Kobold schlägt Rakete

Die Snooker-WM 2014 hat einen Sieger: In der britischsten aller Billardvarianten hat der 30-jährige Mark Selby gegen den fünffachen Champion Ronnie O’Sullivan gewonnen und das dramatische Finale mit 18 zu 14 Frames für sich entschieden.

Geschafft: Mark Selby gewinnt die Snooker-WM mit 18:14 Frames. (Bild: ANNA GOWTHORPE)

Die Snooker-WM 2014 hat einen Sieger: In der britischsten aller Billardvarianten hat der 30-jährige Mark Selby gegen den fünffachen Champion Ronnie O’Sullivan gewonnen und das dramatische Finale mit 18 zu 14 Frames für sich entschieden.

Mark Selby kann Druck nicht nur ganz gut aushalten – er braucht ihn geradezu. Die geflügelte Wahrheit über den 30-jährigen Snooker-Profi bewies sich am diesjährigen WM-Turnier in Sheffield auf spektakuläre Weise. Ausgerechnet im Finale, und ausgerechnet gegen den fünffachen Champion Ronnie O´Sullivan, spielte sich «The Jester from Leicester» (etwa: «Der Kobold aus Leicester») in bestechende Form hinein, um am Ende mit 18:14 Frames (Sätzen) zu triumphieren.

Am vorgerückten Montag, eine Dreiviertel Stunde vor Mitternacht, gewann Selby den 32. Frame in diesem hochklassigen Endspiel im gleichen Stil wie über das gesamte Match gesehen: Nach einem Rückstand, in äusserst prekärere Lage. O´Sullivan hatte bereits 56 Punkte erspielt, stand kurz vor dem Frame-Gewinn, als ihm ein Foul unterlief. Es war der Aufruf für seinen Gegner, sich wieder ins Spiel zu kämpfen und so die begehrte Trophäe samt einem Scheck über 300.000 englische Pfund in Empfang zu nehmen.

Präzises Sicherheitsspiel

Anfangs habe er nicht wirklich gut gespielt, gestand der stolze Sieger hinterher – doch gegen Ende, als der Druck anstieg, sei es für ihn immer besser gelaufen. So ist es häufig bei seinen Erfolgen auf der Main Tour, jener Premiumserie in der britischsten aller Billardvarianten: Selby umgibt schon länger der Ruf, grosse Partien mit seiner Nervenstärke und betont giftigem Spiel noch drehen zu können. Damit bildet er das perfekte Gegenstück zu seinem um einiges berühmteren Gegner, der meist als ausgesprochener «Front Runner» über seine Mitbewerber herfällt.

Mitte Januar, im Endspiel des British Masters in London, war Selby beim 4:10 gegen «Ronnie the Rocket» noch derbe unter die Räder geraten – schier überrollt von traumhaft-hohen Trefferserien (Breaks), mit der sich jener von einem Flow in den nächsten spielte. Und auch jetzt, in Sheffields ausverkauftem Crucible Theatre, lag er zwischenzeitlich mit 5:10 hinten. Diesmal aber gelang es ihm, den Spielfluss seines Gegners mit präzisem Sicherheitsspiel rechtzeitig zu stoppen und die Kontrolle über das Duell zu bekommen. Selby ließ bald kaum noch Verwertbares auf dem Tisch liegen und hatte in den taktisch geprägten Phasen meistens die Nase vorn.

Auf alles eine Antwort

O´Sullivan hatte letzten Mai für eine Sensation gesorgt, als er seinen WM-Erfolg von 2012 nach einjähriger Turnierpause wiederholen konnte. Sein Sieg über den chancenlosen Barry Hawkins, den er nun im Halbfinale bezwang, war nicht mal knapp. In seinem dritten Finale in Folge aber fühlte sich der wechselhafte Charismatiker zunehmend unwohl und beging kleine, jedoch fatale Fehler. «Wie betäubt» war er sich vorgekommen, wie er bei der Siegerehrung erklärte: «Auf alles, was ich getan habe, hatte er eine Antwort.»

Trost fand der fünffache Titelträger (2001, 04, 08, 12 und 13) neben einem Scheck über 100.000 Pfund nicht zuletzt in einem Zuwachs an mentaler Stärke. Vor ein paar Jahren hätte er eine so frustrierende Partie wohl gar nicht ausgehalten, gab sich O´Sullivan überzeugt – und spielte damit auf eine Partie gegen WM-Seriensieger Stephen Hendry an, die er einst durch vorzeitigen Abgang vom Tisch besiegelt hatte. Ausserdem habe in Selby tatsächlich «der beste Spieler der letzten siebzehn Tagen» gewonnen, so O´Sullivan, der seit einigen Jahren selbst mit einem Mentalcoach arbeitet – «er ist ein würdiger Champion».

Jubeltour durch Leicester

Das war der Emotionen fast zu viel für den frisch gekürten Champion. Mit belegter Stimme hatte Selby zuvor erklärt, wie er seinem an Krebs verstorbenen Vater als 16-jähriger am Krankenbett versprochen habe, eines Tages den WM-Titel zu holen. Der Triumph schien greifbar nah, als er im Mai 2007 erstmals im Finale stand – und dem Schotten John Higgins mit 13:18 unterlag. Nun sieht es danach aus, als sei der erklärte Fan des Fussballclubs Leicester City zeitgleich mit dessen erneutem Aufstieg in die Premier League am Ziel angelangt: Mit dem WM-Triumph übernimmt er ab sofort auch Platz eins der Weltrangliste.

Zeitgleich? Nicht ganz. Selby hatte die Fussballer seiner Heimatstadt gebeten, ihre Jubeltour durch Leicester um ein, zwei Tage zu verschieben. Er hätte den Bus notfalls selbst gefahren, erklärte er. Inzwischen haben «The Foxes» ihre Feiern trotzdem bereits begonnen. Dafür ist der «Kobold» mit dem ekligen Stil schon etwas länger erstklassig. Und Beobachter wie Fans sind sich einig, die spannendste Begegnung in einem WM-Finale im altehrwürdigen «Crucible» seit etlichen Jahren erlebt zu haben. Weil die Dinge diesmal nicht einfach so weiter liefen, wie sie begonnen hatten.

Alexander Ursenbacher – ein Rheinfelder in der Qualifikation

Ein Schweizer Element hat es lange nicht gegeben an dem wichtigsten Turnier im Snooker-Billard – aber da war Alexander Ursenbacher auch noch nicht so weit. Am 26. April 18 Jahre alt geworden, durfte die Nummer 123 der Weltrangliste an der Qualifikation zur Endrunde in Sheffield teilnehmen – und dabei Ehre für den Aargau einlegen. Der ambitionierte Rheinfeldener setzte sich in Runde 1 gegen David Morris mit 10:7 durch. Runde 2 war für ihn dann Endstation: Er verlor 5:10 gegen den Thailänder Thepchaiya Un-Nooh.

Dafür bleibt der Youngster der Main Tour noch eine Saison erhalten – und hat 2015 die nächste Chance, sich für die Endrunde der besten 16 zu qualifizieren. Um professionell trainieren zu können, lebt Ursenbacher derzeit mehrheitlich in Nordengland.

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