In der grossen Ära der Borussia wurde die Mannschaft noch Fohlen-Elf genannt und die Champions League hiess noch ganz anders. Jetzt bekommen in Mönchengladbach die Bilder verklärter Heldentaten neue Bedeutung – auch dank des Schweizer Trios Lucien Favre, Granit Xhaka und Yann Sommer.
Die eigene Geschichte umgibt Borussia Mönchengladbach wie ein prachtvoller Überbau süsser und natürlich längst verklärter Erinnerungen. In den Fluren des Stadions hängen überall Bilder mit Motiven aus den glorreichen Zeit, in jeder Ausgabe des Stadionheftes wird an irgendeinen unvergessenen Helden, an ein sensationelles Spiel oder einen verblassten Erfolg erinnert.
Fast 30 Jahre lang haben die Fans sich nun mit der Legende von der Fohlen-Elf der 1970er-Jahre über eine oftmals eher triste Gegenwart hinweggetröstet, und nach dem 3:0-Sieg über Bayer Leverkusen war die grosse Vergangenheit erneut sehr präsent. Allerdings nicht mehr als Fluchtort, sondern als echter Bezugspunkt.
Denn die Borussia wird in der kommenden Saison zum ersten Mal seit 1978 wieder am wertvollsten Europapokal teilnehmen, der in den langen Jahren der Gladbacher Abstinenz von Europapokal der Landesmeister in Champions League umgetauft wurde.
Davon ist jedenfalls Granit Xhaka überzeugt. «Ich glaube, mein Traum ist heute in Erfüllung gegangen, das wird uns Leverkusen nicht mehr nehmen, wir werden auf jeden Fall in der nächsten Saison Champions League spielen», sagte der Schweizer.
Theoretisch kann der Werksklub von der rechten Rheinseite Borussia Mönchengladbach zwar noch überholen, aber daran glaubt angesichts der fünf Punkte Vorsprung niemand mehr. Dazu spielt die Mannschaft von Lucien Favre viel zu gut.
Das beste Rückrunden-Team
Längst sind die Gladbacher das beste Team der Rückrunde, selbst der zweite Schlussrang hinter dem Meister aus München ist realistisch. «Meinen Vater müsste ich fragen, wann das in Gladbach zum letzten mal so gewesen ist am Ende einer Saison», spielt Max Eberl auf die historische Dimension des Erfolges an. In der nunmehr sechseinhalbjährigen Amtszeit des Sportdirektors hat sich der Club vom chronischen Abstiegskandidaten in eine stabile Spitzenmannschaft verwandelt.
Der Borussia-Park mit seinen 54’000 Plätzen: Die Fans feiern die Mannschaft nach dem Sieg gegen Leverkusen, der die Champions League ganz nahe bringt. (Bild: Reuters/INA FASSBENDER)
«Es ist wunderschön, dass das, was wir hier aufgebaut haben, solche Blüten treibt», sagt Eberl, an dessen gelassener Reaktion auf den bevorstehenden Vereinswechsel von Max Kruse sich ganz gut erkennen lässt, wie strapazierfähig die Gladbacher Entwicklung mittlerweile ist.
Der Verlust des Torjägers löst keine Depression mehr aus
Als die Borussia vor drei Jahren Vierter geworden war und mit Dante, Marco Reus und Roman Neustädter drei wichtige Spieler abgeworben wurden, verfiel der ganze Verein mit seinen 66’700 Mitgliedern und seiner noch viel grösseren Anhängerschar in einen Zustand des Trübsinns. Nun geht Kruse, mit elf Toren in den Top 10 der Bundesliga-Torjäger, nach Wolfsburg und Christoph Kramer, dessen Leihvertrag mit der Borussia endet, muss zurück nach Leverkusen.
Es gäbe also gute Gründe, ein wenig sorgenvoll in die Zukunft zu blicken. Doch Eberl, auf den Verlust von Kruse angesprochen, lächelt sanft und meint nur: «Wie Max sich die letzten vier Wochen, als dieser Wechsel öffentlicher wurde, verhalten hat, das ist herausragend und hoch professionell. Wir können stolz sein, einen richtig guten Jungen bei uns zu haben.»
Elf Tore, acht Vorlagen – das macht Max Kruse (rechts) zum fünftbesten Scorer der Bundesliga und ist dem VfL Wolfsburg 12 Millionen Euro Ablöse wert. (Bild: Reuters/INA FASSBENDER)
Wie gut, das demonstrierte der Nationalspieler, als er vergangenes Wochenende im Gipfeltreffen mit Leverkusen das wichtige 1:0 für die Borussia erzielte – wie schon in sieben Bundesligapartien zuvor. Sein brillantes Passspiel im Gladbacher Konterkonzept war auch in diesem niveauvollen Spiel zu bewundern. Aber die Substanz im Team bleibt auch ohne Kramer und Kruse exzellent, und das Vertrauen ins Transfergeschick der sportlichen Leistung ist gross.
«Es ist schade, dass Max weggehen wird, aber wir werden uns schon auch noch verstärken», sagt der ebenfalls konstant stark spielende Patrick Herrmann.
Aus der Position der wirtschaftlichen Stärke
Denn die Gladbacher sind wohlhabend. Kruses Wechsel soll eine festgeschriebene Ablösesumme von zwölf Millionen Euro bringen. Und wenn die Einnahmen aus der Champions League hinzukommen, sind auch für die Borussia richtig teure Transfers denkbar. Vermutlich wäre es auch möglich gewesen, Kruse ein ähnlich gutes Angebot vorzulegen wie die Wolfsburger, aber das wollte Eberl gar nicht.
Die Architekten des Gladbacher Höhenflugs: Der Schweizer Lucien Favre und der Bayer Max Eberl (rechts). (Bild: Imago)
«Alle wissen, dass wir Geld haben», sagte der Sportdirektor, «aber wir werden keine verrückten Dinge machen, bloss weil es vielleicht die Champions League wird.» In einem Fernsehinterview erwiderte er auf die Frage, warum er die Wolfsburger Gehaltsofferte nicht überboten habe: «Weil auf fünf Millionen, wenn es so ist, können wir nicht noch was drauf legen, da müssen wir eher noch zwei abziehen.»
Gehaltsobergrenze bei drei Millionen
Lucien Favre und sein Goalie: Der Ex-Basler Yann Sommer hat sich erwartungsgemäss als Königstransfer erwiesen. (Bild: Imago)
Das Gladbacher Konzept sieht vor, dass kein Spieler viel mehr als drei Millionen Euro verdienen soll. Würde Kruse einen deutlichen Aufschlag erhalten, würden Leute wie Xhaka, Herrmann, Tony Jantschke oder Yann Sommer mit Recht ähnliche Gehaltsverbesserungen verlangen. Solch eine Dynamik wollen die besonnenen Gladbacher unbedingt vermeiden.
Bei der Borussia steht immer noch das Konzept im Vordergrund. Denn mit diesem Konzept haben sie einen Punkt erreicht, an dem neue Bilder entstehen, die vielleicht irgendwann mal die Flure des Borussia-Parks schmücken werden.