Die Fussball-Welt schwärmt von einem jungen Mann namens James Rodriguez und der weiss selbst nicht, wie ihm während der WM geschieht. Heute Abend (22 Uhr) tritt er mit Kolumbien Gastgeber Brasilien im zweiten Viertelfinal gegenüber.
Fussball ist ja neuerdings auch in den USA ein Topevent, und so schaut auch ein gewisser LeBron James immer mal wieder rein. «Gucke gerade dieses Kolumbienspiel und habe meinen Lieblingsspieler bei der WM gefunden», twitterte er. «Der Name hilft natürlich». Der Name, klar. Aber eigentlich braucht es den gar nicht, um sich von James Rodríguez hinreissen zu lassen.
Wie dem besten Basketballer des Planeten geht es momentan jedenfalls auch Millionen anderen Menschen, die nicht James heissen und sich fragen: Wo kommt der denn her? Und vor allem: Wie spielt der denn Fussball? Mit jedem WM-Match ist der 22-Jährige vom AS Monaco mehr ins Rampenlicht gerückt. Dank seiner fünf Turniertore steht Kolumbien erstmals einem WM-Viertelfinal.
«Ein Gemälde wie von Picasso», schrie der kolumbianische Radioreporter, nachdem er eine gute halbe Minute lang «Goool» gerufen hatte. James‘ 1:0 gegen Uruguay war die grösste Delikatesse dieses Turniers bislang und es hatte alle Zutaten zu einem ikonischen Tor. Ausserhalb des Maracanã und auf den Strassen Rio de Janeiros imitierten es in der Nacht bereits die Fans: Ballannahme mit der Brust und halbe Drehung in einer Bewegung. Auf den linken Fuss tropfen lassen und dann volley unter die Latte dreschen. «Gesegnetes Tor, James», fuhr der Radioreporter fort, «vielen Dank, mein Land hat es verdient. Kolumbien, eins, Uruguay null. Kolumbien, mein Traum, meine ewige Liebe».
«Der beste Spieler dieser WM»
Im Maracanã wurde James Rodríguez, 22, also zum Weltstar geweiht, und das ist jetzt ausnahmsweise mal keine Übertreibung der faszinierten Reporter. Das hat unter anderem auch der «Maestro» gesagt, Óscar Washington Tabárez, dessen Meinung viel gilt in Südamerika. «James ist der beste Spieler dieser WM bislang, er präsentiert sich mit dem Talent, Dinge zu tun, die in keinem Verhältnis stehen zu seiner Erfahrung», dozierte Uruguays Trainer. Messi, Maradona, sein Luis Suárez – nur die ganz Grossen hätten dieses Talent. «Er war unsere grosse Sorge bei der Spielvorbereitung, und ich denke, wir haben ihn auch ganz gut eingeschränkt. Aber trotzdem hat er sich gezeigt – und sich spüren lassen. »
Bitter spüren lassen für Uruguay, auch beim 2:0. War das erste Tor sein Solo-Meisterwerk, so brillierte beim zweiten die ganze Werkstatt. Durch das Mittelfeld und dann von rechts nach links passte Kolumbien sich die Kugel zu, eine Flanke auf den langen Pfosten, eine Kopfballablage in den Strafraum und da war er wieder, James, in der Mittelstürmerposition, die eigentlich gar nicht seine ist.
So wie das Toreschiessen normalerweise auch nicht seine Sache ist. In der ganzen Clubsaison erzielte er nur neun Tore. Aber wo es gerade schon so gut läuft, für ihn und ein wunderbar leichtes Kolumbien, führt er jetzt eben auch die Liste der WM-Schützen an.
Der wundervolle Angriff zum 2:0-Endstand gegen Uruguay versinnbildlichte diese Tugenden und zeigte auch beispielhaft, wie die mobilen Angreifer Teo Gutiérrez und Jackson Martínez und der in die Sturmmitte vordringende James das Fehlen des verletzten, grossen Stars Falcao im Team ausgleichen. Kolumbien ist durch das Malheur letztlich eher noch besser, weil schwerer ausrechenbar geworden
José Pékermans Ahnung
Sein eigentlicher Job, und auch den erfüllt er bislang mit Bravour, ist es eher, den Taktstock zu schwingen. Der Spielfluss der Elf, das schnelle Umschalten in beide Richtungen, die Harmonie zwischen Ballstafetten und Beschleunigung, all die Dinge, die Trainer José Pekerman wichtig sind und Kolumbiens Identität auszeichnen – sie laufen bei ihm zusammen.
«Ich habe auf James gesetzt, weil ich bei ihm superlative Voraussetzungen sah», sagte der Argentinier. «Wir haben es mit einem Weltklassespieler zu tun, der sehr gut interpretiert, was die Mannschaft braucht. Deshalb habe ich immer gedacht, dass dieses Turnier die WM des James Rodríguez werden wird.»
Wenn ein Trainer so über einen eigenen Spieler spricht, wo Trainer doch eigentlich ungern über eigene Spieler sprechen – dann hat man es mit einem zu tun, den dieser Trainer für unverdächtig hält, die Bodenhaftung zu verlieren. Innig umschlungen legten Pekerman und Rodríguez nach Schlusspfiff einen Teil des Weges in die Kabine zurück.
Wie Tabárez betonte auch Kolumbiens Trainer, dass James «die Verantwortung für Dinge übernimmt, die ein Fussballer normalerweise viele Jahre zu verstehen braucht.» Spielintelligenz nennt man das auch und Führungsqualitäten.
James selbst? Dankte dem Maestro aus Uruguay artig für dessen Lob und beteuerte: «Ich habe keinen Begriff davon, was ich hier erreiche, und ich weiss nicht, was man draussen über mich sagt. Ich bin glücklich und konzentriere mich darauf, jede Partie so zu spielen als wäre sie die letzte.» Das Pathos an Kolumbiens historischem Tag, der mit einem emotionalen Brief von Santiago Escobar, dem Bruder des vor 20 Jahren wegen seines Eigentors erschossenen Andrés Escobar, an die Mannschaft begonnen hatte, überliess er eher anderen. Für irgendwas gibt es ja auch noch einen Captain.
Eine Mannschaft zu einer Gewissheit geformt
Mario Yepes also, 38-jähriger Abwehrchef, sprach die salbungsvolle Botschaft in die Heimat, als die Spieler in Richtung Ausgang schlurften. «Das Wichtigste ist, dass die Leute diesen Abend geniessen, mit der Familie und den Freunden feiern und dass sie wissen, dass an ihrer Seite immer der nächste Kolumbianer ist». Noch ein Besito mit einer Freundin aus den Medien, und weg war er, zusammen mit den anderen aus einer neben dem Platz genauso sympathischen Mannschaft, die bei diesem Turnier nicht nur ihre Landesleute begeistert und bei der ersten WM-Teilnahme seit 16 Jahren im Viertelfinale nun Gastgeber Brasilien fordert; gewiss nicht chancenlos.
50:50 schätzt Pékerman. Pékerman hat als Trainer Argentiniens und Kolumbiens keines seiner neun WM-Spielen verloren – ausser 2006 den Viertelfinal gegen Deutschland im Elfmeterschiessen. Und er Kolumbien nach 16 Jahren Abwesenheit nicht nur zum Geheimfavoriten der WM, sondern zu einer Gewissheit geformt.
Lebron James dürfte heute auch wieder einschalten, und vielleicht hat ihm jemand inzwischen ausgerichtet haben wird, dass dieser neue Superkicker zwar den selben Namen hat – aber deshalb noch lange nicht auf denselben Namen hört. In Kolumbien sagen sie nämlich nicht «Dscheims» sondern «Chames».