Lange schien es, als würde Bobby Fischer der jüngste Grossmeister aller Zeiten bleiben. Doch sowohl Magnus Carlsen als auch Sergei Karjakin haben seinen Rekord gebrochen. Nachdem der Russe das Kandidatenturnier in Moskau gewonnen hat, spielt er im Herbst gegen den norwegischen Weltmeister um den Titel – es ist das Duell zweier Ausnahmeerscheinungen.
Wunderkinder sorgten vor 13 Jahren für Aufsehen im königlichen Spiel: Magnus Carlsen, inzwischen amtierender Weltmeister, wurde mit 13 Jahren und 3 Monaten Schach-Grossmeister. Um zwei Lenze unterbot er damit den von der US-Legende Bobby Fischer gesetzten Rekord, der Experten einst für die Ewigkeit gemacht schien.
Zu diesem Zeitpunkt war die Bestmarke Fischers allerdings bereits keine mehr: Der ebenfalls 1990 geborene Sergei Karjakin wurde schon vor dem Norweger Carlsen Grossmeister – im zarten Alter von 12 Jahren und 7 Monaten. Am Ostermontag hat sich der Russe mit dem Sieg im Moskauer Kandidatenturnier für den Final der Weltmeisterschaft im Herbst in New York qualifiziert. Titelverteidiger in dem Millionen-Dollar-Match: Magnus Carlsen.
Das Turmopfer als entscheidender Zug Karjakins
Der Weg der beiden Wunderkinder verlief unterschiedlich. Die Entwicklung des Norwegers ging steil und kontinuierlich nach oben. 2011 übernahm Carlsen Platz eins der Weltrangliste und setzt sich seitdem mit grossem Abstand von der Konkurrenz ab. 2013 entthronte er den Inder Viswanathan Anand als Weltmeister. Demnächst erscheint der Film «Magnus» (» zum Trailer) über den Jungen aus Lommedalen, der schon in der Schule bemerkte: «Ich bin ganz anders als meine Klassenkameraden.»
Fabiano Caruana zieht gegen Sergei Karjakin – ein Eindruck vom Kandidatenturnier in Moskau. (Bild: Keystone/SERGEI ILNITSKY)
Karjakin verbesserte sich zwar ebenfalls kontinuierlich, aber weniger rasant als Carlsen. Und er schwankte in seinen Leistungen. Beim WM-Kandidatenturnier in Moskau galt er als Nummer 13 der Weltrangliste nicht als Topfavorit. Vielmehr hatten die Experten Fabiano Caruana auf der Rechnung, der kurz vor seinem 15. Geburtstag Grossmeister geworden war. Ausgerechnet der 23-jährige Italo-Amerikaner war Karjakins letzter Gegner in der 14. Runde.
» Im Video: Wie Karjakin an der Blitzschach-Weltmeisterschaft 2015 Carlsen besiegte.
Die Ausgangslage im Kampf um die WM-Teilnahme war verzwickt: Ein Remis gegen den bis dahin punktgleichen Caruana hätte Karjakin gereicht, weil die Drittwertung mit drei Siegen gegenüber nur zwei für ihn sprach. Doch hätte der Inder Viswanathan Anand den Russen Peter Swidler geschlagen, wären drei Spieler mit acht Punkten gleichauf gewesen – und dann hätten die direkten Vergleiche als Zweitwertung für Caruana gesprochen. Dieser verliess sich aber nicht auf diese Rechnerei. Zurecht, denn Anand remisierte gegen Swidler und belegte so Platz drei.
Denkmomente eines Wunderkindes – Sergei Karjakin am Kandidatenturnier in Moskau. (Bild: Keystone/SERGEI ILNITSKY)
Trotz der Ausgangslage agierte Karjakin ebenso forsch wie Caruana. «Als ich das Turmopfer im 34. Zug brachte, war ich mir sicher, dass ich gewinne», sagte der gebürtige Ukrainer. «Ich habe die Berechnung des Turmopfers zu früh abgebrochen», berichtete dagegen Caruana geknickt. Acht Züge später musste er aufgeben. (» Analyse der Partie)
«Ich bin natürlich jetzt der glücklichste Mensch auf Erden. Es war ein grossartiges Turnier für mich», sagte der Gewinner.
Karjakin verbessert sich in der Weltrangliste auf Platz 8
Mit 8,5 Punkten entschied Karjakin das Kandidatenturnier für sich. Caruana und Anand folgen mit 7,5 Zählern vor dem Pulk mit ausgeglichener 7:7-Bilanz: Remis-König Anish Giri (Niederlande), der alle 14 Partien remis abschloss, Swidler (Russland), Lewon Aronjan (Armenien) und Hikaru Nakamura (USA).
Als Prügelknabe fungierte Wesselin Topalow (4,5). Der Ex-Weltmeister aus Bulgarien kassierte fünf Niederlagen. «Ich habe mich nicht gewissenhaft genug vorbereitet», streute der 41-Jährige nach dem Desaster Asche auf sein Haupt. Dass er nun Platz acht der Weltrangliste für Karjakin räumen muss und neu Platz 16 einnimmt, sieht Topalow gelassen: «Ich habe kein Problem damit, dass meine Zeit abgelaufen ist.»
Die Zeit der alt gewordenen Wunderkinder Carlsen und Karjakin tickt dagegen einem Höhepunkt entgegen.
Auf Sergei Karjakin wartet das Duell mit Magnus Carlsen (links), hier beim Weltmeisterschaftsfinal gegen Viswanathan Anand 2013 in Chennai. (Bild: Reuters/Babu)