Basel im Federer-Fieber – und das Frauentennis? Auf der Suche nach einem neuen Sponsor benötigt die WTA bei den Championships in Istanbul einen der seltenen Auftritte von Serena Williams auf der Tour. Die US-Amerikanerin ist nicht nur die heimliche Nummer 1, sondern auch eine der wenigen Spielerinnen mit globalem Appeal.
Wenn Stacey Allaster hin und wieder zu einer Siegerehrung auf einen Centre Court marschiert, dann könnte man sie aus der Ferne fast für ein Ballmädchen halten. Die Chefin der Tennisspielerinnen-Gewerkschaft WTA misst gerade mal 160 Zentimeter, sie gilt als Führungskraft mit napoleonischen Umgangsformen und resolut im Ton.
In diesen Tagen der WTA-Weltmeisterschaft in Istanbul könnte man allerdings meinen, dass Allaster sich noch ein gutes Stück kleiner macht und fast ehrfurchtsvoll in die Knie geht, wenn sie über ihren besten Exportartikel spricht. «Serena Williams ist eine herausragende Persönlichkeit, eine Spielerin als Modell fürs Frauentennis», sagt die WTA-Leiterin, ohne mit der Wimper zu zucken, «sie liebt diesen Sport bedingungslos.»
Serena Williams Siegeshunger kommt wie gerufen
Allaster nimmt es aus Marketinggründen mit der reinen Wahrheit nicht immer so ganz genau, aber sie muss die 15-malige Grand Slam-Königin gerade so ins sehr ins Herz schliessen, weil sie ihre faszinierende Präsenz und Energie braucht. Über viele Jahre haben die Williams-Schwestern – Serena, die Jüngere, und Venus, die Ältere – zwar wenig Interesse am schnöden Alltag des Tourbetriebs gezeigt und ihr Interesse nur auf die Grand Slam-Turniere konzentriert. Aber da die 31-jährige Serena in dieser Saison ausnahmsweise mal nicht nach den US Open das Arbeitsjahr gedanklich beendet hat, nutzt Allaster ihre Anwesenheit und ihren Siegeshunger gleich für ein bisschen PR-Trommelei für potentielle Partner.
Es geht, was sonst, ums liebe Geld – und da hat die WTA-Tour derzeit ein nicht unbedeutendes Problem: Nach sonnigen Jahren mit einem international bedeutenden Sponsoring-Unternehmen (Sony-Ericsson) läuft der 88 Millionen Dollar-Deal zum Ende der Saison aus, also schon an diesem Wochenende. Und ein neuer Geldgeber ist noch nicht in Sicht, auch weil das Produkt Männertennis in der Ära einer goldenen Generation mit Federer, Nadal, Djokovic und Murray attraktiver ist.
Die beliebige und labile Hackordnung des Frauentennis
In der Damen-Abteilung gibt es eigentllich nur drei Spielerinnen mit einem wirklich globalen Appeal – die beiden Williams-Schwestern und Maria Scharapowa. Da sie alle drei in den letzten Jahren wiederholt verletzt waren, wirkte die Hackordnung im Frauentennis oft genug beliebig und labil, zwischen Anfang 2010 und Mitte 2011 gab es sieben verschiedene Grand Slam-Siegerinnen hintereinander.
Erst seit Serena wieder von ihrer lebensbedrohlichen Lungenembolie genesen ist, kehrte eine gewisse Stabilität auf höchstem Niveau zurück. In diesem Jahr gewann die Amerikanerin in Wimbledon, bei den Olympischen Spielen und dann auch bei den US Open. Dass es mit ihrer engen Liasison zur WTA-Tour und der Spielerinnenorganisation nicht allzu weit her ist, zeigt der Umstand, dass sie auch jetzt nicht die Nummer 1 in der Weltrangliste ist.
Nach den US Open spielte Williams bis Istanbul beispielsweise kein einziges Match mehr, während sich die Azarenkas, Scharapowas und Kerbers weiter munter durch die Weltgeschichte bewegten. «Sie hat im Grunde nur ein herausragendes Interesse in dieser Phase ihrer Karriere. Und das sind die Grand Slams», sagt Patrick McEnroe, der Sportdirektor des amerikanischen Verbandes USTA.
Williams‘ unvergleichliche Bilanz
15 Majors hat sie gewonnen, dazu aber nur weitere 30 Titel in einer Karriere, die noch im alten Jahrhundert begann. Kein Vergleich zu jenen Spielerinnen, an denen sie sich selbst gern misst: Martina Navratilova mit ihren 167 Turniersiegen, Chris Evert mit ihren 154 Erfolgen – und auch Steffi Graf mit 107 Turniertriumphen, von denen 22 bei Grand Slams errungen wurden. «Sie hat sich nie so ausdauernd wie diese Spielerinnen dem Tennis verschrieben. Aber wenn sie irgendwo spielt, dann mit bedingungslosem Einsatz», sagt Tracy Austin, die ehemalige Nummer 1-Spielerin.
Das dürfte auch für Istanbul und den Anlauf zum dritten Masters-Titel nach 2001 in München (kampfloser Finalsieg gegen Lindsay Davenport) und 2009 in Doha (Erfolg im Schwestern-Duell gegen Venus) gelten. Gegen die Deutsche Angelique Kerber (6:4, 6:1), gegen die Chinesin Li Na (7:6, 6:3) und die aktuelle Weltranglistenerste Victoria Azarenka aus Weissrussland (6:4, 6:4) war die heimliche Führungsfrau, die auch dieses Jahr nicht als Nummer 1 beenden wird, in der Vorrunde schon mal ganz klar die Chefin im Haus.
In den Sinan Erdem Dome am Bosporus, wo das begeisterungsfähige türkische Publikum das Jahresendturnier ein zweites Mal zu einem stimmungsvollen Event macht, kam die 2012 vielbeschäftigte, weil durchweg fitte Amerikanerin mit einer Bilanz von 53:4-Siegen. Und wenn es nach den Prognosen aller Experten geht, dürfte sich an den guten Zahlen auch bis zum Sonntag nicht viel ändern. In ihrem zweiten «Alles andere als ein Sieg von Serena wäre eine echte Sensation», sagt Nick Bollettieri, der berühmteste Trainer der Welt.