Sie macht so eine Art Stipvisite bei den Weltmeisterschaften: Selina Gasparin sattelt kurzfristig vom Biathlon zum Langlauf um und hüpft gleich nach ihrem Rennen ins Auto, um wieder in ihrer Kernsportart zu starten.
Sie kam zuletzt. Und doch gelang es Selina Gasparin am Medientreff von Swiss Ski ohne Probleme, das Interesse der Journalisten auch nach Simon Ammann, den jungen wilden Skispringern und den etablierten Langläufern Remo Fischer und Toni Livers wach zu halten. Das überraschte auf den ersten Blick. Medaillenanwärterin im heutigen Rennen über zehn Kilometer Freistil ist die 29-Jährige aus Samedan nicht (ab 12.45 Uhr, SRF2). Aber Selina Gasparin hat eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen und das tat sie mit Begeisterung und innerem Feuer.
Mit dieser Teilnahme an den nordischen Ski-Weltmeisterschaften hatte Selina Gasparin bis am vorletzten Sonntag nicht einmal geliebäugelt. Aber beim Weltcup-Distanzrennen in Davos nutzte sie die Möglichkeit zum temporären Spartenwechsel vom Biathlon zum Langlauf. Mit Erfolg. Sie belegte Rang 21 und wurde daraufhin von Langlauf-Nationaltrainerin Guri Hetland sofort gefragt, ob sie nicht auch an den WM starten wolle. «Warum nicht?», sagte sich die Athletin. In ihrer angestammten Sparte Biathlon gab es nach den Weltmeisterschaften sowieso eine kurze Wettkampf-Pause.
Zurück zur alten Liebe
«Das wird eine besondere Herausforderung», ist sie sich bewusst. Und meint nicht nur den Wettkampf, sondern auch das Danach: Gleich am Abend nach dem Rennen geht es zurück zum Biathlon. Mit dem Auto wird sie nach Innsbruck gefahren, von wo es mit dem Flugzeug nach Oslo weitergeht. In Norwegens Hauptstadt stehen ab Freitag die nächsten Biathlon-Weltcup-Prüfungen an. «Ich muss im Rennen rasch unterwegs sein, damit diese Planung aufgeht», lacht sie.
Im Gegensatz zu den aufstrebenden jungen Biathletinnen – Patricia Jost wurde am Sonntag Junioren-Europameisterin – hatte Selina Gasparin ursprünglich auf den Langlauf gesetzt. Zum Wechsel entschied sie sich, nachdem Swiss Ski keine Unterstützungsbeiträge zahlen wollte, als sie in Norwegen mit dem Sport- und Bewegungswissenschaft-Studium begonnen hatte. Sie schnupperte Biathlon-Luft und fand Gefallen, obwohl sie im ersten Wettkampf bei 18 von 20 Schüssen nicht traf. Sie erkannte, wo sie investieren musste, entdeckte eine neue Begeisterung und Herausforderung. Nach einem Jahr Bedenkzeit sattelte sie um. Mittlerweile zählt sie zur erweiterten Biathlon-Weltklasse.
Wenig Anhaltspunkte
Berührungspunkte mit den Langläuferinnen sind selten geworden. Zwar trainiert sie oft mit der Kaderathletin Doris Trachsel, kam schon zu Podestplätzen am Engadin Skimarathon und am Dolomitenlauf, aber international fehlen die Anhaltspunkte weitgehend. «Bei den Langläuferinnen gibt es doch einige Megamaschinen», sagt sie. Gelingt ihr ein vergleichbares Ergebnis wie in Davos, ist sie zufrieden. Die Top 30 betrachtet die einzige Schweizer Distanzläuferin dieser WM-Delegation als realistisch.
Und was sind die grössten Herausforderungen für sie als Rückkehrerin? «Langläuferinnen können sich unterwegs nicht hinlegen und ausruhen», sagt Selina Gasparin mit breitem Schmunzeln. Im Biathlon ist die grösste Herausforderung der Wechsel zwischen hochintensiver Belastung beim Skaten und dem Erreichen des Ruhepulses während dem Schiessen. Langläuferinnen dagegen bewegen sich andauernd im Grenzbereich. Sind es, wie Selina Gasparin hervorstreicht, «gewohnt im roten Bereich zu laufen». Wie sie mit dem zurecht kommen wir, fragt sie sich selber.