In Dortmund nagt der Selbstzweifel

Was für die Bundesliga in den letzten Jahren das Gipfeltreffen darstellte, wird zu einem wegweisenden Spiel für die in den Tabellenkeller gerutschte Borussia aus Dortmund: An diesem Samstag (18.30 Uhr) beim Dominator Bayern München wird das Selbstvertrauen beim BVB auf eine harte Probe gestellt.

epa04467578 Dortmund's Marco Reus celebrates his 0-2 goal during the DFB Cup second round match between FC St. Pauli and Borussia Dortmund at Millerntor-Stadion in Hamburg, Germany, 28 October 2014. (ATTENTION: The DFB prohibits the utilisation and publication of sequential pictures on the internet and other online media during the match (including half-time). ATTENTION: BLOCKING PERIOD! The DFB permits the further utilisation and publication of the pictures for mobile services (especially MMS) and for DVB-H and DMB only after the end of the match.) EPA/DANIEL BOCKWOLDT (Bild: Keystone/DANIEL BOCKWOLDT)

Was für die Bundesliga in den letzten Jahren das Gipfeltreffen darstellte, wird zu einem wegweisenden Spiel für die in den Tabellenkeller gerutschte Borussia aus Dortmund: An diesem Samstag (18.30 Uhr) beim Dominator Bayern München wird das Selbstvertrauen beim BVB auf eine harte Probe gestellt.

Jürgen Klopp hat in dieser Woche über «Fluchtgedanken» gesprochen, die einige seiner Fussballer zuletzt entwickelt haben. «Wo es nicht läuft», das sei vollkommen menschlich, «da will man seine Ruhe haben und sich zurückziehen», meint der Trainer. Auch gegen diesen Mechanismus müssen sie also ankämpfen in Dortmund, wobei die Sache mit den «Fluchtgedanken» noch eine zweite Ebene hat.

Anlässlich der Partie beim FC Bayern München am Samstagabend lodert das Spekulationsfeuer um die Ausstiegsklausel im Vertrag des Dortmunder Stars Marco Reus. Der Münchner Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge schürt diesen Brandherd mit einem beharrlichen Zielbewusstsein.

Zwar ist nicht bekannt, ob auch Reus von Fluchtgedanken irgendeiner Art heimgesucht wird. «Ganz ehrlich, dazu gibt es momentan nichts zu sagen», sagt er zu Mutmassungen, er werde irgendwann in der näheren Zukunft zum FC Bayern wechseln. Und dennoch trifft diese Debatte die Dortmunder an einer empfindlichen Stelle. Es geht hier nicht nur um den Verlust eines nicht zu ersetzenden Spielers, sondern um den Glauben an das schwarz-gelbe Projekt, den kein anderer besser verkörpert als Reus.

Reus, die Bayern und das Selbstvertrauen

Vor knapp drei Jahren, als der Weltklasseangreifer sich für einen Wechsel zum BVB entschied, hatte er auch ein Angebot des FC Bayern vorliegen, das ihm angeblich ein höheres Gehalt garantiert hätte. Reus ging trotzdem nach Dortmund. Zum einen weil er dprt aufgewachsen ist, zum anderen aber, weil der BVB seinerzeit das wohl aufregendste Fussballprojekt Europas war. Dieser Zauber ist spätestens in den ersten Wochen laufenden Saison verflogen. Mittlerweile ist Dortmund durchsetzt von Zweifeln unterschiedlichster Art. Das Selbstvertrauen ist am Boden.



Pierre-Emerick Aubameyang of Borussia Dortmund, left-rear, celebrates with teammates after he scored during their Champions League Group D soccer match with Galatasaray at the Turk Telekom Arena Stadium in Istanbul, Turkey, Wednesday, Oct. 22, 2014.(AP Photo)

Dortmunder Achterbahn: In der Liga in Abstiegsnähe abgerutscht, holt sich die Mannschaft des BVB in der Champions League, oder so wie hier unter der Woche im DFB-Pokal, Erfolgserlebnisse. (Bild: Keystone)

«Wir profitieren von positiven Erlebnissen», beschreibt Klopp die Lage «und wenn Erlebnisse nicht positiv sind, dann denkt man mehr nach, das ist nicht immer hilfreich». Würde dieser Befund nur auf den zuletzt vier Bundesliganiederlagen am Stück beruhen, wäre der Schaden vermutlich mit einer kleinen Siegesserie zu reparieren, «Man muss bereit sein, das Glück zu erzwingen und sich das Selbstvertrauen zu erarbeiten», meint der Trainer.

Aber die Korrosion geht viel tiefer: Die alte Überzeugung von der Grossartigkeit des Dortmunder Vollgas-Fussballs, wird auch nach fünf Siegen nicht wieder im alten Glanz erstrahlen. Dazu ist viel zu viel passiert.

Der entschlüsselte Klopp-Vollgas-Fussball

Pep Guardiola hat beim FC Bayern eine Spielweise eingeführt, die dem Dortmunder Fussball nicht nur wegen des mit grösseren finanziellen Mitteln zusammen gestellten Kaders überlegen ist. Die Bayern haben eine perfekte Mischung aus Spielstrategie, individueller Klasse und Siegeshunger entwickelt, während der BVB-Fussball von vielen Gegnern entschlüsselt wurde.

Das vermutet jedenfalls der Sportpsychologe Daniel Memmert in einem Interview mit der «Westdeutschen Allgemeinen»: «Unsere Analysen bringen mich zu der Meinung, dass es ein Problem der Spielphilosophie ist. Ich glaube, dass die Idee von Klopp, Fussball spielen zu lassen, in der Liga überholt ist.», erklärt der Wissenschaftler, der auch als Spielanalyst arbeitet.



Dortmund's head coach Juergen Klopp listens to a question during a TV interview prior to the German soccer cup second round match between FC St. Pauli and Borussia Dortmund at the Millerntor Stadium in Hamburg, Germany, Tuesday, Oct. 28, 2014. (AP Photo/Michael Sohn)

Blickte auch schon fröhlicher aus der Wäsche: BVB-Trainer Jürgen Klopp. (Bild: Keystone/MICHAEL SOHN)

Sollten einige Spieler ernsthaft darüber nachdenken, ob das stimmen könnte, wäre das fatal: Die Überzeugung vom Konzept Klopp, die eine wichtige Grundvoraussetzung für die Umsetzung der «Immer Vollgas»-Forderung ist, wäre massiv beschädigt. Zumal alleine die Tatsache, dass Borussia Dortmund nun schon im dritten Jahr allenfalls in einzelnen Partien mit Bayern München mithalten kann, das Selbstvertrauen aller Spieler schwächt.

Rummenigge, Reus und das Geschwür

Die Sache mit dem angeschlagenen Selbstbewusstsein ist daher ein Problem, das weit über die Krise der zurückliegenden Wochen hinaus geht, ein Problem, dass extrem gefährlich sein kann. Es kann beispielsweise Marco Reus zum FC Bayern treiben, der natürlich genau weiss, dass er bereits zweimal Meister, einmal Champions-League-Sieger und vielleicht sogar Weltmeister geworden wäre, wenn er sich vor drei Jahren für München statt für Dortmund entschieden hätte.

Es kann auch bei anderen Spielern Wechselwünsche forcieren. Bei Mats Hummels beispielsweise, für den englischen Presseberichten zufolge schon im Winter Angebote von Manchester United und Arsenal in der Dortmunder Geschäftsstelle eintreffen werden. Karl-Heinz Rummenigge weiss das ganz genau, deshalb füttert er die Debatte immer mit neuen Aussagen. Rummenigges Einwürfe sind ein gefährliches Gift im Dortmunder Organismus, ein Gift, das ein bösartiges Geschwür nährt: den Selbstzweifel.

 

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