Jürgen Klopp, Trainer von Borussia Dortmund, bringt sich bereits vor dem grossen Finale gegen Bayern in Position. Es geht in London denn auch mehr als um ein deutsch-deutsches Duell, es geht auch um das Rezept Klopp.
Soweit sich das für Beobachter von aussen erkennen lässt, muss Jürgen Klopp nicht besonders viel Energie darauf verwenden, an den eigenen Schwächen zu arbeiten. Als Fussballtrainer von Borussia Dortmund ist der 45-Jährige ziemlich perfekt, die Erfolge fliegen ihm zu, er ist Medienstar und anerkannter Fachmann. Gut, manchmal wirkt er ein wenig eitel, aber diesen Makel teilen die meisten Menschen, die sich derart in der Öffentlichkeit exponieren.
Eine Schwäche hat Klopp allerdings: Er liebt es, sich als Vertreter des Wahren und des Guten zu inszenieren, der viel zitierte Agentenfilm-Vergleich, aus einem Interview mit dem «Guardian» ist das beste Beispiel. Die Ausgangslage vor dem Champions League-Finale des BVB gegen den FC Bayern sei «wie bei James Bond, ausser dass sie (die Münchner) die anderen sind» liess Klopp sich zitieren und folgerte: «Die Welt des Fußballs muss auf unserer Seite sein.»
Der Zappelphilipp neben Heynckes
Dass die Bayern dem BVB Mario Götze und wohl auch Robert Lewandowski wegkaufen, und vor allem, wie der Rekordmeister über diese Angelegenheiten mit der Konkurrenz kommuniziert, ärgert die Dortmunder. Auf diesen Nebenkriegsschauplätzen sahen sie lange wie der moralische Sieger aus, aber der bewegende Abschied des Jupp Heynckes aus der Bundesliga, der die Grösse hat, sich aus all den Scharmützeln rauszuhalten, hat die Sache ein wenig kippen lassen.
Heynckes ist mit seiner ganzen Aufmerksamkeit bei den Menschen, die wichtig sind für den Weg zum grossen Ziel. Und beim Fussball, dort wo eigentlich auch Klopp sein sollte. Neben dem Münchner Trainer wirkte Klopp zuletzt wie ein Zappelphilipp, der sich mit Nebensächlichkeiten aufhält, statt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: das Spiel.
Die Rolle des Guten
Dabei ist das grosse Duell von Wembley – wenn es um den reinen Fussball geht, noch ein wenig mehr Jürgen Klopps Finale als das Endspiel des Jupp Heynckes. Schliesslich hat der Dortmunder Fussball-Lehrer auch den Stil geprägt, mit dem die Bayern den grossen Pokal gewinnen wollen.
Wenn man Klopps Thesen folgt, spielt ja das BVB-Original gegen die Fälschung. Die Bayern machen es «wie die Chinesen in der Industrie», hatte Klopp vor einigen Wochen gesagt, «schauen, was die anderen machen, um es abzukupfern und dann mit mehr Geld und anderen Spielern den gleichen Weg einzuschlagen».
Auch das war so ein Versuch sich in der Rolle des Guten zu profilieren, und natürlich hat er nicht ganz unrecht. Aber natürlich ist das Kopieren guter Fussballstrategien keineswegs verwerflich, auch der Dortmunder Trainer hat das Spiel nicht erfunden.
Inspiriert von der kleinen Schweiz
Begibt man sich auf die Suche nach Klopps wichtigsten Einflüssen, landet man schnell bei Wolfgang Frank, der 1995 die Viererkette, das ballorientierte Spiel und eine ausgeklügelte Raumaufteilung bei Mainz 05. einführte. Klopp war damals Spieler beim Tabellenletzten der Zweiten Liga, «bis dahin dachten wir, wenn wir die schlechteren Spieler sind, dann verlieren wir auch», hat er einmal erzählt. Plötzlich gewann das Team sogar Partien, in denen zwei eigene Spieler vom Platz geflogen waren.
Diese Erfahrung hat ihn geprägt. Nicht nur weil er ein neues System kennen gelernt hatte, sondern auch weil das Spiel plötzlich eine neue intellektuelle Tiefe hatte. Indirekt wurzelt Klopps Sozialisierung als Trainer damit – ähnlich wie bei Bundestrainer Joachim Löw – in der kleinen Schweiz. Wolfgang Frank war von den eidgenössischen Auswahlteams inspiriert, Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre trainierte er den FC Aarau, den FC Wettingen und den FC Winterthur.
Löw liess seine Karriere ungefähr zur gleichen Zeit in Schaffhausen und beim FC Winterthur ausklingen, bevor er sechs Jahre als Trainer in der Schweiz arbeiten durfte. Hier wurde von Leuten wie Urs Siegenthaler, der heute ein enger Mitarbeiter von Löw ist, oder von dem Trainer Rolf Fringer viel früher als in Deutschland ein intellektueller, ein analytischer Umgang mit dem Fussball gepflegt. Frank erweiterte Klopps Horizont mit diesen Erkenntnissen.
Inzwischen gehören die Innovationen von damals aber längst zum Standardrepertoire aller ambitionierten Fussball-Lehrer, Klopps andauernder Erfolg muss also andere Gründe haben. Er selbst nennt zuerst die «bedingungslose Bereitschaft, immer Gas zu geben», in Mannschaften des gebürtigen Schwarzwälders gibt es keine Spieler wie Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi, die sich auch mal kleine Pausen gönnen, wenn der Gegner angreift.
Wilde Spielweise verfeinert
Nicht nur in Deutschland lautete das Credo lange, Stürmer dürfen nicht zu erschöpft sein, wenn sie in der 88. Minute diese eine grosse Chance haben. Da müsse ihr Kopf klar sein. Schon als Trainer in Mainz hat Klopp gesagt, dass er das für einen Trugschluss hält.
Diese Spielweise sei «am Anfang sehr wild» gewesen, erinnerte sich Sportdirektor Michael Zorc vorige Woche noch einmal an Klopps erstes Jahr beim BVB, aber diese Grundidee wurde immer weiter verfeinert. Vom FC Barcelona unter Pep Guardiola übernahm er das Stilmittel des Gegenpressings, bei dem versucht wird, in den ersten Sekunden nach eigenen Ballverlusten, die Kugel zurück zu erobern.
Nun musste die Mannschaft nur noch reifen. Seine Zöglinge hätten in den vergangenen fünf Jahren «aus Potenzial Qualität gemacht», so Klopp, und nicht zuletzt sind ein paar grossartige Individualisten wie Marco Reus oder Robert Lewandwoski dazugekommen.
Neue deutsche Fussballschule
Wenn man so will, hat Klopp das alte, sehr physische Spiel deutscher Mannschaften aus den 80er und 90er Jahren, das von der Konkurrenz in aller Welt gleichermassen verachtet und gefürchtet wurde, neu erfunden. Gepaart mit strategischer Finesse und technischer Reife ist dieser Stil hoch attraktiv, nicht nur in England finden viele Leute diesen Fussball aufregender als die ermüdenden Ballstafetten des FC Barcelona.
Im Champions League-Finale präsentiert sich daher so etwas wie eine neue deutsche Fussball-Schule. Eine Schule, die nach den Eindrücken der vergangenen Wochen von den Bayern noch perfekter beherrscht wird als von Borussia Dortmund.