Wie der deutsche Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping bei der Wahl zum Verbandspräsidenten die Transparency-International-Vertreterin Sylvia Schenk ausmanövrierte. Ein Sittengemälde des deutschen Radsports.
Die Entscheidung wurde nach dem Mittagessen gereicht – und mundete Rudolf Scharping vorzüglich. Die Bundeshauptversammlung des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) war gerade zurück im «Saal Maritim» eines Gelsenkirchener Hotels, als sie zum Dessert das Resultat der Auszählung zu Tagesordnungspunkt Wahlen serviert bekam. Und das war eindeutig: 411 26 Stimmen für Scharping, 156 für Sylvia Schenk.
Ein fast perfekter Samstag also für den ehemaligen Verteidigungsminister der Bundesrepublik, der vor 19 Jahren eine bedeutendere Wahl verloren hat – die Bundestagswahl, in die er die SPD als er Kanzlerkandidat geführt hatte. Und ein Rückschlag für die Gegenkandidatin Sylvia Schenk, den sie zu diesem Zeitpunkt bereits ahnte.
Schon in der Pause hatte die 60-jährige Anwältin, Vorstandsmitglied der Organisation Transparency International und in jüngster Zeit immer wieder zitiert, wenn es um den Reformprozess des Wetlfussballverbandes Fifa ging, den Medienvertretern signalisiert, dass sie selbst nicht recht an einen Sieg glaube – und «mit jedem Ergebnis leben» könne. Nur so ausgesehen hatte sie dabei nicht.
Scharping sitzt fest im Sattel
Der Mann, den die ehemalige Mittelstreckenläuferin in den vergangenen Wochen so deutlich angegriffen hatte, sitzt beim überwiegenden Teil der 17 Landesverbände eben einfach zu fest im Sattel. Ausserdem kann er sich, wenn es darauf ankommt, noch immer meisterlich inszenieren.
Die Zusammenkünfte von Sportverbänden folgen schon längst den Gesetzen der Politik, und darin macht dem früheren Landesfürsten von Rheinland-Pfalz so schnell niemand was vor – auch wenn er sich vor der vierten Amtszeit zunächst mächtig zierte. Nun weiss man: Scharping wollte noch einmal gebeten werden um dann – aus seiner Sicht – als Retter aufzutreten.
Als Versammlungsleiter gab Scharping in Gelsenkirchen noch einmal den weltgereisten Souverän, der den Kontakt mit der Basis nie verloren hat. Duzte bald hier hin und grüsste fix dort, was seine gute Vernetzung auf allen Ebenen des BDR nicht nur beiläufig unterstrich.
Scharpings grosse Nähe zum Doping-Sumpf bei Telekom
Als Redner fand er dazu die rechte Dosis für beinahe alles: nicht zu protziger Optimismus ob steigender Mitgliederzahlen und ostentative Erleichterung wegen eines Kassenbuchs, das nach «sauharten Jahren» (Scharping) inzwischen eine Viertelmillion an Rücklagen aufweist. Unlängst hatte der BDR-Präsident in Schanghai auch den Vertrag mit einem chinesischen Sponsor aus der Solarindustrie klar gemacht, der die Jahresbilanz gerade rechtzeitig frisiert hat.
Sicher (noch) nicht immer perfekt, aber auf dem richtigen Weg: So prägte sich der allzeit verbindliche Rudi als der Mann, der die Kohlen aus dem Feuer reist, dem Stimmvolk in seinem Rechenschaftsbericht ein. Dazu fand Scharping auch genug Anhaltspunkte, um den Vorwurf mangelnder Konsequenz bei der Dopingbekämpfung scheinbar zu erschüttern.
Die grosse Nähe, die er noch vor Jahren zum Team Telekom und ihren längst enttarnten Freiburger Medizinern demonstrierte, wird ihm heute nicht ganz zu Unrecht angelastet. Skeptiker bezweifeln, ob der nach allen Seiten abdämpfende Potentat der Mann für einen knallharten Kampf gegen Manipulation im Radsport ist. Doch wer so etwas behaupte, mokierte sich Scharping, kenne die Fakten nicht – «oder er will sie nicht sehen.»
«Es ist doch nicht alles Doping»
Danach konnte Silvia Schenk in den exakt zehn Minuten, die ihr vor der geheimen Wahl penibel zugestanden wurden («noch drei Minuten!»), nur noch spröde wirken. Ihr Kampf um noch mehr Transparenz «vor allem im Strassenradsport der Männer» war manch einem Funktionärsveteran entschieden zu monothematisch.
«Es ist doch verflucht noch mal nicht alles Doping», machte ein Vorständler vom Berliner Landesverband seinem Unmut am Mikrofon Luft. Nein, der «Spass», den die ehemalige Leichtathletin künftig mit diesen Leuten nach eigenem Bekenntnis haben wollte, kam nicht mal im Ansatz rüber. Und er hatte sich auch in Grenzen gehalten, als Schenk in einer ersten Amtszeit beim BDR 2004 genervt die Brocken hinschmiss.
Der dem Instinkt des Politikers
Dass hehre Vorsätze allein noch nicht ausreichen, um sich in die Herzen der Radsport-Delegierten zu hieven, musste anschliessend auch Robert Bartko erleben. Der 37-jährige Mehrfach-Weltmeister und doppelte Olympiasieger trat in Gelsenkirchen als Gegenkandidat für das Amt des Vizepräsidenten Leistungssport an.
Sein engagierter, wenn auch wenig konkreter Vortrag («Strukturen aufbauen… Stützpunkte stärken…») war aller Ehren wert. Als es um die Abstimmung ging, hatte der bisherige Amtsinhaber Günter Schabel trotz dürftiger Bilanz («habe viele schöne Abende verlebt») dennoch die Nase vorn: 325 Stimmberechtigte votierten erneut für ihn, 265 für den Ex-Bahnradstar, der in Potsdam bei Berlin Sportmanagement studiert.
Auch hier bewies der alte und neue Präsident den richtigen Instinkt. Man werde sich intern zusammensetzen, kündigte Scharping an, und dann zu sehen, «wie wir Robert Bartko einbinden können.» Die Revolution fand also nicht statt im Ruhrgebiet, da viel zu wenige sie wirklich wollten. Und nun lebt der König, der lieber Räder als Köpfe rollen lässt, noch ein bisschen weiter.