Alle reden von Brasilien vor dem Eröffnungsspiel. Den Partyschreck würde heute Abend gerne Kroatien geben, der erste WM-Teilnehmer, der von einem Brüderpaar trainiert wird.
Im malerischen Küstenort Praia do Forte ist der Rummel in den Tagen vor dem WM-Start immer grösser geworden. Passend zum Namen des Hotels Tivoli, wo die kroatische Nationalmannschaft ihr Lager aufgeschlagen hat.
Dort sitzt der gebürtige Berliner Niko Kovac im Visier zahlreicher Kameras, und obwohl er selbst zweimal als Spieler an einer WM-Endrunde teilgenommen hat, und obwohl er ein Ex-Bundesligaprofi mit internationalen Meriten ist, hat er ein derartiges Ballyhoo noch nicht erlebt. «Eine grosse Ehre» sei es, das Eröffnungsspiel gegen den Rekordweltmeister Brasilien zu bestreiten, schwärmt der kroatische Cheftrainer, «zwei, drei Milliarden Menschen schauen zu. Das ist schon etwas Aussergewöhnliches.»
An einem Oktobertag in Lugano
Niko Kovac (42) und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Robert, der ihm als Assistent zur Seite steht, müssen sich vorkommen wie auf einer wundersamen Reise. Wenn in Sao Paulo der WM-Anpfiff ertönt, ist es gerade einmal acht Monate her, dass Kovac & Kovac nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf der Bank der kroatischen U21 im Stadio Comunale Cornaredo von Lugano sassen.
Der Nachwuchs gewann damals im Oktober 2013 mit 2:0 gegen die Schweiz, was eher eine Randnotiz war. Weitreichendere Auswirkungen auf das Leben der beiden Ex-Profis hatte das 0:2 der A-Mannschaft anderntags in Schottland zum Abschluss der Qualifikations-Gruppenphase. Spätestens da reifte bei Verbandspräsident Davor Suker, dem WM-Helden von 1998, der Entschluss zu Veränderung.
Das Kovac-Duo löste den glücklosen Trainer Igor Stimac ab, führte das kriselnde Team um Real-Star Luka Modric zum Erfolg in den Playoffs gegen Island und somit doch noch zur Endrunde nach Brasilien. Als Lohn gab es für die beiden Ex-Nationalspieler einen Vertrag bis 2016.
Das erste Trainer-Brüderpaar an einer WM
So erlebt die Fussballwelt zum Auftakt der Endrunde ein Brüderpaar auf der Trainerbank. Das hat es in der WM-Geschichte auch noch nicht gegeben. Aus der Bundesliga sind Friedhelm und Wolfgang Funkel in Erinnerung, die im Jahr 2001 zusammen Hansa Rostock trainierten. Die Übung wurde schon nach wenigen Monaten wegen Erfolglosigkeit abgebrochen.
Der Erfahrungsschatz der Kovac-Connection im Trainerbereich ist noch überschaubar. Niko Kovac arbeitete drei Jahre im Nachwuchsbereich und als Co-Trainer bei Red Bull Salzburg, ehe er 2013 bei der kroatischen U21 erstmals die Chefrolle übernahm und seinen Bruder gleich mitbrachte.
Das hat fast schon Tradition. «Ich passe ein wenig auf ihn auf», scherzt Niko. Als Acht- und Sechsjähriger hatten sie einst in Berlin bei Rapide Wedding das Fussballspielen begonnen, dann ging es gemeinsam zu Hertha Zehlendorf. Und in der Bundesliga bildeten sie bei Bayer Leverkusen (1996 bis 1999) und beim FC Bayern München (2001 bis 2003) ein erfolgreiches Duo.
Niko habe ihm immer Ratschläge gegeben und gezeigt, worauf es ankommt, erinnert sich Robert. Eine Rollenverteilung, die auch heute noch ähnlich ist. Niko, der emotionalere von beiden, gibt den Ton an und trifft die letzte Entscheidung. Robert ist eher der ruhigere Vertreter. Man habe sich, sagt Niko Kovac, immer aufeinander verlassen können. Wie einst auf dem Rasen, als der Abwehrspieler Robert Kovac dem Mittelfeldakteur Niko Kovac den Rücken frei gehalten hat.
Die deutsche Gründlichkeit eines gebürtigen Berliners
Beide haben es jeweils auf gut 80 Länderspiele gebracht und zusammen auf vier Endrunden-Teilnahmen bei grossen Turnieren. Erfahrung, die nun helfen soll beim ersten grossen Trainer-Job. Slaven Bilic sei noch jünger gewesen, als Kroatien 2008 ins EM-Viertelfinale 2008 geführt habe, sagt Niko Kovac.
Damals habe sich Kroatien noch auf Augenhöhe der führenden Nationen wie Deutschland bewegt, danach sei das kleine Land mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern aber stehen geblieben. Und so orientiert sich Kovac nicht nur am deutschen Fussball, sondern auch an den Tugenden seines Geburtslandes. Gründlichkeit, Ordnung, Disziplin und Arbeit seien ihm auch heute wichtig.
Dass der Nationaltrainer eine klare Linie verfolgt, bekam auch Bayern-Torjäger Mario Mandzukic zu spüren. Die Berater des Stürmers, die im Trainingslager dessen Zukunft regeln wollten, bekamen im österreichischen Trainingsquartier Hausverbot. Offenbar dezenter ging Ivan Rakitic vor – der Ex-Basler machte am Tag vor dem Eröffnungsspiel seinen spektakulären Wechsel vom FC Sevilla zum FC Barcelona publik.
Auf Lösung darf man gespannt sein
Volle Fokussierung auf die grosse Aufgabe gegen Brasilien fordert der Chefcoach ein, der mit vielen Spielern noch zusammen auf dem Platz gestanden hat. Dass es gleich gegen den Gastgeber und einen der Topfavoriten geht, sieht er nicht als Nachteil an. Es sei besser, gleich zum Auftakt gegen Brasilien zu spielen. «Der Druck ist für sie enorm. Das ganze Land fordert doch den Sieg ein», sagt Kovac.
Vollmundig kündigt Kovac an, er habe eine Lösung für das Aufeinandertreffen mit der Seleção im Kopf. Und falls der grosse WM-Favorit nicht gestoppt werden kann, dann hoffen die Kroaten, die immer ein wettbewerbsfähiges, kampfstarkes Team in die grossen Turniere geschickt hat, über Mexiko und Kamerun den Achtelfinaleinzug zu schaffen.