Er kam, sah und siegte. Jordi Cruyff ist beim Gegner des FC Basel in der dritten Qualifikationsrunde der Champions League seit einem Jahr General Manager. Der 20. Meistertitel für Maccabi Tel Aviv sei nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Professionalität nach europäischem Vorbild, sagt der Sohn des grossen Johan Cruyff im exklusiven Interview mit der TagesWoche.
Auf die Saison 2012/13 übernahm Jordi Cruyff (39) den Posten des General Manager bei Maccabi Tel Aviv, ein Jahr später feierte der Rekordmeister Israels seine 20. Meisterschaft – nach zehn titellosen Jahren. Cruyff, Sohn der niederländischen Fussballlegende Johan Cruyff, versucht bei Maccabi Tel Aviv eine Mentalität einzuführen, die in der israelischen Premier League Schule machen könnte: klare Strukturen und Kompetenzverteilung, ein Trainerstaff nach europäischem Vorbild und eine Kultur der Geduld und Gelassenheit.
Möglich machen diesen Kulturwandel die Zuschüsse von Mitchell Goldhar zum 25-Millionen-Franken-Budget: Der Milliardär aus Kanada, der sein Vermögen im Immobilien- und Detailhandel (Wal-Mart) gemacht hat, kaufte 2009 Maccabi Tel Aviv, installierte ehemalige Clublegenden als Trainer und Manager und stellte beträchtliche Summen für Spielertransfers zur Verfügung, ohne als Mitglied der «Big Four» der israelischen Liga, zu denen Maccabi Haifa, Hapoel Tel Aviv und Beitar Jerusalemum gehören, die lange Durststrecke beenden zu können.
Das hat sich unter Jordi Cruyff geändert. Zuvor als Sportdirektor des zypriotischen Verein AEK Larnaca tätig, der es in die Gruppenphase der Europa League schaffte, geniesst Cruyff freie Hand, bestimmt über das gesamte sportliche Personal und holte einen Trainerstab aus Spanien in die israelische Mittelmeermetropole.
Trainer Oscar Garcia ist nach nur einem Jahr und dem Titelgewinn weitergezogen nach England zu Brighton & Hove Albion, Cruyff ist geblieben. Die TagesWoche hat ihn auf dem Trainingsgelände von Maccabi Tel Aviv, im Süden der City nahe der alten Hafenstadt Jaffa, zum Gespräch getroffen.
Jordi Cruyff, was wussten Sie über den israelischen Fussball, bevor Sie nach Tel Aviv gekommen sind?
Jordi Cruyff: Nicht viel. Als Spieler bin ich im Europacup einmal gegen den Verein Hapoel Beer Sheva angetreten, ich erinnere mich an ein intensives Spiel hier, an mehr kaum. Aber die Gespräche mit der Clubführung von Maccabi Tel Aviv begannen schon ein Jahr vor meinem Antritt hier, daher hatte ich viel Zeit, mich über den Club zu informieren.
«Präsident Mitchell Goldhar lässt uns in Ruhe arbeiten, er lebt ja in Kanada und nicht hier.»
Was haben Sie herausgefunden?
Ich stiess auf einen Club mit einem verhältnismässig grossen Budget, der eine grosse Medienaufmerksamkeit geniesst, viele treue Fans hat und von einem Besitzer geführt wird, der für Stabilität im Club sorgt. Zusammen ist das eine gute Kombination. Einer meiner Cousins lebt ausserdem seit über zehn Jahren hier, daher war ich gut informiert – nicht nur über den Fussball, sondern allgemein über das Leben hier. Man kennt Israel nicht, wenn man nicht hier lebt. Das Bild, das von diesem Land in den europäischen Medien gezeichnet wird ist…
…verzerrt?
Zumindest bei weitem nicht die gesamte Realität. Tel Aviv ist in erster Linie eine wunderbare Stadt, in der man gut Leben kann. Was den Club betrifft, hat mich das Konzept von Mitchell Goldhar überzeugt, langfristig stabile Strukturen für den Verein zu schaffen. Er hat nie Druck aufgesetzt, gleich von Anfang an die Meisterschaft zu gewinnen.
Was Sie dennoch getan haben.
Natürlich nicht ich alleine, ich verfüge über einen grossartigen Staff. Aber Mitchell Goldhar lässt uns in Ruhe arbeiten, er lebt ja in Kanada und nicht hier. Was nicht heisst, dass wir tun können, was wir wollen, es finden regelmässige Telefonkonferenzen statt. Die Kommunikation ist gut und professionell. Ich bin glücklich damit.
Der Präsident kommt selten an die Spiele und liess Sie auch in Ruhe arbeiten, als Maccabi die emotionsgeladenen Stadtderbys gegen Hapoel Tel Aviv und Bnei Yehuda verlor. Was sind seine Pläne mit dem Club?
Vielleicht hat er familiäre Bindungen hier, vielleicht ist es ein Ausdruck traditioneller jüdischer Philanthropie. Sie sollten das ihn selbst fragen.
«Wir dominierten die Liga nicht, aber wir gewannen regelmässig Spiele und damit unser Projekt an Glaubwürdigkeit.»
Mit welchen Erwartungen werden Sie seitens der Öffentlichkeit und der Fans konfrontiert?
Die sind massiv. Es ist schwierig vorstellbar, aber hinter das Engagement eines leitenden Angestellten aus dem Ausland wird ein grosses Fragezeichen gesetzt: Kann er sich an die Kultur anpassen? Kann er dem israelischen Fussball positive Impulse verleihen? Meines Erachtens drückt da ein Mangel an Offenheit durch, dabei kann der Fussball von internationalen Impulsen profitieren. Denn der Fussball wurde nicht in Israel erfunden, und bringt man verschiedene Kulturen des Spiels wie des Managements hierher, öffnet das den Horizont. Aber die einfache Wahrheit ist: Wir hatten von Anfang an Erfolg. Wir dominierten die Liga nicht, aber wir gewannen regelmässig Spiele und damit unser Projekt an Glaubwürdigkeit. Das erleichtert die Arbeit.
Mit wir meinen Sie Ihren spanischen Trainerstab. Meistertrainer Oscar Garcia war zuvor im Nachwuchs des FC Barcelona tätig. Ist das Ihr Projekt – die katalanische Fussballkultur nach Tel Aviv zu bringen?
Nein. Überall auf der Welt will die Öffentlichkeit Siege sehen, und am liebsten im Stil des FC Barcelona. Aber um so weit zu kommen, braucht man zwanzig, dreissig Jahre. Wir haben hier keine Messis, keine Ronaldinhos, wir müssen einen eigenen Weg finden. Die Israelis lieben offensiven Fussball, aber wenn es im Fussball eine einzige Wahrheit gibt, dann die: Das Team mit der besten Verteidigung steht am Ende mindestens auf Platz zwei. Immer. Deshalb gibt es wenig Grund, an unserem System, das nicht total auf die Offensive setzt, etwas auszusetzen, und ich hätte nichts dagegen, wenn die kommende Saison ähnlich verlaufen würde.
«Professioneller Fussball findet nicht nur im Training und auf dem Platz statt, sondern den ganzen Tag.»
Was verstehen Sie unter einer neuen Kultur des Managements?
Dass man mit einer europäischen Logik, mit europäischen Ideen hier Fussballclubs führt. Dass sich hier Praktiken etablieren, die in Europa Standard sind. Wir haben viel Aufwand für Fitnesstrainings, Taktik, eine disziplinierte Arbeitskultur betrieben. Wir wollen Spieler, die hart an sich arbeiten. Die grössten Talente werden nicht automatisch die besten Fussballer.
Das heisst, Sie professionalisieren den Trainingsbetrieb?
Israel hatte auch davor ausgezeichnete Trainer. Ich meine den gesamten Betrieb: Wenn die Spieler morgens trainieren, nehmen sie zuvor hier ihr Frühstück zu sich, nicht zu hause. Wir unterrichten Sie in der Verletzungsprävention, wir erstellen Ernährungspläne – kurz: Wir führen sie durch den Erkenntnisprozess, dass professioneller Fussball nicht nur im Training und auf dem Platz stattfindet, sondern den ganzen Tag.
Das klingt, als seien Sie fussballerisch in einem Entwicklungsland angekommen.
Das habe ich nicht gesagt, und das kann ich nicht beurteilen. Es ist schlicht ein Fakt, dass es hier beispielsweise keine Ernährungspläne gab. Wir professionalisieren das Klima nicht nur für den Club, sondern auch für die Spieler. Damit sie vorbereitet sind, sollten sie in eine grössere europäische Liga wechseln. Einige israelische Spieler sitzen in Europa nur auf der Bank. Was in der Regel nichts mit ihrem Talent zu tun hat.
«Die Schweiz hat einen grossen Vorteil: Wer die Immigranten in den Fussball integriert, erfährt eine Kulturbereicherung.»
Wo steht denn die israelische Liga im Vergleich mit mittelgrossen europäischen Ligen?
Israel gehört nicht zu den acht besten Ligen der Uefa, auch wenn hier manche das anders sehen. Die Schweiz hat einen grossen Vorteil, weil sie ihren Kulturmix nutzt. In eurem Nationalteam tauchen Namen mit albanischer, bosnischer, türkischer, italienischer Herkunft auf. Wer die Immigranten in den Fussball integriert, erfährt eine Kulturbereicherung, auch Deutschland hat damit begonnen, und schauen Sie nur, wie sich der Fussball entwickelt hat im Vergleich zu den Neunziger Jahren.
Auch Israel ist ein Immigrationsland.
Ja. Aber wie gesagt: meiner Erfahrung nach ist die israelische Gesellschaft etwas verschlossen, auch im Fussball. Das zu ändern, braucht Zeit.
Dass israelische Fussballclubs maximal fünf ausländische Spieler im Kader haben dürfen, ist Ausdruck davon. Ist das ein Nachteil?
Was ich darüber denke, ist nicht von Bedeutung. Es wird nichts ändern.
Aber für Sie als Clubmanager ist diese Beschränkung nachteilig, oder?
Es ist eine Beschränkung, ja. Der Gedanke dahinter ist, dass die einheimischen Spieler regelmässig spielen, sich kennen, und das Nationalteam davon profitiert. Aber die Mehrheit der Nationalspieler ist im Ausland unter Vertrag. Und betrachtet man die Clubkoeffizienten, ist die Entwicklung negativ. Ich hoffe, dass es drei israelische Teams in die Gruppenphasen des Europacups schaffen. Es wäre gut für die Koeffizienten, und somit gut für die Liga.
«Es herrschten hier Zustände wie in einer offenen Küche, in die jeder reinspazieren konnte.»
Auch Konkurrenz stärkt die Liga. Wie reagieren die anderen grossen Clubs in Israel auf die neuen Strukturen bei Maccabi Tel Aviv? Werden Sie imitiert, bringen Sie die Liga voran?
Das kann ich nicht beantworten, ich bin zuwenig lange hier. Manche Clubs haben verstanden, dass Sie den jungen Talenten erfahrene, ausländische Spieler zur Seite stellen müssen. Junge Spieler dürfen Fehler machen, das ist okay. Aber wenn man nur fünf Ausländer im Team haben darf, müssen diese über viel Erfahrung verfügen und führen können. Manche Clubs haben das begriffen und haben Verteidiger aus Europa geholt, die dreissig Jahre oder älter sind. Ich denke, das ist das Richtige.
Wie profitiert die Nachwuchsarbeit? Gibt es Fussballakademien?
Weiss ich nicht. Meine Energie gehört der ersten Mannschaft, ich bin nicht in die Jugendarbeit involviert. Ich beobachte die Nachwuchsteams natürlich, um zu erfahren, was für eine Generation in unser Team nachrückt.
Und was für eine Generation rückt nach?
Israel hatte immer talentierte Spieler, das hat sich nicht geändert. Was ich feststelle: Junge Spieler scheitern in den europäischen Ligen oft, was ich als Mentalitätsfrage beurteilen würde: Wenn der Körper dein Werkzeug ist, das dich ernährt, musst du Sorge dazu tragen. Und nicht in Nachtclubs gehen und mit drei Kilos zuviel ins Training kommen.
«Wenn es schlechter läuft, werden die Leute froh sein, wenn ich wieder weg bin, und alles beginnt bei Null.»
Sie waren überrascht?
Ich war überrascht. Fussballclubs wurden hier bisher nicht immer so geführt, wie ich es gewohnt bin. Wir haben die erste Mannschaft nun schrittweise von der Öffentlichkeit isoliert, vorher herrschten hier Zustände wie in einer offenen Küche, in die jeder reinspazieren konnte, und die Spieler hörten darauf, was andere sagten und schrieben. Das versuchen wir zu ändern. Mittels Medientraining, mittels Trainingseinheiten, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Natürlich, man kann nicht alles ändern, die grosse Teilnahme der Öffentlichkeit, ihre Empathie und Leidenschaft, sind Teil der Identität des Landes. Ich würde sagen: Wir versuchen, die besten Elemente aus beiden Sphären zu vereinen.
Das klingt sehr überzeugt. Haben Sie die Zeit für einen solchen Wandel?
Der Titel hat geholfen und viele beruhigt, nicht zuletzt mich. Wenn ich ehrlich bin: Hätten wir eine miserable oder auch nur durchschnittliche letzte Saison hingelegt, würde es heissen, dass diese ausländischen Vorstellungen, wie man ein Team zu führen habe, hier nicht funktionieren. Wer gewinnt, hat immer recht. Aber wenn die nächste und übernächste Saison schlechter läuft, werden die Leute froh sein, wenn ich wieder weg bin, und alles beginnt bei Null.
Das ist keine israelische Exklusivität.
Nein, das ist universell. So ist Fussball.
Artikelgeschichte
Andreas Schneitter, freier Mitarbeiter TagesWoche, lebt, studiert und arbeitet derzeit in Tel Aviv.