Ivan Ergić und die Prostitution

Ivan Ergić denkt über Prostitution nach und kommt zu einem verheerenden Resultat: Allein die Existenz des «ältesten Gewerbes» ist für den ehemaligen Fussball-Profi eine Niederlage für die gesamte Zivilisation.

Die Existenz der Prostitution zeigt Ivan Ergić: Mit der Menschheit ist es in den letzten paar tausend Jahren nicht wirklich vorwärts gegangen. (Bild: TaWo)

Ivan Ergić denkt über Prostitution nach und kommt zu einem verheerenden Resultat: Allein die Existenz des «ältesten Gewerbes» ist für den ehemaligen Fussball-Profi eine Niederlage für die gesamte Zivilisation.

Meine ersten Tage als Fussball-Profi bei Perth Glory sind verbunden mit einem kollektiven Teamausflug in ein Bordell. Auf mich als Neuling wurde bei diesem ersten gemeinsamen Abend ein besonderer Fokus gelegt; wie ich später verstand, sollte dies eine Art Initiierungsritus und offizielle Aufnahme in die Macho-Fussball-Welt sein, die ihre eigenen Verhaltensregeln und Gesetze hat. Wer sich ihnen nicht unterwirft, wird ausgeschlossen oder zumindest ausgelacht. Ich verstand damals nicht, warum das alles geschieht und warum sich ein ganzes Team ins Bordell begibt, obwohl zu Hause doch in aller Regel loyale, schöne und meist gescheite Freundinnen oder Frauen auf die Spieler warteten.

Das Schmerzhafteste war aber die Erkenntnis, dass dieser kollektive Ausflug ins Bordell tatsächlich im Kern einen rituellen Charakter hat. Er ist zu einem Teil der Tradition des Junggesellentums und Machismus geworden. Oft wiederholte Anekdoten sind aus irgendeinem Grund fast ausschliesslich mit Sex und Alkohol verbunden. Es liegt also nahe, dass es nicht der biologische Determinismus und unsere Instinkte sind, von denen naturalistisch und psychoanalytisch orientierte Psychiater, Philosophen oder auch Sexologen sprechen, sondern zu einem grossen Teil der Freundeskreis und der Gruppendruck, der unser sexuelles Verhalten beeinflusst.

Die gesetzliche Regulierung der Prostitution ist der Versuch der Vermenschlichung von etwas, das nicht menschlicher gemacht werden kann, solange die Freier nicht menschlicher sind. In der Fülle von Lösungsvorschlägen zur Prostitution bleibt ein Faktor immer ausgeschlossen: die Nachfrage – das Verbrechen jener, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Wie so oft wird viel mehr nach einem Verbot geschrien, ein fast schon pathologischer Lösungsansatz in unserer Gesellschaft.

So lange es Freier gibt, gibt es Prostitution

Verbote haben weder dem Drogenkonsum ein Ende gesetzt noch dem Alkoholmissbrauch, dem illegalen Waffenbesitz oder sonst irgendetwas in dieser Richtung. Und ein Verbot wird auch die Prostitution nicht beenden, solange die Nachfrage besteht. Wer sexuelle Dienstleistungen nutzt, muss wissen, dass er die Prostituierten durch eine Hölle von Menschenhandel, Misshandlungen, Erpressungen und auch Vergewaltigungen schickt, oft verknüpft mit Drogenmissbrauch und brutalsten Methoden. Die Grenze zwischen Zwangsprostitution und derjenigen, die ohne Druck geschieht, ist schmal oder fast inexistent.

Die Prostitution ist Teil unserer Kultur geworden und nicht nur mit dem professionellen Verkauf seines Körpers und körperlicher Freuden verknüpft. In vielen Ländern sehen die Mädchen, die sich angeblich von der patriarchalisch auferlegten Keuschheit befreit haben, die Verbindung zur «offenen Welt» durch die Befreiung ihrer Sexualität – ein Umstand, den wohlhabende Touristen und Besucher ausnutzen.

In der Tschechischen Republik, der Ukraine oder Russland haben diese Mädchen das zweifelhafte Image von «lockeren Frauen» erhalten. In diesen Staaten – aber leider auch auf dem Balkan und in Südamerika – sind die Frauen ein wichtiger Zweig der Wirtschaft geworden. Gleichzeitig herrscht eine Art kultureller Stolz auf die Tatsache, dass man schöne Frauen hat, als ob dies eine kulturelle Errungenschaft wäre und nicht ein ethnobiologischer Zufall, welcher weit entfernt ist von der Frage nach der Intelligenz, dem Esprit oder der jeweiligen sexuellen Moral.

Wer sexuelle Dienstleistungen nutzt, schickt die Prostituierten durch eine Hölle von Menschenhandel, Misshandlungen, Erpressungen und Vergewaltigungen.

Wie heuchlerisch mit dem Problem der Prostitution umgegangen wird, ist bestens zu beobachten in Gebieten, in denen internationale Friedenstruppen stationiert sind, Nato-Basen oder ähnliche Anlagen existieren. Es sind die internationalen Mächte, ihre Ermittlungsbehörden und ihre Truppen, die sich um das Problem der Prostitution und des damit verbundenen Menschenhandels kümmern müssten, aber ausgerechnet sie stehen vielerorts im Zentrum dieser Geschehen. Diese Tatsache wird aber auf den höchsten Ebenen der internationalen Politik gedeckt – zum Wohle des Images der jeweiligen militärischen und politischen Institutionen.

Wenn dies aber bereits auf dieser Ebene geschieht und toleriert wird, kann man den Fussballspielern, die von der Realität meist keine Ahnung haben, den Vorwurf machen, dass sie Orte wie das Rotlicht-Viertel von Amsterdam oder die Reeperbahn in Hamburg als beste Orte für ihr persönliches Amüsement verstehen?

Und es sind nicht nur die Fussballer, auch in allen anderen Sportarten, in denen die Männlichkeit ein starkes Element ist, gehören Besuche in Bordellen oder Strip-Clubs dazu. Die Einstellung gegenüber Frauen ist identisch. Aber das ist nicht spezifisch für den Sport, der in seinem wesentlichen Kern darwinistisch und machoid ist, sondern für viele Milieus und Kulturen.

Die «Bedürfnisse» der Besucher sollen befriedigt werden

Für grosse Sportereignisse und kulturelle Massen-Veranstaltungen werden immer wieder neue Kontingente an Prostituierten rekrutiert, um «die Bedürfnisse» der Besucher und Fans zu befriedigen, die sowieso nur an Karnevals-Atmosphäre, Alkohol und Sex interessiert sind – auch wenn alle schwören, nur wegen dem Fussball da zu sein.

Erinnern wir uns nur daran, wie das an der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland war: Die Bundesrepublik rechnete mit einem Zustrom von über 30’000 Prostituierten – denn schliesslich war man ja «zu Gast bei Freunden», und die Gäste sollten sich wohlfühlen. Letztlich ist der grösste Gewinner solcher Ereignisse nicht das Team, welches im Finale siegt, sondern die Sex-Industrie, Kneipen, Casinos und Alkohol-Produzenten.

Sex ist zur Mode mit Verbrauchscharakter geworden. Zu etwas, das man macht, zum Lifestyle – mehr gebunden an Kultur als natürliche Impulse. Sex als Steigerung der Intimität zwischen zwei Verliebten ist nur noch ein Relikt, das zu altmodischen Romanen, Gedichten oder ritterlichen Duellen aus der Feder von Alexander Puschkin passt. Alles wird sexualisiert – da erstaunt es letztlich nicht, dass es zu Störungen des sexuellen Verlangens kommt. Die Einstellung zum Sex ist eine Frage der persönlichen Befindlichkeit. In pansexuellen Kreisen ist es nicht mehr möglich, mitfühlend und tugendhaft zu sein. Diese Werte werden ausserdem auch noch systematisch abgewertet und ausgelacht. Der Konsum der sexuellen Dienstleistungen ist meist die Folge von gestörten Beziehungen und Ehen, die nicht aus Liebe eingegangen wurden.

Die Promiskuität ist zum Verbrauchsgut geworden.

Die allgemeine Haltung gegenüber der Prostitution reicht von der formalen Zustimmung bis zum Verbot. Selbst in den als «religiös» deklarierten Ländern blüht die Prostitution unter dem Schleier. Und sie existierte auch im konservativen Patriarchat aller vorherigen Epochen der Geschichte mit den Hetären, Geishas oder Frauen in den Harems. Sie war damals aber eine Klassenfrage und damit erst recht eine Heuchelei: Die Mächtigen und privilegierten Klassen mussten weder ihre Schwestern, Mütter oder Ehefrauen in die Prostitution zwingen, die Frauen blieben aber per Definition im Patriarchat in einer untergeordneten Rolle.

Inzwischen ist Sex nicht mehr nur das Privileg des Mannes, er ist im liberalen Kapitalismus eine Frage des Geldes und der Macht. Gut zu beobachten an der steigenden Zahl westlicher Frauen, die in exotische Länder reisen, wo sie sich für billiges Geld die Dienste junger Männer kaufen. Sextourismus ist auf dem Vormarsch – bei Männern wie Frauen.

Die Promiskuität ist zum Verbrauchsgut geworden. Sie wurde entkoppelt von der untergeordneten Rolle der Frau und ist nun nur noch eine Frage der Kaufkraft. Schon alleine die Existenz der Prostitution ist eine Niederlage der Zivilisation. Der Versuch, die Prostitution damit zu legitimieren, dass es «das älteste Gewerbe» ist, zeigt nur eines: Die Menschheit hat sich in rein menschlicher Hinsicht in Tausenden von Jahren nicht viel bewegt.

Wenn jemand in der Lage ist, seine Familie zu hintergehen, wozu ist dieser Mensch noch fähig?

In meiner Zeit als Fussballprofi habe ich mich zu trösten versucht, indem ich eine Unterscheidung zwischen jenen Mitspielern machte, an denen die Reue nagte und jenen, die die Bordelle auf eine mechanische Art besuchten ohne jegliche Scham – und die leider in der Mehrzahl waren. Diese Unterscheidung ist wichtig. Es geht dabei wie bei Verbrechen um die Frage, ob der Täter Reue verspürt oder pathologisch gleichgültig ist. Wenn ich versuchte dieses Verhalten damals zu verstehen, versicherten mir die «Reuelosen» meist, dass die Familie ihr Heiligstes sei. Eine Frage beschäftigte mich danach immer: Wenn jemand in der Lage ist «sein Heiligstes» mit Betrug und ritueller Promiskuität zu hintergehen, wozu ist dieser Mensch noch fähig? Eine Antwort hab ich nicht gefunden, aber ich weiss inzwischen: Ich fürchte mich vor solchen Leuten.

Artikelgeschichte

Übersetzt aus dem Serbischen von Amir Mustedanagić

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