Kaminfeger an Silvester

Die Weltmeisterschaft 1962 in Chile war der Grund dafür, dass die Schweiz einen aussergewöhnlichen Winter erlebte – einen ohne Pause und mit Fussball einen Tag vor Weihnachten und an Silvester.

Glitschiger Humus und Föhn: Fussball am 31. Dezember 1961 im Zürcher Hardturmstadion. (Bild: Ausschnitt NZZ)

Die Weltmeisterschaft 1962 in Chile war der Grund dafür, dass die Schweiz einen aussergewöhnlichen Winter erlebte – einen ohne Pause und mit Fussball einen Tag vor Weihnachten und an Silvester.

Ungefähr kann sich Albin Kümin an die Weihnachtstage 1961 und den Jahreswechsel auf 1962 erinnern. «Wir mussten das damals durchziehen», erzählt er. Sehr früh, am 30. Mai 1962, war das erste WM-Spiel der Schweiz gegen Chile angesetzt, was den natio­­nalen Spielbetrieb unter Termindruck setzte.

26 Jahre lang war der heute in Bern lebende Albin Kümin (84) Generalsekretär des Fussballverbandes SFV, er gilt als Wegbereiter für professionelle Strukturen, und bis zu seiner Ablösung Ende 1992 durch den aktuellen Liga-Manager Edmond Isoz war Kümin für den Spielbetrieb der Nationalliga zuständig. Gedankenspiele, im Winter eine kürzere Pause einzulegen, gab es in der Schweiz immer wieder. Grundsätzlich, so Kümin, habe es stets eine ablehnende Haltung gegeben, was angesichts der klimatischen Bedingungen nachvollziehbar ist. Kümin sah das pragmatisch: «Ausprobieren – einmal ist keinmal.»

Kümin war noch Sekretär beim damaligen Nationalliga-A-Club FC Biel, als dem SFV 1961 gar keine andere Wahl blieb, um die Saison rechtzeitig vor der WM in Chile beenden zu können: Am 23. Dezember wurden vier Sechzehntelfinals im Schweizer Cup terminiert. 2400 Zuschauer sahen ein tapferes Wohlen gegen die Young Boys verlieren (0:1). Ein paar weniger wurden auf der Luzerner Allmend bitter enttäuscht von ihrer Mannschaft, die sich «gefiel in blasiertem, stehendem Fussball» (NZZ) und dem klassentieferen Bellinzona 0:3 unterlag.

Vollrunde an Silvester

Acht Tage später, an Silvester, musste sogar eine komplette Runde in der Nationalliga A angesetzt werden. Servette Genf, das am Ende den Titel vor Lausanne verteidigte, konnte es sich leisten, den grossen Goalgetter Jacques Fatton (Torschützenkönig mit 25 Treffern) pausieren zu lassen und siegte dennoch 4:0 in Lugano.

Während der FC Basel dank Toren von Otto Ludwig und Hanspeter Stocker in Schaffhausen gewann, und ein 18-Jähriger namens Jakob Kuhn mit seinen Toren die 2:6-Klatsche des FC Zürich beim auf Wiedergutmachung gebürsteten FC Luzern kaum erträglicher machte, sorgten 8000 Zuschauer im Hardturm für die grösste Kulisse.

Die «Neue Zürcher Zeitung» berichtete am 2. Januar über eine «dünne, sehr glitschige Humusschicht über dem hartgefrorenen Boden, Föhnstimmung bei wechselnder Bewölkung und Temperaturen von wenigen Graden über dem Nullpunkt.» Das mündete in «Rutschpartien von fünf bis zehn Metern, die den Spieler weniger Spass bereiteten als den Zuschauern». GC gewann 3:1, und der Chronist hielt fest, dass die Young Boys «das Aussehen von Kaminfegern» hatten.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23/12/11

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