Horrorfilm oder Happy End? In Brasilien zweifeln viele Einheimische an der Durchschlagskraft der Seleção

Pfiffe an Olympia: Heute Abend werden sie niemanden erstaunen. Es geht ja um Fussball. Und um eine Revanche: Brasilien hat gegen Deutschland etwas gutzumachen.

Wieder mal im Final: Neymar und Co.

(Bild: LEO CORREA)

Pfiffe an Olympia: Heute Abend werden sie niemanden erstaunen. Es geht ja um Fussball. Und um eine Revanche: Brasilien hat gegen Deutschland etwas gutzumachen.

Brasilien trifft auf Deutschland, und das hätte nun wirklich kein Regisseur besser erfinden können: Zum Ende des brasilianischen Zyklus bei internationalen Sportgrossveranstaltungen mit der WM 2014 und Olympia 2016 schliesst sich tatsächlich der Kreis. Zwei Jahre nach dem epochalen 1:7 gegen die Deutschen im Halbfinale bietet sich die Gelegenheit zu einer gewissen Wiedergutmachung; und damit die Chance, insgesamt doch noch ganz ordentlich aus der Sache rauszukommen.

Ein Land leidet 

Denn der Zyklus ist ja nicht nur bei den Ergebnissen der Fussball-WM komplett anders verlaufen, als man sich das ursprünglich mal gedacht hatte. Nachdem Rio 2009 den Olympia-Zuschlag erhielt, sagte der damalige Staatspräsident Lula da Silva: «Brasilien hat den Stand der Zweite-Welt-Länder verlassen und ist ein Erste-Welt-Land geworden.» Nichts anderes sollten die Sportereignisse zur Schau stellen.

Doch was folgte, war eine schwere Krise auf allen Ebenen. So befindet sich Brasilien wieder auf Los. Hinter vorgehaltener Hand bekam es in diesen Wochen von vielen Sportlern und Touristen attestiert, eher zur dritten Welt zu gehören als zu irgendeiner anderen. Die Massenproteste während des Confed-Cups setzen schon 2013 den Ton für eine bestenfalls lauwarme Akzeptanz der Events. Das war einerseits ein gutes Zeichen: Wo Menschen demonstrieren, vertreten sie das Selbstbewusstsein einer Zivilgesellschaft. Andererseits nahmen die Debatten um Budgets und Korruption den Sportpartys viel Leichtigkeit; anstatt eines fröhlichen, generösen Brasiliens präsentierte sich insbesondere bei Olympia ein verunsichertes, gequältes; eines, das zu viel mit sich selbst zu tun hat, um sich auf die ganze Welt einzulassen.

Brasilien blickt auf drei verlorene Finals zurück

Jetzt also wieder Fussball. Beide Finalisten sind zuletzt regelrecht durch das Turnier gepflügt. 8:0 Tore haben die Brasilianer in den letzten drei Spielen erzielt, 16:0 gar die ihre Gegner. (West-)Deutschland hat schon jetzt das beste Olympiaergebnis seiner Fussballgeschichte erreicht (die DDR gewann 1976). Brasilien spielt nach drei verlorenen Finals einmal mehr um das ersehnte Gold. 

Und natürlich: um Revanche. Jahrhundertfussballer Pelé tweetete: «Lasst uns zeigen, dass Fussball und Beachvolleyball Brasilien gehören.» Die Hälfte dieses Projekts setzten Ágatha und Bárbara bei ihrer Endspielniederlage gegen Ludwig/Walkenhorst freilich schon in den Sand. Und so wie die Brasilianer ihre erratische Legende oft nicht mehr verstehen (etwa als Pelé seine Teilnahme an der Olympia-Eröffnungsfeier absagte), so teilen auch die wenigsten den Triumphalismus in Bezug auf das Fussball-Finale.

«Das 1:7 kommt zurück, um uns zu foltern», hadert vielmehr die Zeitung «O Globo». Auch Trainer Rogério Micale schürte nicht gerade die Erwartungen, als er das deutsche Modell des Passfussballs zum Nonplusultra erklärte. «Sie haben es in allen Jugendabteilungen etabliert», erklärte der langjährige Nachwuchscoach. «Es ist genau das, was wir in Brasilien umzusetzen versuchen.» 

Es fehlt der Glaube an die Seleção

In den Bars von Rio, wo an Sonntagnachmittagen während Olympia immer die Spiele der Stadtklubs Flamengo, Fluminense, Botafogo oder Vasco da Gama liefen, wird auch an diesem Morgen nicht über Segeln oder Ryan Lochte diskutiert, sondern über Fussball. Der Glaube an eine Erlösung ist überschaubar. Die Seleção? «Muito ruim», lautet die häufigste Antwort, richtig mies, der Daumen geht dazu nach unten.  

Der nächste Horrorfilm also, heute im Maracanã? Oder doch ein kleines Happy End des brasilianischen Sportzyklus‘. Das Land könnte ihn gut gebrauchen, für das Selbstbewusstsein. Wer mit sich im Reinen ist, der pfeift auch andere weniger aus.
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Das Finalspiel in Rio beginnt um 22.30 Uhr unsere Zeit. 

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