«Ich traue mir alles zu»

Stanislas Wawrinka bleibt weiterhin auf Erfolgskurs: Im Viertelfinal wartet nun Titelverteidiger Andy Murray.

Im Viertelfinal angekommen: Wawrinka ist nicht zu Stoppen. (Bild: Keystone)

Stanislas Wawrinka bleibt weiterhin auf Erfolgskurs: Im Viertelfinal wartet nun Titelverteidiger Andy Murray.

Alles nur ein Zufall? Eine Laune des Schicksals – oder doch mehr? Kaum hatte sich am Grand Slam-Schauplatz New York die Schockstarre über den Knockout von Roger Federer so langsam aufgelöst, da sorgte genau jener Profi für einen triumphalen Sieg und reichlich Gesprächsstoff, der seit fast einem Jahrzehnt im Schatten des grossen Roger Federer gestanden hatte. Stanislas Wawrinka, der andere Eidgenosse in der Gipfelregion des Welttennis, der international beinahe unbekannte, anonyme Klassespieler, die Nummer 10 der Welt.

«So wie er heute aufgetreten ist, führt der Weg zum Titel nur über ihn», schwärmte TV-Kommentator und Ex-Ranglistenerster Jim Courier über den 28-jährigen Powertyp, der am späten Dienstagabend den an Nummer 5 gesetzten Tschechen Tomas Berdych mit einem Feuerwerk von Traumschlägen und mit hervorragenden Nerven 3:6, 6:1, 7:6, 6:2 bezwungen hatte und nun im zweiten US Open-Viertelfinale seiner Karriere auf Titelverteidiger Andy Murray trifft. «Ich traue mir alles zu», sagte Wawrinka, der erstmals bei einem der vier Grand Slams länger im Wettbewerb verblieben war als Federer und nun sogar als Geheimtipp für einen Pokalcoup galt.
 
Solch zupackende Attitüde, so klare Worte der Zuversicht waren Wawrinkas Sache lange nicht. Kein Wunder: Schliesslich hatte er, «Stan, the Man», einen der undankbarsten Jobs überhaupt im Wanderzirkus der Profis – als Mann, der sich irgendwie neben Superstar Federer zurechtfinden und behaupten musste, von eigener Profilierung mal ganz abgesehen. Wo immer Wawrinka in den letzten Jahren an- und auftrat, bekam er früher oder später den Vergleich mit dem genialen Capitano der Branche zu hören. «Leicht» sei es nicht, «sich auch mal Gehör zu verschaffen», sagte Wawrinka einmal vor einem Duell mit Federer bei den Australian Open mit resignativem Unterton. Doch genau diese Geistesverfassung hat der Westschweizer im Hier und Jetzt abgelegt und besinnt sich lieber vortrefflich ganz auf sich selbst und seine Potenziale.

Stan the Man

Als letzter bekam das Berdych zu spüren, der einfach am Bollwerk Wawrinka scheiterte, am Gesamtpaket voller Qualität, das sein 28-jähriger Widersacher im Louis Armstrong-Stadion in das Kampfgeschehen warf. «Jemand, der so solide spielt, ist nur schwer zu schlagen», befand Berdych hinterher achselzuckend, «ich kann mir kaum etwas vorwerfen.» Erschüttern konnte Wawrinka scheinbar und tatsächlich gar nichts in dieser Abendvorstellung, nicht der Satzrückstand, nicht das 1:4-Defizit im wegweisenden Tiebreak von Durchgang drei. In diesem absoluten Schlüsselmoment wirkte der Romand zuguterletzt wie im Rausch, erst wehrte er bei 5:6 den Satzball Berdychs mit einem Ass ab, und dann hämmerte er einen weiteren Volltreffer zum 8:6 herüber zum Tschechen.

«Es war eins meiner besten Spiele überhaupt, keine Frage», gab Wawrinka später zu Protokoll. Seine wilde Entschlossenheit demonstrierte er dann auch noch einmal nach dem Break zum 4:2 im vierten Satz, als er ein eigenes Aufschlagspiel zum 5:2 folgen liess, bei dem er jedes Service unreturnierbar ins gegnerische Feld setzte. «Da hat ein ganzer Kerl auf dem Platz gestanden», sagte Darren Cahill, ehemals Coach von Andre Agassi, nun TV-Experte, «eben Stan, the Man.»
 
Wawrinkas glänzendes Turnier muss nun keinesfalls einen Dreh bekommen, weil es in der Runde der letzten Acht gegen Murray geht, den gerade noch amtierenden Champion. Der Brite hat seit dem Wimbledon-Erfolg wenig Klasse gezeigt, am Dienstag quälte er sich auf dem Center Court zu einem mühseligen Vier-Satz-Sieg gegen den Usbeken Denis Istomin. «Ich mag sein Spiel. Und ich mag meine Chancen gegen ihn», sagte Wawrinka, vielleicht auch mit Blick zurück aufs Jahr 2010, als er Murray hier in der dritten Runde ausschaltete. Den Titelverteidiger selbst musste sowieso niemand vor dem Schweizer warnen, man kennt sich nur zu gut aus vielen gemeinsamen Trainingseinheiten und nunmehr schon 13 Vergleichen (8:5 Murray). «Stan ist in der Form seines Lebens. Er ist ein Topmann, einer, der gerade dabei ist, den nächsten Schritt nach vorne zu gehen», so Murray, «das wird superschwer für mich.»
 

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