Frankreich spielt am Donnerstag im Halbfinal der Europameisterschaft gegen Deutschland (21 Uhr). In beiden Kadern stehen dunkelhäutige Spieler. Rassisten haben sie ins Visier genommen.
Fünfmal hat Frankreich bislang bei der EM gespielt. Fünfmal hatten die Administratoren zahlreicher deutscher Online-Foren jede Menge damit zu tun, offen-rassistische Kommentare zu löschen.
Doch auch viele Posts, die durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind, erlauben den Blick in Abgründe. «Ich dachte erst, hier spielt ein afrikanisches Team mit einigen europäischen Migranten in den eigenen Reihen. Aber es war ja Europameisterschaft, das konnte ja nicht sein», ätzte jemand in einem Forum schon nach dem Eröffnungsspiel auf «Spiegel Online».
Vor dem Viertelfinale schrieb einer im Forum der «Welt»: «Schwarz gegen Weiss. Europa gegen Afrika. Ich drücke den Isländern die Daumen.» Es sind zwei Beispiele von Hunderten.
Wer eine dunkle Hautfarbe hat, kann nicht für eine europäische Mannschaft spielen, heisst das. Es ist ein Denken, das die NPD 2006 auszubeuten versuchte. «Weiss, nicht nur eine Trikotfarbe», lautete damals der Text zu einem Plakat, auf dem ein DFB-Trikot mit der Rückennummer 25 zu sehen war. Die trug damals der in Hamburg geborene dunkelhäutige Patrick Owomoyela.
Das Plakat der NDP aus dem Jahre 2006: «Weiss, nicht nur eine Trikotfarbe»
Nun kann man davon ausgehen, dass solche Äusserungen dem Denken einer krassen Minderheit entsprechen. 2006 wie 2016. Und in Deutschland wie in Frankreich. Dort allerdings wirken solche Debatten noch gestriger als in Deutschland, wo erst die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts 1998 den bis dato geltenden Grundsatz reformierte, dass nur derjenige automatisch Deutscher ist, dessen Eltern deutsch sind.
Die Aufkleber der Splittergruppe «Lyon nationaliste»
In Frankreich hingegen gilt seit 1889 das Prinzip des «ius soli»: Wer auf französischem Boden geboren ist, ist Franzose. Dieser Grundsatz, damals auch zur Vereinfachung des Steuereinzugs etabliert, ist heute breit verinnerlicht.
Dennoch gibt es auch in Frankreich Stimmen, die eine «weisse» Nationalmannschaft fordern. In Nizza und Lyon tauchten am Rand der Spiele Aktivisten der rechten Splittergruppe «Lyon nationaliste» auf und brachten Aufkleber an, die das Keltenkreuz auf der Trikolore zeigten. Aufdruck: «Frankreich zuerst, für immer weiss».
Und das Pariser Sportministerium hat gerade eine landesweite Anti-Rassismus-Kampagne lanciert. Auf einem der Plakate wird der «Abpfiff» für den Spruch gefordert: «Ernsthaft, in der Fussballnationalmannschaft gibt es keinen einzigen echten Franzosen mehr.»
«Ich finde es künstlich, Spieler aus dem Ausland kommen zu lassen und sie französische Nationalmannschaft zu nennen.»
Dabei ist die Hochphase der Agitation für eine «weisse» Nationalmannschaft eigentlich längst vorbei. 1996 hatte Jean-Marie Le Pen, der Vater der aktuellen (moderateren) Parteichefin des Front National, Marine Le Pen, betont, er finde es «künstlich, Spieler aus dem Ausland kommen zu lassen und sie französische Nationalmannschaft zu nennen».
Gemeint waren Spieler wie Lilian Thuram oder Bernard Lama, die beide auf französischem Staatsgebiet geboren sind und ausserhalb der extremen Rechten als so französisch galten wie Laurent Blanc oder Didier Deschamps.
Eine interessante Parallele zu Deutschland ist derweil die Debatte um die Nationalhymne. Schon in den Achtzigern hatte Vater Le Pen geklagt, im Gegensatz zur deutschen Nationalmannschaft singe bei den Franzosen niemand die Hymne mit. Das war eine Lüge: Beim Halbfinale 1982 sang kein deutscher und kein französischer Spieler die jeweilige Hymne.
Le Pens Sportreferent fordert «Anstand, die Nationalhymne mitzusingen»
Inzwischen singen fast alle Spieler mit, die Nationalisten stürzen sich umso erbitterter auf genau diesen Punkt. Während in Deutschland in einschlägigen Foren häufig zu lesen ist, Mesut Özil fehle es an Identifikation mit Deutschland, da er bei «Einigkeit und Recht und Freiheit» die Lippen nicht bewegt, schlägt der Sportreferent von Marine Le Pen, Eric Domard, exakt die gleichen Töne an.
Befeuert durch die Affäre um den Stürmer Karim Benzema, der in die Erpressung eines Mannschaftskollegen verwickelt sein soll, sagte Domard an die Adresse der Einwandererkinder: «Sie sollten zumindest den Anstand haben, die Marseillaise mitzusingen.» Und seine Parteichefin betonte, dass «die Exzesse auf allen Ebenen, der unendliche Skandal um das ‹Fifa-Gate› und eine rein kommerzielle Ausrichtung des Fussballs» dafür sorgten, dass sie ihm fernbleibe.
In den Stadien zwischen Lille und Marseille scheint es derweil nicht allzu viele französische Fans zu geben, die sie dort vermissen. Die Tore von Dimitri Payet werden genauso laut bejubelt wie die von Antoine Griezmann. Der eine ist in St-Pierre auf Réunion geboren, der andere in Mâcon, nördlich von Lyon. Franzosen sind sie beide.
Zu jubeln hatten die beiden bisher einiges: Antoine Griezmann und Dimitri Payet an der Europameisterschaft. (Bild: Reuters/Carl Recine)