An den Australian Open wurden die Spiele am Donnerstag Nachmittag auf den Aussenplätzen für vier Stunden wegen hoher Hitze unterbrochen. Viel zu spät, beklagen einige Tennisprofis. Andere, die Stars der Branche, erhalten einen zusätzlichen Vorteil: Sie dürfen in den geschlossenen Arenen im Schatten spielen.
Ob in der Kommandozentrale der Australian Open am Donnerstag irgendwer auf das aktuelle Kalenderblatt geschaut hat? Spottdrosseln und Zyniker haben ja Hochkonjunktur in diesen Grand-Slam-Tagen im Backofen Melbourne. Und so verwunderte nicht, dass mancher den vorübergehenden Hitze-Stopp am Australian Open gar mit dem «Welttag des Nichtstuns» am 16. Januar in Verbindung brachte.
Wahr war das natürlich nicht, aber dass die Turnierbosse erst dem amtlichen Prozedere der «Extreme Heat Policy» (Extremwetter-Regelung) folgten, um in der Höllenhitze am Turnierschauplatz Melbourne die Show einmal für etwa vier Stunden anzuhalten, sorgte – gelinde gesagt – für Unmut und Frustrationen in der Tourkarawane.
Um 13.57 Uhr Ortszeit war es am Donnerstag so weit. Am Australian Open wurden die Spiele auf den Aussenplätzen gemäss der «Extreme Heat Policy» (Extreme-Hitze-Regel) während vier Stunden unterbrochen.
Für Unmut sorgte Turnier-Arzt Dr. Tim Wood, der jenen Spielern und Spielerinnen, die eine frühere Unterbrechung befürwortet hätten, entgegen hielt: «Wir (Menschen, Red.) haben uns im afrikanischen Hochland entwickelt, wo wir während acht Stunden unter diesen Bedingungen Antilopen gejagt haben. Wir wissen, dass der Mensch sehr gut an Bewegung in grosser Hitze angepasst ist.» fra
«48 Stunden zu spät», kommentierte der ehemalige Australian-Open-Chef Paul McNamee lakonisch das Verdikt der heute Verantwortlichen, «ich verstehe auch nicht, warum an den letzten Tagen nicht viele der Matches in die Abendstunden verlegt worden sind. Ohne Risiko für Spieler und Zuschauer.» Dazu hätte es der offiziellen Regularien «gar nicht bedurft», so der einstige Weltklasse-Doppelspieler, «das hätte man mit Vernunft und Gespür machen können». Fast ein Dutzend Spieler hatte in den mörderisch heissen Temperaturen bisher während der Spiele aufgeben müssen und teils über schwere gesundheitliche Probleme geklagt.
Scharapowa gibt sich sarkastisch
Selbst die «Extreme Heat Policy», die am Donnerstag erstmals seit fünf Jahren wieder angewendet wurde, hat gefährliche Löcher. Die Partie der Russin Maria Scharapowa am Donnerstag in der Laver-Arena offenbarte eine dieser Schwachstellen: Obwohl die Temperatur den gefährlichen Level während der Partie im dritten Satz überschritt, musste das Duell in der sengenden Sonne unter geöffnetem Dach bis zum 10:8-Triumph Scharapowas fortgeführt werden. Die Regel verlangt genau diese unveränderten Bedingungen, wenn ein Satz begonnen hat.
«Das ist absurd. Der dritte Satz kann ja zwei Stunden dauern», beschwerte sich die bestverdienende Sportlerin des Planeten hinterher, «zur Vorsicht hätte das Dach schon vorher geschlossen werden sollen, vor dem Start in den letzten Satz.» Alles habe «irgendwann auch seine Grenzen», so Scharapowa.
Beim Abschied vom Centre Court kritzelte die Diva aufgeladen nicht nur ihr Autogramm, sondern auch das sarkastische Statement «Liebe die Hitze, Baby» auf die TV-Kamera. Für zusätzlichen Aufruhr sorgte eine als unsensibel empfundene Aussage des Turnierarztes Tim Wood, der in einem inzwischen bekannt gewordenen Interview erklärt hatte, Hitzerisiken im Tennis seien «vergleichsweise gering», verglichen mit Laufsportarten.
Eine Zweiklassen-Gesellschaft
Das Hitze-Drama in der Hauptstaat des australischen Bundesstaates Victoria wies allerdings auch wieder einmal auf den Trend hin, dass sich in der modernen durchkommerzialisierten Grand-Slam-Szenerie regelrechte Parallelwelten auftun. Mit einem ganz eigenen Turnier, das mitten im grossen Turnier stattfindet. Denn während die Superstars der Branche meist pünktlich und ordentlich ihrem Spielplan auf den Spitzencourts folgen können, abseits von Hitze, Regen und sonstigen Widrigkeiten, schlägt sich der Mittelstand und das Proletariat der Tennis-Karawane draussen auf den kleinen Plätzen eher beschwerlich durch den Wettbewerb.
Während am Donnerstag Stillstand im Aussenrevier herrschte, gingen Roger Federer und Rafael Nadal ganz geregelt in der Laver- und der Hisense-Arena im Schatten der geschlossenen Dächer ihrem Job nach. So wie sie das auch tun können, wenn in Wimbledon der Regen auf die Turnieranlage prasselt. Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft könne man zwar beklagen, sagte der frühere australische Wimbledon-Champion und Fernsehkommentator Pat Cash: «Aber Fakt ist: Die TV-Sender wollen und brauchen Live-Bilder. Und die Besten der Branche haben es sich eben auch verdient, auf den besten Plätzen zu spielen.»
Del Potro weigert sich zu spielen – und verliert danach
Dass die Turniermacher allerdings an den ersten Tagen der massiven Hitzewelle den Spielbetrieb auf den kleineren Plätzen laufen liessen, konnte einer wie der deutsche Trainer und Spielermanager Dirk Hordorff ganz und gar nicht begreifen: «Zuschauer und Spieler sollten sich nicht in einer solchen Hitze aufhalten müssen. Das ist einfach gefährlich für die Gesundheit.» Auch McNamee, der ehemalige Australian Open-Chef, verstand die Tatenlosigkeit nicht: «Man muss nicht bei 41,5 Grad warten, bis es 41,7 Grad hat, um Matches abzusagen. Das kann man auch unbürokratisch entscheiden.»
Auch als am Donnerstag mit einem Mal eine heftige Gewitterfront über das National Tennis Center hinweg zog, bekleckerten sich die Turniermacher nicht gerade mit Ruhm. Während im Hintergrund schon mächtige Blitze über der Metropole am Yarra River zuckten, liessen die Organisatoren sogar noch Spiele nicht besonders prominenter Profis beginnen. Der Argentinier Juan Martin del Potro, einer der Stars des Wanderzirkus, insistierte dagegen solange bei Schiedsrichter und Supervisor, bis er gemeinsam mit seinem Gegner, dem Spanier Bautista-Agut, wieder wegmarschieren konnte vom Court.
Geholfen hat es del Potro allerdings nicht viel. Als das Spiel schliesslich stattfinden konnte, unterlag der US-Open-Gewinner von 2009 Bautista-Agut in fünf Sätzen.