Die spanischen Medien rühmen ihn als «Crakitic», «Marschall Rakitic» oder schlicht den «perfekten Mittelfeldspieler». Nicht schlecht für einen, der seine internationale Karriere mit einigen Schwierigkeiten startete. Im Endspiel der Champions League dürfte Barça-Coach Luis Enrique einmal mehr auf das einstige Talent des FC Basel setzen.
Am Samstag hat er sie alle beieinander gehabt. In einem Spielzug. Doppelpass mit Messi, direkt weitergeleitet zu Luis Suárez, dann den Torschützen Neymar eskortiert. Die «drei Tenöre», das grandioseste, furchterregendste Sturmtrio des modernen Fussballs. Und als Gehirn des Spielzugs, er, Ivan Rakitic.
Ivan Rakitic aus Möhlin. Der unbesungene Star dieses FC Barcelona, der geheime Erfolgsfaktor nicht nur dieses Tors zum 2:0 gegen Athletic Bilbao im Pokalfinale, sondern auch des Doubles und der Chance, am Samstag in Berlin gegen Juventus Turin das zweite Triple der Klubgeschichte perfekt zu machen. Der Schweizer Kroate, der sich heute also gewissermassen mit einem Landsmann duelliert, Stephan Lichtsteiner. Der in Spanien so eine grosse Karriere macht, voriges Jahr mit Sevilla die Europa League gewann und jetzt die Champions League gleich hinterher schieben kann.
In 50 von 59 Saisonspielen hat er in Barças Startformation gestanden. Zusammen mit Luis Suárez ist er die einzige Neuerung in der Stammelf gegenüber einer Mannschaft, die vorige Saison in der Depression versank und keinen Titel gewann. Auch Trainer Luis Enrique ist neu. Und dass er den Stammplatz von Klublegende Xavi an Rakitic gab, war eine programmatische Entscheidung. Rakitic ist so etwas wie Agent des Wandels.
Der 27-Jährige steht für das elektrischere Barça dieser Saison, für die neuen Varianten, die Luis Enrique den Meistern des Tiki-Taka beigebracht hat: Gefahr aus der zweiten Reihe, vertikales Passspiel, schnelle Überbrückung des Mittelfelds. Chef des Plan B könnte man ihn auch nennen. Neben Javier Mascherano gilt er taktisches Gehirn dieses anspruchsvollen, weil eben wechselhaften Spielstils, als einer, der die Lücken in der eigenen Defensive genauso schnell erkennt wie die freien Räume beim Gegner.
Volltreffer Sevilla
«Crakitic», hat ihn «Mundo Deportivo» genannt. «Marschall Rakitic», die «Marca». Vom «perfekten Mittelfeldspieler» schreibt «Sport». Nicht so schlecht für einen, der einst als grosses Talent vom FC Basel nach Schalke auszog und dort nie so richtig sein Talent entfalten konnte.
Vielen Spielern ging das in den letzten Jahren so. Es scheint sich eher um ein Problem von Schalke zu handeln, aber für die Spieler ist dann der nächste Schritt entscheidend. Rakitic ging nach Sevilla. Ein Volltreffer. Der andalusische Rekordchampion der Europa League ist, um im Bild zu bleiben, so etwas wie ein Anti-Schalke: dort werden die meisten Spieler besser, dort herrscht positives Ambiente, dort werden Erfolge gefeiert. Nebenbei lernte er auch noch seine Frau in Sevilla kennen und wurde Vater.
Als er sich vorigen Sommer unter Tränen aus Sevilla verabschiedete, fragte er sich womöglich auch mal kurz, ob er da einen Fehler machte. Jedenfalls war es eine mutige Entscheidung: alles aufzugeben und neu anzufangen in einem Kader voller Stars.
Mitten unter den Stars
Aber Barcelona hatte sich intensiv um ihn bemüht. Der inzwischen entlassene Sportdirektor Andoni Zubizarreta und der künftige Trainer Luis Enrique waren begeistert von seiner Dynamik, Vielseitigkeit und Torgefährlichkeit. «Ich komme nicht, um irgendjemanden zu ersetzen», sagte Rakitic zum Einstand, angesprochen auf Xavi. «Ich bin Ivan Rakitic und ich möchte in Barcelona als Rakitic triumphieren.»
Er bekam die Trikotnummer 4, die der zu Chelsea abgewanderte Cesc Fàbregas hinterlassen hatte. Die 4 ist eine mythische Nummer im Barça-Kosmos, sie gehörte seit den Trainerzeiten von Johan Cruyff oft dem Spielmacher vor der Abwehr. Pep Guardiola hat sie getragen. Aber der Guardiola des heutigen Barça ist Sergio Busquets. Rakitic spielt zentral rechts im Mittelfeld – und überall, wo er gebraucht wird.
Als erstes habe er sich bei Barça klar machen müssen, sagte Ivan Rakitic dieser Tage gegenüber der Fifa-Webseite, «dass rechts von mir der beste Spieler aller Zeiten spielt.» Messi. «Da er etwas ganz Besonderes ist, hat er auch andere Laufwege.» Ausserdem, so Rakitic, «spielt an meiner Seite auch der beste Aussenverteidiger, der sich oft in einen weiteren Stürmer verwandelt». Dani Alves. «Daher gehört es zu meinen Hauptaufgaben, für die richtige Balance zu sorgen.» In Sevilla war das anders, da spielte er in aller Regel auf der offensiven Spielmacherposition und war selbst der Star.
«Ich kann nicht dribbeln wie Messi oder passen wie Xavi und Iniesta. Ich bringe andere Sachen ein.»
Ivan Rakitic
Die ersten Monate waren nicht einfach. Rakitic fügte sich anfangs gut ein, hatte ab dem Herbst aber einen Durchhänger. Wie die ganze Mannschaft. Luis Enrique liess viel rotieren, eine Stammelf war ebenso wenig zu erkennen wie eine klare Spielidee. Gleichzeitig stürmte Real Madrid von Sieg zu Sieg. Ausgehend von der These, dass Barça auch der in jener Saisonphase besonders brillante Toni Kroos angeboten wurde und beide eine ähnliche hohe Ablöse gekostet hätten, wurden Zubizarreta und Luis Enrique für verrückt erklärt. Wie konnten sie sich nur für Rakitic entscheiden?
Die Frage stellt inzwischen niemand mehr. Ironischerweise wendete sich just seit der Entlassung von Zubizarreta Anfang Januar alles zum Besseren, auch für Rakitic. Luis Enrique entschied sich jetzt fest für eine Dreierkonstellation im Mittelfeld aus Busquets, dem offensiven Spielmacher Iniesta und ihm. Wenn Rakitic sich dann verausgabt hat, wenn Barça führt und die Partie beruhigt werden soll, kommt Xavi für ihn – so das Muster. Achtmal wurde er allein in der Champions League ausgewechselt.
Barças Mittelfeldspiel gilt als das speziellste der Welt. Rakitic hat es nicht nur schnell verstanden, er hat es auch gewinnbringend beeinflusst. «Ich kann nicht dribbeln wie Messi oder passen wie Xavi und Iniesta», hat er gesagt. «Ich bringe andere Sachen ein.» Niemand in Barcelona hat damit ein Problem.