Wenn nicht eine Medaille für Lara Gut und damit für die Schweiz herausgesprungen wäre und wenn Siegerin Tina Maze ihre Ausnahmestellung in diesem Ski-Winter nicht unterstrichen hätte – der Super G zum WM-Auftakt in Schladming ginge glatt als Fehlstart durch zu einer Veranstaltung, die selbst gerne die beste aller Zeiten ihrer Art wäre.
Tina Maze drehte im Ziel wie eh und je ihr Glücksrad und sang auf dem Podest ausgelassen die slowenische Hymne. Die Schweizerin Lara Gut fiel ihrem österreichischen Cheftrainer Hans Flatscher um den Hals und liess als Zweite ihre Siegerfäuste sprechen. Und daneben präsentierte sich die US-Amerikanerin Julia Mancuso als lachende Dritte – auf den ersten Blick verriet das erste Siegerpodest dieser 42. Ski-Weltmeisterschaft nichts über das ungewöhnliche und unwürdige Startrennen von Schladming.
Wenn es das Wetter zulässt – für Schladming ist am Mittwoch vormittag leichter Schneefall vorhergesagt – starten die Männer um 11.00 Uhr (ab 10.30 Uhr in SFR2) zu ihrem WM-Super-G. Mit Nummer 2 geht Silvan Zurbriggen ins Rennen, erst spät folgen auf der Startliste Carlo Janka (26), Patrick Küng (27) und Didier Défago (29).
Super-G-Business as usual hätte man angesichts der Top 3 meinen können. Der erwartete Auftakt nach Maze. Doch was in Schladming in den Stunden vor der Siegerehrung am späten Nachmittag alles passiert ist, das hatte tatsächlich mit einem normalen Ski-Rennen nur wenig gemein. Geschweige denn mit einem werbewirksamen Startschuss zu Titelkämpfen, die als beste Ski-WM aller Zeiten in die Geschichte eingehen sollen.
Vonns Horrorsturz, und Nebel, Nebel, Nebel
Da war Superstar Lindsey Vonn, die einen Horrorsturz fabrizierte und sich laut Aussage der Ärzte im Schladminger Krankenhaus eine komplexe Knieverletzung zugezogen hat.
Da waren zahlreiche Mitfavoritinnen wie Anna Fenninger, Maria Höfl-Riesch oder Tina Weirather, die sich im Kurs verirrten und wie Anfänger an Toren vorbeifuhren.
Da waren 23 Rennläuferinnen aus aller Welt (Kasachstan, Neuseeland, Argentinien), die eigens zur WM angereist waren, aber erst gar nicht auf die Strecke durften, weil der Super-G nach 36 Starterinnen abgebrochen wurde.
Da war auch ein österreichischer Fan, der sich auf dem Berg verirrt hatte und plötzlich mitten auf der Piste stand.
Da war auch noch ein Pistenarbeiter, der sich während des Rennens einen folgenschweren Ausrutscher leistete, sich die Nase brach und nach langer Unterbrechung mit einem Helikopter ins Tal gebracht werden musste.
Und da war vor allem Nebel, Nebel und nochmals Nebel.
Fans und Fahrerinnen löffeln die Suppe aus
Es war eigentlich von Anfang an kein guter Tag für einen Speed-Bewerb, bei dem die Läuferinnen mit mehr als 100 Stundenkilometer den Berg hinunterrasen.
Im Ennstal hatte sich seit dem Morgen eine dicke Nebelbank ausgebreitet. Fans und Läuferinnen mussten stundenlang diese Nebelsuppe auslöffeln. Zu einer Absage konnten sich die Verantwortlichen aber nicht durchringen. Zumal das dichte WM-Programm ohnehin nur wenig Spielraum für Verlegungen auf einen anderen Tag zulässt und eine Absage auch einen enormen logistischen Aufwand bedeutet, weil die Tickets zurückerstattet werden müssen.
So hingen also alle in der Warteschleife. Eine Verschiebung folgte auf die andere: Erst von 11 Uhr auf 11.30, dann auf 11.45, 12.00, 12.15, 12.30, dann weiter auf 12.40 Uhr, 13.00, 13.30, 13.45, 14.00, 14.15 Uhr.
Als der Super-G dann schliesslich um 14.30 Uhr mit dreieinhalbstündiger Verspätung doch noch gestartet wurde, war das Rennen insgesamt zwölf (!) Mal verschoben worden. «Wir hatten einen sehr schwierigen Tag», gab Peter Schröcksnadel zu, der Präsident des Österreichischen Skiverbandes.
Selbst langjährige WM-Begleiter können sich nicht an ein ähnliches Terminchaos bei einem Ski-Rennen von WM-Format erinnern. Maria Höfl-Riesch, die es nicht bis ins Ziel schaffte, brachte es auf den Punkt: «Ich bin nur froh, an einem so verrückten Tag heil herunten zu sein.»
Vonns rechtes Knie: Alles kaputt
Für ihre Freundin und Rivalin Lindsey Vonn kam es schlimm. Der Start in die WM war für die US-Amerikanische Speed-Queen zugleich das schmerzhafte Ende des Winters. Bei ihrem schweren Crash verdrehte sich Vonn das rechte Knie und musste mit dem Hubschrauber geborgen werden. Bittere Diagnose: Kreuzbandriss, Innenbandriss, dazu ein Bruch des Schienbeinkopfes.
Der US-Teamchef Patrick Riml, ein Österreicher, machte der FIS zwar keine Vorwürfe, «dort, wo ich an der Strecke gestanden bin, war es auch kein Problem zu fahren», er verwies aber auf die grosse Verantwortung des Weltverbandes. «Ob abgesagt hätte werden sollen? Das haben andere zu entscheiden als ich.»
Der deutsche Alpin-Direktor Wolfgang Maier, von dem zwei Läuferinnen (Höfl-Riesch, Hronek) auf der Strecke blieben, fand indes klare und scharfe Worte. «Dass man zunächst verschoben hat, war okay. Dass man am Ende dann aber so spät noch gestartet hat, verstehe ich nicht, denn die Piste hat in diesem Zeitraum extrem nachgegeben.»
Geboren am 2. Mai 1983 in Slovenj Gradec (Windischgrätz), Slowenien
Wohnort: Crna na Koroskem
Grösse/Gewicht: 1,71 m/63 kg
Familienstand: ledig
Ski: Stöckli | Schuhe: Lange
Hobbys: Musik, Beachvolleyball
Homepage: www.tinamaze.com
Grösste Erfolge: Weltmeisterin 2011 im Riesenslalom und 2013 im Super-G, WM-Zweite 2009 im Riesenslalom und 2011 in Super-Kombination | Olympia-Silber 2010 im Super-G und Riesenslalom | Weltcup: 18 Siege (12 Riesenslalom, 2 Slalom, 2 Super-Kombination, 1 Abfahrt, 1 Super-G) und 37 weitere Podestplätze – Gesamtzweite 2011/12, Gesamtdritte 2010/11, Riesenslalom-Siegerin 2012/13.
Eine von bisher nur sechs Skirennläuferinnen mit Weltcup-Siegen in allen fünf alpinen Disziplinen.
Dreimal Sloweniens «Sportlerin des Jahres» (2005, 2010, 2011)
Quelle: kurier.at/sport
Der Startschuss zur Maze-WM
Tina Maze liess die Aufregung ziemlich kalt. «Ich habe mich darauf eingestellt, dass es länger dauert.» Wie schon so oft in diesem Winter prallte an der Slowenin alles ab. Die lange Wartepause? Kein Problem. Die schwierige Kurssetzung? Alles halb so wild. Die schlechte Sicht? Nicht der Rede wert.
«Ich weiss, dass ich gut bin», sagte die 30-Jährige, die in dieser Saison alles in Grund und Boden fährt. Die Triumphfahrt im WM-Super-G ist nur die logische Fortsetzung ihrer beeindruckenden Erfolgsserie. Auf sieben Saisonsiege kommt sie, sie hat inzwischen als eine von nur sechs Frauen in der Geschichte in allen fünf Disziplinen triumphiert, und die grosse Kristallkugel ist der 30-Jährigen schon jetzt sicher. Auch die 2000-Punkte-Marke im Weltcup dürfte für diese Maze in Hochform nur mehr eine kleine Hürde sein.
Vor allem aber war dieser Weltmeistertitel erst der Startschuss zur Medaillenjagd. Denn viele Ski-Experten trauen Maze in Schladming in allen Wettbewerben Podestplätze zu. Maze sagt dazu nur: «Damit will ich mich gar nicht beschäftigen.»
Lara Gut und die Erlösung
Im Trubel um Tina Maze, im Bangen um Lindsey Vonn und in der kollektiven Aufregung um die Verschiebungen ging in Schladming der Schweizer Auftakt nach Mass fast ein wenig unter. Während österreichische Gazetten noch darüber lästern, dass hierzulande in Wettbüros auf ein Ausscheiden Schweizer Männer im Super G getippt werden kann, schlug Swiss Ski Team auf der Piste zurück.
Die Österreicher, von denen Präsident Schröcksnadel («Vonns Sturz hat nichts mit der Verschiebung zu tun») bei der Heim-WM sechs bis acht Medaillen erwartet, erreichten im ersten WM-Rennen gerade einmal einen neunten Platz. Lara Gut war da als Zweite eine Klasse für sich. Die Tessinerin behielt nicht nur im Nebel den Durchblick, sie hielt auch dem Druck stand. Denn der Super G der Frauen war neben der Abfahrt die grösste Medaillenchance für die Schweizer Ski-Abordnung.
Lara Gut zeigte in Schladming völlig neue Seiten und verblüffte damit Fans und Journalisten gleichermassen. Nicht erst einmal hatte sich die exzentrische 21-Jährige in der Vergangenheit als Alleinunterhalterin präsentiert und jeglichen Teamgeist vermissen lassen. Nach dem Gewinn ihrer Silbermedaille schlug Gut nun andere Töne an. «Das war eine Erlösung», sagte der Jungstar, «für das gesamte Team, und wahrscheinlich auch für euch Journalisten.»
Und schon war sie wieder abgerauscht. Doping-Kontrolle, Auftritte im TV, Vorbereitung auf die nächsten Herausforderungen an dieser Weltmeisterschaft. «Buh, das ist so stressig derzeit. Es wird wahrscheinlich einige Zeit dauern, bis ich mich richtig über den zweiten Platz freuen kann.»
Von dem turbulenten WM-Super G der Frauen von Schladming werden die Ski-Fans vermutlich aber noch deutlich länger reden.
Die Ergebnisliste für den Super G der Frauen