher lauen Saisonhöhepunkt keine Spur. Dafür allerdings ist Federer ganz und gar nicht zuständig, bisher der einsame Dominator in seiner Vorrundengruppe: «Ich bin glücklich, wie stark ich bisher gespielt habe», sagte der Weltranglisten-Zweite nach dem 69-Minuten-Quickie in der O2-Arena, «die Zuschauer haben trotzdem schönes Tennis gesehen.»
Matte Konkurrenz
Es sieht fast so aus, als habe der erste grosse Qualifikationskampf seit vielen Jahren die Kräfte derer verschlissen, die sich in dem Last-Minute-Ausscheidungsrennen noch einen Platz in London sicherten – dazu zählen nicht zuletzt die Herren Berdych, Raonic und Nishikori. Auch Lokalmatador Andy Murray, der am Dienstagabend im Duell mit Raonic bereits um seinen Verbleib im Turnier fighten musste, machte bei der Auftaktschlappe gegen einen nicht überzeugenden Nishikori einen komplett ausgelaugten, matten Eindruck.
Federer jedenfalls war mit dem zweiten Tennis-Schnelldurchgang und dem 70. Saisonsieg schon so gut wie sicher am Zwischenziel Halbfinale angelangt, die Machtdemonstration gegen den US-Open-Finalisten hielt ihm auch noch alle Optionen im Rennen um Platz 1 der Weltrangliste offen. «Für mich ist Federer gleichberechtigter Favorit auf den Titel hier – zusammen mit Djokovic», sagte Englands früherer Spitzenmann Tim Henman.
Was Federer in der letzten Saison nur sehr sporadisch zeigen konnte, am ehesten noch beim Abschlussturnier in London, zeigt er 2014 wieder in beeindruckender Regelmässigkeit – seine Leistungskonstanz auf höchstem Niveau und die Stärke gegen die besten Spieler der Welt. 2013 schloss Federer mit einer Gewinnrechnung von 45:17 ab, dabei erzielte er gegen Top Ten-Rivalen nur vier Erfolge, holte einen Titel. Und nun? Schon jetzt steht er bei einer Bilanz von 70:11, hat 15 Mal gegen einen aus dem Top-Ten-Revier gewonnen und sich fünf Turnierpokale gesichert.
Überlegen geführtes Spiel
Es ist ein Comeback ganz oben in der ATP-Spitze, das alles andere als selbstverständlich ist, nicht einmal für einen mit Federers Qualitäten. «Man kann immer wieder nur staunen, was Roger alles schafft, was er leisten kann», sagt Goran Ivanisevic, der Trainer von US Open-Gewinner Marin Cilic, «das ist schon phänomenal.»
Gegen Nishikori war Federers Überlegenheit früh so mächtig, dass sich die Zuschauer allenfalls an der Ästhetik eines überlegen geführten Spiels bescheiden erfreuen konnten. Schnell zog Daddy Cool mit 4:1 davon, holte sich nach 35 Minuten den ersten Satz in diesem Match, das keinen wirklichen Duell-Charakter besass. Wer unter den 17’500 Zuschauern geglaubt oder gehofft hatte, an dieser Überlegenheit werde sich im zweiten Satz irgendwas verändern, sah sich bald getäuscht: Wieder rauschte Federer rasch weg und beraubte Nishikori aller Illusionen, mit dem Doppelbreak zum 5:2 war die Messe endgültig gelesen.
Der Rest war bloss noch Formsache für Federer – einmal mehr war alles Roger in der O2-Arena und beim WM-Schlussturnier, bei dem er so gut wie sicher zum 12. Mal bei 13 Teilnahmen im Halbfinale stehen wird.