Atlético Madrid verabschiedet sich mit einem Sieg im Stadt-Derby aus seinem mythischen Stadion. Trotzdem können nun die «Galaktischen» um Cristiano Ronaldo am 3. Juni in Cardiff erstmals den Champions-League-Titel verteidigen. Derweil hoffen die Fans des Finalgegners Juventus Turin auf «ihre» Nummer Sieben, und die besitzt immerhin biblische Power.
Die Stimmung war endzeitlich, der Wind zum Sturm geworden und der Donner zu Blitzen. Atléticos Spieler hatten sich unter Huldigungen aus dem Estadio Vicente Calderón verabschiedet, mit nacktem Körper im strömenden Regen, stolze Gladiatoren in ihrem ewigen Kampf gegen die Elemente. Doch das letzte Wort gebührte Real Madrid, auch bei der Folklore.
Weit nach Schlusspfiff zogen die königlichen Angestellten noch einmal aus der Kabine vor die Gästekurve, mit zwei Fahnen markierten sie das Revier, eine des Vereins, eine von Spanien, das sie am 3. Juni im Champions-League-Finale vertreten. Für Atlético und sein mythisches Stadion mochte an diesem Abend ja wirklich die Geschichte zu Ende gehen, viele Fans entnahmen sogar ihre Sitzschalen als Souvenir aus der bald abrissfertigen Arena. Für Real dagegen fängt die Geschichte mal wieder erst an.
«Klasse ist Klasse – und Real hat viel davon»
Der «Club des 20. Jahrhunderts» – so ein von der Fifa offiziell verliehener Beiname – kann im Millennium Stadium von Cardiff auch die erste grosse Benchmark des 21. Jahrhunderts setzen und als erster Verein die Champions League im heutigen Format verteidigen. Es wäre der dritte Titel binnen vier Jahren für den elfmaligen Gewinner des bedeutendsten Europapokals und damit seine grösste Ära seit den 1950er-Jahren.
Auch daran mochte einer wie der sendungsbewusste Real-Kapitän Sergio Ramos gedacht haben, als er durch den klaustrophobisch engen Spielertunnel des Calderón fegte und dabei triumphal mit seinen Händen die Lamellen an der Decke abklatschte. Nicht zuletzt schuldete sich die Euphorie aber wohl auch dem Umstand, eine der infernalischsten Partieeröffnungen der Europacup-Geschichte überstanden zu haben.
Ob Atlético noch mehr erreicht hätte als eine frühe 2:0-Führung, wenn es seine teuflische Melange aus Pressing und langen Bällen noch etwas länger aufrechterhalten hätte, ohne Rücksicht auf die mögliche Erschöpfung – das wird für immer die Frage dieser Nacht bleiben. Trainer Diego Simeone beantwortete sie mit einem Kompliment an den Rivalen, für den nach einem genialen Solo von Karim Benzema und einem parierten Schuss von Toni Kroos dann Isco zum 1:2 abstaubte: das entscheidende Polster nach dem 3:0 des Hinspiels. «Klasse ist Klasse», sagte Simeone: «Und sie haben viel davon.»
Kroos berichtete, man habe sich nach dem Orkan der Anfangsviertelstunde vorgenommen, ruhig zu bleiben und das eigene Spiel zu spielen. «So konnten wir die Partie kontrollieren und das Stadion ein bisschen leiser machen.» Dass Cristiano Ronaldo dieses Schweigen nach dem Anschlusstor auch noch mal mit expliziter Geste einforderte, führte dann aber nur zu einem epochalen Gerangel, in dem ihn Lokalheros Fernando Torres als «Hurensohn» und «Clown» beschimpft und er diese Injurien mit einem spöttischen «Ab nach Hause, Dummkopf» gekontert haben soll.
Ein geknickter Jose Maria Gimenez verlässt das Estadio Vicente Calderón. Es war der letzte grosse Auftritt für Atlético im altehrwürdigen Stadion. (Bild: Keystone/Juanjo Martin)
Sachlicher resümierte Kroos: «Über die 180 Minuten betrachtet, verdienen wir das Finale.» Und in diesem geht es nun also gegen Juventus Turin. Ein Europacup-Klassiker, schon 18 Mal aufgeführt, mit je acht Siegen und zwei Remis.
Es ist das Wiedersehen mit dem Ex-Verein für Juves Sami Khedira, dessen Muskelverletzung aus dem Halbfinale gegen Monaco nach eigener Auskunft «nichts Ernstes» ist, und «natürlich etwas Spezielles» auch für Real-Trainer Zinédine Zidane, der ebenfalls auf seine Vergangenheit trifft. Im Endspiel 1998 stand er für die Turiner auf dem Platz, als Real durch ein Tor von Predrag Mijatovic obsiegte, das sie nicht nur in Italien bis heute für Abseits halten.
Juves heilige Sieben
Zuletzt triumphierte dann allerdings Juventus im Halbfinale 2015 und besiegelte so die Entlassung des heutigen Bayern-Trainers Carlo Ancelotti. Seitdem sind beide Mannschaften gewiss nicht schlechter geworden. Bei Real fügen sich die Dinge unter Zidane so harmonisch zusammen wie seit Jahrzehnten nicht, und Turin ist gegenüber der Finalniederlage vor zwei Jahren gegen den FC Barcelona noch solider in der Defensive – drei Gegentore in zwölf Champions-League-Spielen diese Saison – und noch variabler in der Offensive. Arrigo Sacchi, italienischer Ex-Sportdirektor von Real, sieht seine Landsleute favorisiert: «Die Juve ist stark wie ein Kriegspanzer.»
In Turin beflügelt zudem ein biblisches Nummernspiel die Titelträume: Seit 1989 hat alle sieben Jahre eine italienische Mannschaft die Trophäe gewonnen – das Jahr 2017 fällt wieder in diese Reihe. Ein Norddeutscher wie Kroos hält es indes auch bei den Zahlen nüchterner. Kurz und knapp befand er: «Es ist ein 50:50-Spiel.»
Knackt Cristiano Ronaldo auch den Kriegspander Juve? Er glaubt bestimmt daran. (Bild: Keystone/Francisco Seco)