Viel fehlte nicht für den Finaleinzug. Aber einige ungünstige Wendungen beendeten Roger Federers unerwartet starken Wimbledon-Auftritt auf unglückliche Weise.
Auf der Rückseite seiner Schuhe war in diesem Jahr neben einem kleinen London-Panorama auch die Zahl 7 aufgedruckt, sieben für sieben Grand Slam-Titel hier im All England Lawn Tennis Club. Gern hätte Roger Federer diese Nummer für seinen nächsten Wimbledon-Einsatz ausgetauscht, gern hätte er seine spektakuläre Turniermission des Jahrgangs 2016 mit einem Rekordcoup veredelt.
Doch am Freitagnachmittag verliess der sentimentale Publikumsliebling mit hängenden Schultern den Centre Court, den Schauplatz, an der er seiner grossen Karriere die grössten Glanzlichter aufgesetzt hatte. «Die Frustration ist schon gross», sagte Federer nach einer bitteren 3:6, 7:6 (7:3), 6:4, 5:7, 3:6-Halbfinalniederlage gegen den Kanadier Milos Raonic, der nun als erster Spieler seines Landes am Sonntagnachmittag (15 Uhr) um den Titel beim prestigeträchtigsten Tenniswettbewerb des Planeten kämpfen wird. Gegner werden dann entweder Lokalmatador Andy Murray oder der Tscheche Tomas Berdych sein.
Wie stets in den vergangenen Jahren musste Federer nach einem sieglosen Abgang vom Centre Court auch Spekulationen dämpfen, die über einen möglichen letzten Wimbledon-Einsatz raunten – auch weil sich Federer mit etwas melancholischer Miene von den Fans verabschiedet und ins Publikum gewinkt hatte: «Damit das klar ist: Das war nicht mein letztes Wimbledon», beschied der Eidgenosse einen britischen Reporter, «ich gehe immer mit höflichen Gesten vom Platz. Da gibt es nichts rein zu interpretieren.»
Doch eins war auch klar nach diesem irgendwie verschenkten Sieg, nach dem ersten verlorenen Halbfinale überhaupt an der Church Road nach zuvor zehn Siegen in dieser Runde: Die Chancen auf den begehrten, ersehnten achten Titel werden nicht grösser, schon gar nicht nach diesem Jahr, in dem der hartnäckige Spielverderber Novak Djokovic in der ersten Woche ausgeschieden war. «Die Konkurrenz wird noch massiver werden. Es wird schwer, sehr schwer für Roger», sagte der australische Ex-Sieger Pat Cash.
Milos Raonic, der Mann mit dem sanften Gesicht und den knallharten Punches. (Bild: Reuters)
Federer, der sagte, er habe sich nach dem bisherigen Saisonverlauf «selbst überrascht» in Wimbledon, leistete sich in fünf Sätzen und 205 Spielminuten gegen Raonic nur 14 einfache Fehler. Aber in der alles entscheidenden Matchphase war bei ihm auch eine gewisse Anspannung zu spüren, der Druck, das Wissen, nicht mehr so viele Zugriffsmöglichkeiten auf den Pokal im Tennistempel zu haben. Als Raonic plötzlich, wie aus dem Nichts, seine Chance witterte und einen Gang höher schaltete, konnte Federer nicht mehr zusetzen – erst recht nicht nach dem Sturz-Schock kurz vor Schluss.
«Es lief schon gegen mich, bevor ich da hinfiel», sagte Federer, «das war enttäuschend. Ich dachte eigentlich, ich hätte die Sache im Griff.» Debütant Raonic profitierte derweil gleich bei seinem ersten Grand Slam-Finaleinzug von der Expertise seines Beraters John McEnroe. Der hatte ihm vor der Partie gesagt, er müsse «alles, absolut alles draussen auf dem Platz lassen» und «mit breiter Brust bis zum Sieg kämpfen.» Nichts weniger als dies tat Raonic, der Mann mit dem sanften Gesicht und den knallharten Punches.