Feind des Superlativs – der neue Bayern-Trainer

Bis vor Kurzem lästerte Carlo Ancelotti noch über den FC Bayern. Die Münchner würden ihn langweilen. Jetzt trainiert der bescheidene Italiener den Seriensieger.

«Bene, tutto bene»: Dem neuen Bayern-Coach Carlo Ancelotti sind Extravaganzen suspekt.

(Bild: Keystone)

Bis vor Kurzem lästerte Carlo Ancelotti noch über den FC Bayern. Die Münchner würden ihn langweilen. Jetzt trainiert der bescheidene Italiener den Seriensieger.

In Spanien populärster Sportradiosendung «Carrusel Deportivo» werden die Fussball-Trainer von einem Komiker parodiert. Bei Carlo Ancelotti hatte er es immer leicht. «Wir haben gut gespielt», murmelte der Imitator etwa, und man meinte, den Kaugummi schmatzen zu hören, oder: «allen geht’s gut», «Training war gut», «Spieler sind gut». Wo bei Pep Guardiola die Dinge «super», «supersuper» oder gar «supersupersuper» waren, macht es sein Nachfolger gern eine Euphoriestufe darunter: Bene, tutto bene.

Immer zuversichtlich, nie überschwänglich: Ancelotti ist gewissermassen der natürliche Feind des Superlativs. Den überdrehten Fussball unserer Tage an einigen seiner überdrehtesten Standorte wie zuletzt Real Madrid stets entdramatisiert zu haben, ist neben seinen fachlichen Qualitäten vielleicht die herausragende Kompetenz des 56-jährigen Italieners. Vor allem die Superstars des Gewerbes wissen zu schätzen, dass ihnen da einer mit maximaler Normalität begegnet.

Das berüchtigte Grossmaul Zlatan Ibrahimovic beispielsweise wird geradezu zahm, wenn er über Ancelotti spricht. «Den besten Trainer, den ich in meiner ganzen Karriere hatte», nennt er seinen ehemaligen Coach bei Paris St. Germain; und Ibrahimovic hatte etliche Trainer.

«Landwirtschaft hat viel mit dem Fussball zu tun.»
Carlo Ancelotti, Bauernsohn 

«Die Intelligenz der Leute, die auf dem Land arbeiten» hat ihm sein Mentor Arrigo Sacchi mal attestiert. «Mein Charakter kommt von dort», sagt auch Ancelotti über seine Herkunft aus Reggiolo in der Emilia, dem agrarischen Herzen Italiens. Schon als Kind half er seiner Familie mit den Kühen und lernte Parmesan herzustellen. «Es mag sich seltsam anhören, aber Landwirtschaft hat viel mit dem Fussball gemeinsam. Der Bauer melkt die Kuh, macht aus der Milch den Käse, lässt ihn reifen, versucht ihn zu verkaufen, und erst am Ende wird er bezahlt. Man braucht Ruhe, Geduld und Planung.»

Schon als Spieler des AC Milan der späten 1980er und frühen 1990er Jahre war er ein ausgewiesener Stratege. Die Fans mögen aus jenem legendären Team vor allem Franco Baresi, Paolo Maldini und das holländische Trio Frank Rijkaard, Ruud Gullit und Marco van Basten erinnern. Für ihren Trainer Sacchi war der entscheidende Mann hingegen Ancelotti. Wochenlang lag er Silvio Berlusconi in den Ohren, dass er unbedingt diesen Mittelfeldmann vom AS Rom brauchte. Der Milan-Eigentümer versuchte, Sacchi unter dem Hinweis auf Ancelottis Knieprobleme abzuwimmeln: «Er ist nur bei 20 Prozent!». Doch Sacchi entgegnete: «Sein Knie ist mir egal, mich würde nur stören, wenn sein Kopf verletzt wäre, aber der ist bei 200 Prozent.»

Mann für die Champions League

Bei Milan reüssierte Ancelotti dann später auch als Trainer, wie schon als Aktiver gewann er mit dem Verein zweimal die Champions League (Europapokal der Landesmeister), 2003 und 2007. Regelmässig schlug er den FC Bayern, vier Siege und zwei Remis gab es in der Gruppenphase 2002/03, dem Achtelfinale 2005/06 und dem Viertelfinale 2006/07. Nachdem er an seinen folgenden Stationen Chelsea und Paris St. Germain «nur» nationale Titel gewinnen konnte, glänzte er bei Real Madrid wieder in seinem Lieblingswettbewerb, erneut gegen die Bayern – der 4:0-Auswärtssieg im Halbfinale 2014 gegen Guardiola dürfte ihn an der Säbener Strasse endgültig ganz oben auf der Wunschliste positioniert haben.

Tatsächlich kann es gegen die Liaison zwischen dem FC Bayern und Ancelotti eigentlich nur einen Einwand geben: es scheint zu perfekt zu passen. Ein Italiener in München, ein ausgleichender Charakter in der Tradition von Hitzfeld und Heynckes, ein Mann mit Händchen für Stars mit einem Kader voll davon. «Ein absoluter Toptrainer», wie Madrids Toni Kroos im Sommer sagte, als er wie Cristiano Ronaldo oder Kapitän Sergio Ramos gegen den drohenden Rauswurf Ancelottis antichambrierte.

Letztlich erfolglos – nicht auf sein Team gehört zu haben, gilt bis heute als historische Dummheit von Real-Präsident Florentino Pérez und Ursprung vieler der aktuellen Übel Madrids. Nun landete der Liebling von Fans und Spielern ausgerechnet beim europäischen Erzivalen Bayern.

«Ich muss zugeben, dass ich seine Spiele nicht geniessen kann.»
Ancelotti über den FC Bayern 

Aus Madrid kennt Ancelotti noch Xabi Alonso, seinen «Professor», wie er ihn in der gemeinsamen Saison ehrfurchtsvoll nannte. Wäre es nach ihm gegangen, hätte Real den Basken nie verkauft, aber ob bei Berlusconi, Chelseas Abramowitsch, den Scheichs des PSG oder zuletzt Pérez – er war immer zu intelligent, um sich gegen Dinge zu stemmen, die er nicht ändern kann. Vor seiner Bekanntschaft mit der letzten der fünf grossen europäischen Ligen hat Ancelotti schon jede Menge erlebt.

FC Hollywood? Die einzige Gefahr ist wohl, dass er sich langweilen könnte. «Der FC Bayern gewinnt die Bundesliga, ohne die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen», lästerte er noch kürzlich. «Ich muss zugeben, dass ich seine Spiele nicht geniessen kann.»

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