Amateurfussball in den Niederungen der 3. Liga: Der FC Oberwil gewinnt das Spitzenspiel gegen die zweite Mannschaft des SC Binningen mit 7:4. Ein Derby, das fast alles hält, was es verspricht, und von TagesWoche-Experte Hans-Peter Kneuss unter die Lupe genommen wird.
Hans-Peter Kneuss wird es an diesem kühlen Oktoberabend in Oberwil gleich einmal warm ums Herz. Der Ur-Binninger sitzt als TagesWoche-Experte auf der Betonumrandung am Sportplatz Eisweiher, hat sich eine Zigarre angesteckt und Freude am ersten Tor durch Silvano Früh, kaum sind zehn Minuten gespielt. «Überragend gemacht von Philipp Rüegsegger», lobt Kneuss den Pass zum Torschützen. Rüegsegger hat noch in der ersten Mannschaft gespielt, als der SC Binningen von Kneuss trainiert wurde.
Dass die Binninger, Tabellenzweiter, die erste Druckphase des Tabellenführers kühl mit dem 0:1 kontern, verschlägt Franz Glaser, dem Trainer des FC Oberwil, fast die Sprache. Mit einem Doppelschlag von Manuel Vischer antwortet seine Mannschaft jedoch postwendend. Was folgt, ist grosses Amateurfussball-Kino in den Niederungen der 3. Liga mit allen Ingredienzien: tiefer Boden, viele Zweikämpfe, harte Fouls und ein Schiedsrichter, der seine liebe Mühe hat.
Unzulänglichkeiten in einem guten Verhältnis
Das 2:1 fällt aus klarer Abseitsposition – so man das ohne Wiederholung im Fernsehen behaupten kann –, und das 4:1 durch einen Penalty, Vischers dritter Treffer in der ersten Halbzeit, ist eine makabere Entscheidung, weil sich zwei Oberwiler über den Haufen rennen.
Marco Di Vincenzo muss sich einiges anhören, von den Spielern auf dem Platz, von den handgezählten 90 Zuschauern am Eisweiher. Keine leichte Aufgabe, allein, ohne Linienrichter, ein solches Derby zu leiten. Doch die Unzulänglichkeiten des Referees aus Arlesheim stehen in keinem so schlechten Verhältnis zu denen der anderen 22 Akteure auf dem bald einmal durchgepflügten Rasen.
Das Spiel artet jedoch nie aus, bleibt im Rahmen und der FC Oberwil, der seit dem Frühjahr auf einer Erfolgswelle reitet und nur zwei von 20 Spielen verloren und den Rest gewonnen hat, schraubt gleich nach der Pause die Führung auf 5:1 durch Christof Eichenbergers zweiten Treffer. «Jetzt erst recht», ruft Binningens Trainer Raffaele Vigorito mit einiger Verzweiflung seinen Spielern zu.
Elf Tore – keine schlechte Unterhaltung bei Gratiseintritt
Und tatsächlich verkürzt Binningen, ist dem Anschlusstreffer zum 4:5 mehrfach nahe, weil Oberwil dem Kraft- und Lauffussball Tribut zu zollen scheint. «Das ist noch nicht gelaufen», raunt Kneuss seinem Sitznachbarn zu und stösst ein dicke Wolke Tabakdampf aus. Ein Eigentor zerstreut die leise Hoffnung jedoch. Elf Tore sind es am Schluss – für Gratiseintritt am Eisweiher keine schlechte Unterhaltung an einem Dienstagabend ohne Champions League am Fernseher.
Der FC Oberwil baut seinen Vorsprung vor dem letzten Spiel des Jahres am Samstag in Breitenbach auf acht Punkte aus, geht als Wintermeister in die bis Ende März dauernde Saisonpause und Trainer Franz Glaser findet: «Das hat sich die Mannschaft mit ihrem Charakter verdient.»
Mit einem Kasten Bier wird anschliessend im Clubheim gefeiert. Die letzten Gäste, darunter Hampe Kneuss sind längst wieder bei einem anderen Themen und deklinieren den FC Basel rauf und runter. Im Fernsehen flimmert der Teletext vor sich hin und vermeldet den Heimsieg der EHC Basel Sharks gegen Langnau.
Kneuss meint: «Drei Tore zu hoch»
Die TagesWoche hat Hans-Peter Kneuss gebeten, zum 3. Liga-Derby seine – nicht ganz unparteiische – Analyse abzugeben:
Hans-Peter Kneuss. (Bild: Alexander Preobrajenski )
«Vom Einsatz, vom Tempo her war es ein guter Match, aber für ein Derby eine zu klare Sache. Binningen ist reingelaufen in diese Niederlage. Das hatte ich so nicht erwartet. Ich kenne unsere Mannschaft und hätte ihr ein Unentschieden zugetraut. Ich hatte aber schon nach zehn Minuten das Gefühl, dass die Roten das Spiel gewinnen wollen, mehr als der Gegner. Oberwil war viel aggressiver in den Zweikämpfen, nicht unfair, und läuferisch eine Stufe höher. Das muss man zugeben, und das hat mich überrascht.
Als Trainer hatte er es in den Auswahlen des nordwestschweizerischen Verbandes mit den jungen Degens und Hakan Yakin zu tun, er trainierte den FC Pratteln in der 1. Liga, den FC Breite, den SC Baudepartement und den FC Ettingen.
Dass er mit dem SC Bininngen 2007 und 2008 zweimal den Basler Cup gewann, im Oktober den grossen FCB vor 6500 Zuschauern im Spiegelfeld empfing (1:6), fehlt in keiner leidenschaftlichen Erzählung von Kneuss. Der 64-jährige Pensionär hilft heute beim SC Binningen als Jugendkoordinator.
Noch mal als Trainer zu arbeiten, schliesst Hans-Peter Kneuss nicht aus: «Zeit hätte ich ja, und ich liebe diesen Sport.»
Ich hätte den Binningern mit ihrem technischen Fussball mehr zugetraut. Hinten sind sie schlecht gestanden. Simon Komorski hat gefehlt, er ist nun mal das Herz der Mannschaft, der viel Einfluss hat, allein schon durch seine Präsenz auf dem Platz. Er erkennt, wenn man mal vier, fünf Meter zurück staffeln muss. Aber jetzt musste Binningen damit leben, dass er verletzt ist. Ein bisschen enttäuscht bin ich von einigen gestandenen Spielern, die auch schon weiter oben gespielt haben. Von denen hätte ich mehr erwartet.
Ich war technisch nicht der Schlechteste, den Ball habe geliebt. Ich wollte nicht Tschutten, sondern Fussball spielen, den Ball laufen lassen: One-Touch, tack, tack, maximal zwei Ballkontakte – damit haben wir in Binningen vor acht, neun Jahren angefangen, erst mit der zweiten Mannschaft, dann mit der ersten. Ich habe immer gesagt: Das muss so selbstverständlich sein wie Zähneputzen. Das ist im Amateurfussball nicht einfach mit zweimal Training pro Woche. Aber wenn es anhängt, dann hat man eine Freude an diesem Spiel. Und ich sehe, dass sie es heute noch versuchen. Ich habe gegen Oberwil nicht viele lange Bälle von den Binningern nach vorne gesehen.
Aber der FC Oberwil hat einen Lauf, hat in den letzten Monaten Konstanz gezeigt und seinen Fussball auch in diesem Spiel durchgezogen. Es ist nicht unbedingt mein Fussball. Pumm, lang, pumm, lang – und vorne hat den Ball einer. Sie schalten schnell um, schaffen Überzahl, spielen geradlinig – das ist ihr Spiel, das ist wie ein Überfall. Auf dem Boden, den Binningen mit seinem Kunstrasen nicht gewohnt ist, war das sicher der zweckmässigere Fussball.
So wird dem FC Oberwil der Aufstieg kaum mehr zu nehmen sein, aber ich glaube, sie werden es schwer haben in der 2. Liga. Da geht es über die Bank, da haben sie die Substanz nicht und werden sicher ein, zwei Verstärkungen brauchen.
Schiedsrichter hin oder her: Der Sieg des FC Oberwil ist nicht unverdient. Ich würde durch meine Binninger Brille sagen: er ist um drei Tore zu hoch ausgefallen.»
FC Oberwil–SC Binningen II 7:4 (4:1)
Sportplatz Eisweiher. – 90 Zuschauer.– SR Di Vicenzo.
Tore: 0:1 Früh, 1:1 Vischer, 2:1 Vischer, 3:1 Eichenberger, 4:1 Vischer (Foulpenalty), 5:1 Meyer, 5:2 Rüegsegger, 5:3 Herger, 6:3 Eigentor, 7:3 Meyer, 7:4 Rüegsegger.
FC Oberwil: Knotek; Merz, Rickenbacher, Kaya, T. Schweizer; Zaugg; Meyer (80. Frey), A. Schweizer, Costeggioli (75. Jäggi), Vischer, Eichenberger (55. Opprecht).
SC Binninge II: Kaufmann; Battegay, Thüring, Berger (88. Schmid), Cotting; Innocenti, Rüegsegger; Müller, Herger (80. De Fregias), Hughes; Früh.
Bemerkungen: Das letzte Spiel vor der Winterpause trägt der FC Oberwil am Samstag (18.00 Uhr) beim Breitenbach aus, der SC Binningen spielt am Sonntag (10.15 Uhr) daheim gegen den neuen Tabellenzweiten FC Allschwil.