Im Schwebezustand von London

Roger Federer siegt in London gegen den Franzosen Richard Gasquet – und weiss, dass damit noch nichts gewonnen, aber auch noch nichts verloren ist.

Ein Kampf an allen Fronten – Roger Federer im Spiel gegen Richard Gasquet. (Bild: FACUNDO ARRIZABALAGA)

Roger Federer siegt in London gegen den Franzosen Richard Gasquet – und weiss, dass damit noch nichts gewonnen, aber auch noch nichts verloren ist.

Den WM-Schwebezustand von London illustrierte er gleich in den ersten Sekunden nach dem 6:4, 6:3-Pflichtsieg gegen Richard Gasquet an diesem Donnerstagnachmittag: Kurz ballte Roger Federer die Faust hinauf zum Hallendach der mächtigen 02-Arena, schenkte sich und seinen Fans ein flüchtiges Lächeln.

Doch dann, als er zum Netz eilte, zum geschlagenen Franzosen Richard Gasquet, schien Federer schon wieder im Gemütszustand des Mannes, der weiß, dass im großen WM-Zusammenhang noch nichts verloren, aber eben auch noch nichts gewonnen ist. «Ich konzentriere mich jetzt ganz auf mich. Ich werde einen schönen Tag Pause haben, und dann will ich noch mal ein richtig gutes Match gegen del Potro spielen», sagte Federer, «keine Ahnung, wozu das dann taugt.»

Versöhnlicher Abschluss der Saison

Auch wenn nun, wie jedes Jahr beim abschließenden Saisonhöhepunkt, die Zeit des Kalkulierens und Spekulierens begann, wer sich mit welchem Ergebnis für welchen Halbfinalplatz qualifizieren konnte – Federer wollte sich aus der höheren WM-Mathematik und all den Rechenspielen einfach raushalten und, wie er sagte, «in jedem Fall einen versöhnlichen Abschluß der Saison schaffen»: «Gewinne ich am Samstag und scheide aus, wäre es ein trotzdem ein Wink fürs neue Jahr, starker Rückenwind für die Vorbereitungszeit.»

Ganz egal, wie das zweite Donnerstagsspiel in Federers Gruppe zwischen del Potro und Turnierfavorit Novak Djokovic ausging – Federer musste so oder so voll auf Sieg setzen und spielen im Duell mit dem hünenhaften Argentinier, den er neben Rafael Nadal «als besten Spieler der zweiten Saisonhälfte» bezeichnete: «Es war deshalb umso wichtiger, dass ich in Paris gegen ihn gewinnen konnte. Basel, die Niederlage daheim gegen ihn, die hatte schon ziemlich wehgetan.» Interessant werde in jedem Fall, so Federer, «wie es kräftemäßig bei ihm aussieht»: «Er hat einige mörderische Wochen und Monate hinter sich. Das spürt er auch in den Knochen.» Deshalb sei das klare Hauptziel auch: «Ich muss ihn bewegen, bewegen, bewegen.»

Viele schlichte Momente

Gegen Gasquet hatte sich Federer oft fast mehr auf Gasquet als auf sich selbst verlassen können – in einer Partie, die einige großartige, aber eben auch viele schlichte, irritierende Momente hatte. Am Ende vieler Spiele, der beiden Sätze und des ganzen Matches erwies sich der Franzose aber doch als zuverlässiger Aufbaugegner, der Federer das Wunschergebnis eines deutlichen Zwei-Satz-Erfolges garantierte – so auch im allerletzten Game, in dem Federer zwar fünf Matchbälle ausließ, aber doch ins Ziel hineintrudelte, weil der Mann auf der anderen Seite des Netzes nicht hier und auch zuvor nie die Gunst der Stunde nutzen konnte.

«Zur Euphorie besteht jetzt sicher kein Anlaß. Aber ich habe einige positive Punkte in meinem Spiel gesehen», erklärte Federer hinterher, «in der Defensive war ich solider, der Aufschlag kam stabiler. Und auch die nötige Aggressivität war durchgehend da.»

Ein Kampf an allen Fronten

Federers Spiel, das bekannte er auch am Ende dieses Arbeitstages, ist von Kampf an allen Fronten geprägt. Vom eigentlichen Kampf auf dem Platz gegen seine Gegner. Aber mehr noch vom Kampf Federers mit sich selbst – um die richtigen Schläge zur richtigen Zeit, um das nötige Selbstbewußtsein, um die innere Balance, die es braucht, um auf dieser schillernden WM-Bühne und bald schon wieder zu Saisonbeginn 2014 bei einem Grand Slam-Turnier (Australian Open) bestehen zu können.

«Früher brauchte ich diese hartumkämpften Siege einfach, um Turniere zu gewinnen. Nun brauche ich sie, um einen bestimmten Level zurückzuerobern», sagte Federer, der keinen Hehl daraus machte, «dass man in einer Phase wie jetzt auch vieles hin und her analysiert und sich manchmal auch zuviele Gedanken macht.»

Immerhin: In dieser 81-minütigen Schlüsselpartie sank Gasquet halb selbst hin. Aber halb zog ihn auch Federer, weil er mehr als nur Spurenelemente des großen Federers auf den Court brachte. Weil er bei Big Points Asse aus dem Ärmel zauberte, weil fast immer er sich in langen, auszehrenden Ballwechseln behauptete, weil er ganz offensichtlich auch den größeren Siegeshunger hatte als der jüngere Gegenspieler. «Ich freue mich jetzt auf dieses letzte Gruppenspiel», sagte Federer, «ich weiß, dass ich mit einem guten Gefühl da rausgehen werde. Denn ich bin auf dem richtigen Weg, das spüre ich.»

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