Kurz vor Weihnachten 2017 erzielte Thibault Corbaz eines der wichtigsten Tore seiner Karriere. Die Temperatur bewegte sich um den Gefrierpunkt, als der ehemalige Junior des FC Basel mit Neuchâtel Xamax in Genf antrat.
Xamax war Leader der Challenge League und lief nach dem Rückstand Gefahr, die Verfolger aus Genf auf zwei Punkte herankommen zu lassen. Doch Raphaël Nuzzolo glich die Partie in der 88. Minute aus, und Corbaz traf in der fünften Minute der Nachspielzeit zum 2:1.
Xamax hatte ab dieser 17. Runde acht Punkte Vorsprung, baute diesen bis zum Saisonende auf 19 aus und stieg in die Super League auf. In den sechs Jahren nach dem Zwangsabstieg, den der tschetschenische Geschäftsmann Bulat Tschagajew mit seinem ruinösen Treiben verursacht hatte, arbeiteten sich die Neuenburger von der 2. Liga interregional zurück in die höchste Spielklasse.
Corbaz hatte daran einen grossen Anteil. Und am Samstag trifft er in der Maladière auf seinen ehemaligen Verein, den FC Basel. 2009 bekam der Lausanner einen Anruf aus Basel, als 16-Jähriger stiess er zur U18 und zwei Jahre später zur U21, wo Carlos Bernegger und Massimo Ceccaroni seine Trainer waren.
Mit der ersten Mannschaft nahm der zentrale Mittelfeldspieler an Trainingslagern teil, schaffte den Sprung ins Kader aber nicht. Corbaz erlebte in Basel eine Welt, die er vor wenigen Wochen in der Westschweizer Zeitung «24 heures» so beschrieb:
«Ich wurde verwöhnt in Basel, wo wir die besten Voraussetzungen hatten, um erfolgreich zu sein. Aber mit 14, 15 Jahren habe ich auch die Unerbittlichkeit des Wettkampfs kennengelernt und verstanden, dass dies keine Welt ist, in der man sich Geschenke macht.»
Gerne hätten wir in den Tagen vor dem Spiel gegen Basel mit Corbaz und dessen Trainer Michel Decastel gesprochen. Aber der Präsident von Xamax, Christian Binggeli, sagt höchstpersönlich ab und bittet um Verständnis. Die Mannschaft trainiere zweimal am Tag und der Trainer nehme sich bereits an der Pressekonferenz Zeit.
Dem Präsidenten ist die Rolle des Aussenseiters noch so recht
Binggeli, der 65-jährige Neuenburger Unternehmer aber gibt gerne Auskunft. 2012 hat er den Verein übernommen, diesen von Tschagajew hinterlassenen Scherbenhaufen, und führt ihn nicht annähernd so grossspurig wie der Tschetschene. Über Binggeli wird gesagt, er erledige auch kleinste Arbeiten selbst, wenn Not am Mann ist.
Die Aktien teilt er sich mit seinem Sohn Gregory. Dieser amtet als Vizepräsident und kümmert sich um Marketing, Sponsoring, Texte, Grafik und auch um das Community Management.
Mit dieser familiären Aufstellung gehört Xamax zu den Aussenseitern in der Super League. Oder wie Christian Binggeli sagt: «Nous sommes les petites puces – wir sind die Kleinen, aber mir ist das ganz recht so.»
Im ersten Super-League-Spiel seit sieben Jahren, am letzten Samstag auswärts gegen den FC Luzern, wurde Binggeli die Rolle von Xamax bewusst. Er war beeindruckt von der Organisation im Stadion und rechnet vor, wie viel weniger Leute auf der Maladière an den Spieltagen engagiert seien im Vergleich mit Luzern oder dann Basel und Bern.
Dem «Tages-Anzeiger» hatte Binggeli zu seinem Engagement bei Xamax einst gesagt: «So, ich steige da ein, aber mehr als die Challenge League liegt nicht drin.» Jetzt steht Xamax doch in der Super League, was «unglaublich» ist, wie Binggeli sagt, und nur deswegen möglich, «weil viele Neuenburger Spieler zurückgekommen sind, um dem Verein zu helfen».
Der Präsident hebt Raphaël Nuzzolo heraus, der fünf Jahre bei YB war und nach diesem Unterbruch in seine 13. Saison mit Xamax geht; oder Captain Laurent Walthert, Charles-André Doudin und Mike Gomes, alles Spieler um die 30 Jahre alt und im Team des Trainers Michel Decastel gesetzt.
Auch Decastel ist ein Rückkehrer. Zunächst war der Neuenburger für 13 Jahre in Afrika, wo er in Tunesien zwei Meister- und einen Cuptitel gewann. Dann war er für drei Jahren beim FC Sion, bevor es den inzwischen 62-Jährigen nach Neuenburg zurück zog, wo er als Spieler 1989 seine Karriere beendet hatte.
Decastel geht in seine vierte Saison mit Xamax und muss mit dem kleinsten Budget der Liga auskommen. Die Zielvorgabe des Präsidenten lautet nichtsdestotrotz: Ligaerhalt.
Gegen Luzern hat Xamax bereits den ersten Sieg geholt. «Wir sind glücklich, aber wir bleiben mit den Füssen auf dem Boden», sagt der Präsident nach den ersten drei Punkten.
Euphorie in der Stadt vor dem Heimspiel gegen den FC Basel
Am Samstag, beim ersten Super-League-Heimspiel seit sieben Jahren, hat Xamax gegen den FC Basel nichts zu verlieren. «Es kommt eine der grössten Mannschaften der Schweiz zu uns», sagt Binggeli. Und er spüre eine Euphorie in der Stadt.
Erwartet werden 8000 bis 9000 Menschen in der Maladière, die Xamax gegen den Vizemeister spielen sehen wollen – auf der künstlichen Unterlage. Mit Xamax ist diese Saison ein drittes Team neben Thun und YB in der Liga, das auf Kunstrasen spielt.
Thibault Corbaz dürfte an diesem Samstag seine Rolle spielen, wenn er auf seinen ehemaligen Verein trifft. Auch wenn er in der ersten Partie gegen Luzern nur eingewechselt wurde: In den vergangenen zwei Saisons war er unbestrittener Stammspieler unter Decastel, siebenfacher Torschütze und vierfacher Zuspieler. Corbaz hat sich weiterentwickelt und ist mit 24 Jahren doch noch zum Super-League-Spieler geworden.
Der Waadtländer hat ab der U15 alle Stufen der Schweizer Juniorennationalmannschaften durchlaufen und es auch im hiesigen Klubfussball bis nach ganz oben geschafft. Vergleichsweise spät, wenn man sich die Wege seiner einstigen Weggefährten wie Breel Embolo, Kevin Bua oder Michael Frey vor Augen führt.
Corbaz hat dafür andere Erfahrungen gemacht: etwa in den Monaten beim FC Biel, als die Saläre nicht bezahlt wurden, Trainer die Kontrolle verloren und er sich fragen musste: «Was mache ich eigentlich hier?» Es sei ein Albtraum gewesen.
Corbaz ist ein Element in der Erfolgskette
Bei Xamax hat Corbaz stabile Verhältnisse vorgefunden, einen Verein, der gesund durch die letzten Jahre gekommen ist und auf ihn setzt. Präsident Binggeli sagt über ihn: «Ein solider Spieler – physisch stark und er überzeugt mit einer ausgezeichneten Einstellung.»
Xamax unter Binggeli wäre allerdings nicht dieses Xamax, wenn der Präsident nicht nachschieben würde: «Aber Corbaz ist einfach ein Element in der Kette.» In diesem Verein soll keine Person hervorgehoben werden. So verlangt es dessen Selbstverständnis.