Für eine Handvoll Extrapower

Verleihen neun Prozent mehr Schlägerfläche Roger Federer einen neuen Schub? Eine Frage, die auch beim Heimturnier in Gstaad nach Antworten sucht. Mit dem neuen Big-Size-Racket ist Federer auf jeden Fall auf Höhe mit seinen Kontrahenten.

Der neue Schläger soll Federer dabei helfen, seinen Platz an der Weltrangspitze zu verteidigen. (Bild: Keystone/AXEL HEIMKEN)

Verleihen neun Prozent mehr Schlägerfläche Roger Federer einen neuen Schub? Eine Frage, die auch beim Heimturnier in Gstaad nach Antworten sucht. Mit dem neuen Big-Size-Racket ist Federer auf jeden Fall auf Höhe mit seinen Kontrahenten.

Als Roger Federer am Abend des denkwürdigen 26. Juni 2013 in Wimbledon über seine Zweitrunden-Niederlage gegen den Ukrainer Sergej Stachowski sprach, übers erste Scheitern vor einem Grand Slam-Viertelfinale seit knapp zehn Jahren, da verkündete der Schweizer ganz nebenbei auch noch ein Stück Firmenphilosophie.

Freilose in Gstaad

Sowohl Roger Federer als Nummer 1 des mit knapp 600’000 Franken dotierten Turniers als auch Stanislas Wawrinka geniessen in Gstaad ein Freilos und steigen erst in Runde 2 ein.

Nach solchen Ereignissen, belehrte Federer damals einen gar zu vorwitzigen Reporter, «gilt die 24-Stunden-Regel». Sprich: Keine Panik, kein Chaos vorschneller Entscheidungen, keine Hals-über-Kopf-Direktiven im Unternehmen «RF». Stattdessen sei wichtig, so Federer, «schnell wieder einen klaren Kopf zu bekommen, einen Plan B zu haben».

Was bei diesen Überlegungen zunächst herausgekommen ist, war in der vergangenen Woche am Hamburger Rothenbaum zu besichtigen – nicht so sehr der Start als solcher bei Deutschlands traditionsreichstem Tennisturnier, sondern das Arbeitsgerät, das Federer bei seinem Überraschungsbesuch vorstellte.

Mit 632 Quadratzentimetern in die Zukunft

Auf seine alten Tage im Wanderzirkus ist Federer noch einmal eine neue Zweierbeziehung eingegangen, erstmals hielt er auf dem Centre Court der Hansestadt ein Grosskopf-Racket seiner US-Schlägermarke Wilson in der Hand, mit einer neuen Trefferfläche von 98 Quadratinches (632 Quadratzentimeter).

An der einschneidenden Bedeutung der frischen Liasion liess Federer keinen Zweifel: «So ein Schlägerwechsel ist eine der grössten Veränderungen, die du als Profi überhaupt vornehmen kannst.» Nach dem Aus gegen Stachowski, gab Federer in Hamburg zu Protokoll, habe er gedacht, es sei nun Zeit, etwas Neues auszuprobieren: «Ich hatte genügend Zeit, das Racket noch einmal verschärft zu testen. Wir probieren schon länger an verschiedenen Varianten. Insoweit war es kein Sprung ins kalte Wasser.»

Sofort nach Federers Entschluss, künftig einem neuen Arbeitspartner vertrauen zu wollen, war ein Team der Ausrüsterfirma in die Schweiz gereist. Tagelang unterstützte die Crew den Baselbieter bei der Umsetzung seiner Wünsche und sorgte für die Feinjustierung des Geräts. Profikollegen wie Tommy Haas wunderte das alles nicht, im Gegenteil: «Roger möchte seinen Platz in der absoluten Weltspitze halten, da sollte er auch die moderne Technologie ausnutzen», sagte der deutsche Kollege und Freund.

Annacone, Sampras’ Ex-Trainer, soll den Impuls gegeben haben

Federer hatte auch einen in seiner Entourage, der ihm ganz besonders zum Wechsel riet, aus leidvoller Erfahrung nämlich. Paul Annacone, der US-amerikanische Trainer, hatte vor mehr als einem Jahrzehnt in Diensten von Pete Sampras miterlebt, wie der sich einer neuen Schlägergeneration verweigerte und sich später bitterlich darüber ärgerte.

«Annacone war der Mann, der hier den entscheidenden Impuls gab», sagt einer aus dem Federer-Team. Sampras spielte zum Ende seiner Laufbahn mit einem 85 Quadratinches-Schläger, also noch einmal mit kleinerer Fläche als der, mit dem Federer zuletzt in Wimbledon agierte.

Schon vor dem ersten Ballwechsel in Hamburg und der offiziellen Bestätigung Federers hatte in den Weiten des Internets das grosse Raunen und Spekulieren über den sogenannten «Zauberstab» angehoben. Doch wie ein Magier trat der verunsicherte Superstar mit dem schwarz lackierten Erlkönig noch nicht auf, mit jenem nach der Testphase zusammengebauten Prototypen.

Der Balanceakt zwischen Vor- und Nachteilen des Rackets

Noch muss Federer in einem schwierigen Balanceakt die Vor- und Nachteile des neuen Geräts austarieren – die vergrösserte Trefferfläche und die engere Saitenbespannung eröffnen ihm zwar einerseits mehr Power und lassen auch mehr Fehler zu, ganz einfach, weil der optimale Trefferpunkt (sweet spot) nun erweitert ist. Zugleich könnte aber auch die Genauigkeit beim Artisten Federer Schaden nehmen, etwa bei Volleys.

Am Freitag, nach seinem Viertelfinalsieg gegen den Deutschen Florian Mayer, sagte Federer, er bekomme den Schläger immer besser in Griff. «Es fühlt sich mehr und mehr natürlich an, mit ihm zu spielen.» Es gelte auch, anfängliche Schwierigkeiten zu akzeptieren, sozusagen als Teil eines Optimierungsprozesses: «Ich kann jetzt nicht sagen: Ich habe dieses und jenes Problem, das war’s. Nein, ich will schon bei diesem neuen Racket bleiben.»

Federer reiht sich mit gebührender Verzögerung ins Herr der Weltklassespieler ein, die schon geraume Zeit mit einem Big-Size-Schläger operieren. Profis wie Rafael Nadal oder Novak Djokovic arbeiten mit einem Handwerksgerät, das sogar eine Schlägerfläche von 100 Quadratinches umfasst, Murray geht mit einem Racket mit 98 Quadratinches in seine Matches – also einer identischen Grösse wie jener bei Federers Prototypen.

Wimbledon markiert die Zeitenwende

«Ich glaube, Roger hat einfach zuletzt gemerkt, dass ihm eine gewisse Power fehlte. Und dass er in der rasanten Geschwindigkeit des modernen Spiels plötzlich zu viele Fehlschläge hatte», sagt Mats Wilander, der frühere Weltranglisten-Erste aus Schweden. Die vergrösserte Schlägerfläche von neun Prozent, die einer Handfläche entspricht, sei «enorm», so Wilander, «es wird insofern eine Zeit brauchen, bis Federer diesen Anpassungsprozess vorgenommen hat – eigentlich ist das etwas für die Pause zwischen zwei Spielzeiten.»

Doch Federer nimmt die Beschwernisse in Kauf, ganz nach dem Motto: Aussergewöhnliche Ereignisse verlangen aussergewöhnliche Massnahmen. Und als solche darf der Sturz von Wimbledon durchaus gelten, der fatale Knockout gegen Stachowski schon in der zweiten Runde.

Er war, wie sich nun herausstellt, tatsächlich eine Art Zeitenwende. Für Federer in jedem Fall, wie der aufsehenerregende Schlägerwechsel illustriert. Ob es auch für das Profitennis eine Wende bedeutet, bleibt noch offen. Und hätte dann auch mit diesem neuen Racket zu tun.

ATP-Weltrangliste vom 22. Juli 2013
Rang Vorname Nachname Land Punkte
1. Novak Djokovic Serbien 12310
2. Andy Murray Grossbritannien 9360
3. David Ferrer Spanien 7120
4. Rafael Nadal Spanien 6860
5. Roger Federer Schweiz 5875
6. Tomas Berdych Tschechien 4865
7. Juan Martin Del Potro Argentinien 4500
8. Jo-Wilfried Tsonga Frankreich 3480
9. Richard Gasquet Frankreich 3045
10. Stanislas Wawrinka Schweiz 2915
11. Kei Nishikori Japan 2495
12. Tommy Haas Deutschland 2395
13. Milos Raonic Kanada 2225
14. Nicolas Almagro Spanien 2135
15. Marin Cilic Kroatien 2075
16. Gilles Simon Frankreich 2055
17. Jerzy Janowicz Polen 2029
18. Janko Tipsarevic Serbien 2025
19. Fabio Fognini Italien 1970
20. Sam Querrey USA 1730
158. Marco Chiudinelli Schweiz 349
187. Henri Laaksonen Schweiz 257
347. Sandro Ehrat Schweiz 116
357. Stéphane Bohli Schweiz 110
362. Michael Lammer Schweiz 108
427. Adrien Bossel Schweiz 85
606. Yann Marti Schweiz 41
701. Joss Espasandin Schweiz 28
823. Alexander Ritschard Schweiz 18
829. Alexander Sadecky Schweiz 17
874. Riccardo Maiga Schweiz 15

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