Keine Sekunde zum Entspannen – auf Andy Murray lastet ein Riesendruck

Das Halbfinal zwischen Andy Murray und Roger Federer ist für beide eine Herausforderung, aber nur um einen macht sich die Mutter Sorgen wegen dem Stress und der Qual des Drucks.

Andy Murray of Britain reacts during his match against Vasek Pospisil of Canada at the Wimbledon Tennis Championships in London, July 8, 2015. REUTERS/Henry Browne

(Bild: HENRY BROWNE)

Das Halbfinal zwischen Andy Murray und Roger Federer ist für beide eine Herausforderung, aber nur um einen macht sich die Mutter Sorgen wegen dem Stress und der Qual des Drucks.

Gerade hatte Andy Murray am Mittwochabend das sechste Wimbledon-Halbfinale seiner Karriere erreicht, da stellte ihm ein Reporter eine offenbar seltsame Frage. Jedenfalls aus Murrays Blickwinkel, denn der schottische Braveheart schüttelte erst unmerklich den Kopf, zog leicht verwundert die Augenbrauen hoch, setzte dann schliesslich ein mitleidiges Lächeln auf.

Ob er Wimbledon auch geniessen könne, hatte die schlichte Frage gelautet, die Murray dann so beantwortete: «Es ist die schönste Zeit des Jahres für mich. Aber der Druck, den ich auf Schritt und Tritt spüre, ist verrückt. Dieser Druck lässt einen nie los, in keiner Sekunde.»

Später, im Wimbledon-Studio der BBC, stimmte Altmeister John McEnroe der Selbsteinschätzung Murrays voll und ganz zu: «Es gibt keinen Spieler, der bei irgendeinem Turnier der Welt mehr Last mit sich herumschleppt als Murray hier in Wimbledon», sagte der frühere Bad Boy des Tennis, «das ist eine mörderische Nummer.»

Nun wartet Roger Federer auf den englischen Hoffnungsträger

Und doch: Der ewige Hoffnungsträger des Vereinigten Königreichs, Britanniens einziger Tennisprofi von Weltformat, liefert seit Beginn seiner Karriere stets ausgezeichnetes Handwerk an der Church Road ab.

2013 beendete er sogar, am 7. 7. und nach 77 Jahren des Wartens, die heimische Titel-Dürre auf den Wimbledon-Grüns, schrieb sich als erster siegreicher Lokalmatador seit Fred Perry in die Geschichtsbücher ein. Und nun, bei den Offenen Englischen Meisterschaften des Jahres 2015, mischt er wie selbstverständlich auch wieder im Pokalkampf mit, ist am grossen Halbfinal-Freitag mit Rekord-Champion Roger Federer zum Centre Court-Rendezvous verabredet.

Die Niederlage gegen Federer 2012 machte Murray zum «Sohn des Volks».

«Wimbledon ist immer gut zu mir gewesen», sagt Murray, «es hat mich zu dem Spieler gemacht, der ich heute bin.» Speziell die Partien gegen Federer spielten bei der Fort- und Weiterentwicklung Murrays eine entscheidende Rolle. 2012 verlor er zwar tränenreich das Wimbledon-Finale gegen den Baselbieter.

Aber, so erinnert sich Murrays Mutter Judy, «damals spürte er zum ersten Mal die Zuneigung der Fans. Als er nach der Niederlage weinte, spürten sie, was ihm Wimbledon wirklich bedeutet.» Nicht nur zu Olympiagold drei Wochen danach, sondern auch zum Wimbledonsieg im Jahr darauf trug ihn dann eine Welle der Sympathie der britischen Tennisgemeinde. Murray, so sagt der langjährige Times-Korrespondent Barry Flatman, «war auf einmal ein Sohn des Volks geworden.»

Selbst die Königsfamilie käme für einen Final mit Murray nochmals

Verändert hat sich seitdem viel: Murray wird nicht mehr vom grimmigen Pokerface Ivan Lendl betreut, sondern von der Französin Amélie Mauresmo. Murray ist auch nicht mehr so übernatürlich ruhig und beherrscht wie in der Lendl-Epoche, sondern führt wieder seine endlosen Monologe oder hitzigen Gespräche mit seiner Entourage. Aber eins ist auch jetzt, in der neuen Personalaufstellung, geblieben: Seine Kraft und Stärke während dieser beiden so herausfordernden Wimbledon-Wochen.



Andy Murray of Britain reacts during his match against Vasek Pospisil of Canada at the Wimbledon Tennis Championships in London, July 8, 2015. REUTERS/Henry Browne

Ein Pokerface sieht anders aus: Murray zeigt seit dem Trainerwechsel wieder mehr Emotionen und weniger übernatürliche Ruhe. (Bild: HENRY BROWNE)

In einer Zeit, die für jemanden wie Murrays Mutter und frühere Trainerin Judy fast unerträglich ist: «Das Turnier ist die Quelle von Stress und Qual. Wir stehen als Familie alle so enorm im Rampenlicht. Auf Andy sind die meisten Augen gerichtet, er muss so viele Hoffnungen erfüllen», sagte sie in einem Zeitungsinterview, «ich weiss nicht, wie er das überhaupt schafft.»

Am Mittwoch applaudierten ihm, dem Träger des «Order of the British Empire», sogar Prinz William und seine Kate von der Royal Box aus zu – Wiederholungsbesuch für den Fall des Finaleinzugs nicht ausgeschlossen.



Britain's Catherine Duchess of Cambridge and Prince William (R) applaud after Andy Murray of Britain won his match against Vasek Pospisil of Canada at the Wimbledon Tennis Championships in London, July 8, 2015. REUTERS/Suzanne Plunkett

Königliche Fans: Auch die Hoffnungen von Prinz William und seiner Kate liegen bei Murray. (Bild: SUZANNE PLUNKETT)

Murray gehört zu den verlässlichen Konstanten in Wimbledon, seit er in der Weltklasse mitspielt. Aber zu seinem zweiten Wohnzimmer hat Roger Federer den Centre Court im All England gemacht, der sympathische Spielverderber nicht nur für Murray, sondern für eine ganze Spielergeneration.



Roger Federer of Switzerland hits the final shot to win his match against Gilles Simon of France at the Wimbledon Tennis Championships in London, July 8, 2015. REUTERS/Stefan Wermuth

«Man wird mich nicht auspfeifen, auch wenn die meisten wohl Andy als Sieger sehen wollen», sagt Roger Federer. Er kann also nicht nur auf die Fortsetzung seiner guten Leistungen hoffen, sondern auch auf Nervenschwäche von Murray. (Bild: STEFAN WERMUTH)

Mit dem achten Titel könnte sich der Artist und Ästhet am Racket endgültig in die Ewigkeit durchschlagen, als alleiniger Rekordsieger in Wimbledon vor William Renshaw und Pete Sampras (beide sieben Siege). Oft genug wurde Federer auch von der Wertschätzung der Zuschauer zum Triumph geführt, selbst 2012 im Finale gegen Murray, waren die Sympathien ausgewogen verteilt.

«Ich habe eine Menge Fans hier. Ich denke, man wird mich nicht auspfeifen oder ausbuhen am Freitag», sagt Federer, bisher der Spieler mit den stärksten Auftritten im Turnier, «auch wenn die meisten wohl Andy als Sieger sehen wollen.»

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Wimbledon, Halbfinal: Andy Murray vs. Roger Federer ist live auf SRF2 zu sehen, die Partie beginnt im Anschluss an das Spiel zwischen Novak Djokovic (SRB) und Richard Gasquet (FRA), Spielbeginn 14 Uhr.

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