Lindsey Vonn: Darf sie, oder darf sie nicht?

Die einen halten es für eine verrückte Idee, andere für einen spannenden Geschlechter-Vergleich. Die US-Amerikanerin Lindsey Vonn will sich Ende November in Lake Louise bei der Weltcup-Abfahrt mit den Männern messen. Der Weltverband FIS muss bei seiner Tagung in der Schweiz darüber befinden.

An Selbstbewusstsein mangelt es nicht: Lindsey Vonn, hier in den Tagen des Weltcup-Auftaktes in Sölden, will bei den Männern mitfahren. (Bild: Keystone/SALVATORE DI NOLFI)

Die einen halten es für eine verrückte Idee, andere für einen spannenden Geschlechter-Vergleich. Die US-Amerikanerin Lindsey Vonn will sich Ende November in Lake Louise bei der Weltcup-Abfahrt mit den Männern messen. Der Weltverband FIS muss bei seiner Tagung in der Schweiz darüber befinden.

Maria Höfl-Riesch musste einem fast ein wenig leid tun. Die First Lady des deutschen Skisports hatte sich extra fein herausgeputzt für die pompöse Präsentation ihrer Skifirma, elegantes violettes Oberteil mit Glitzersteinchen, die Haare hochgesteckt, dezent geschminkt – man bekommt Skiläuferinnen nicht allzu oft in so einer Robe zu sehen. Die Dutzenden Kameraleute, Fotografen und Reporter hätten sich eigentlich auf Maria Höfl-Riesch stürzen müssen – doch die hatten ihre Augen alle ganz woanders.

Wo immer Lindsey Vonn auftaucht, ist das Rampenlicht für sie reserviert. Die US-Amerikanerin weiss sich in Szene zu setzen: Auf den Pisten dieser Welt, die sie seit Jahren schon dominiert (4 Weltcup-Gesamtsiege, 53 Weltcupsiege, Nummer 3 der ewigen Bestenliste), aber vor allem auch beim Après–Ski. Mal lässt sie sich im kessen Bikini im Gletscher-Schnee fotografieren, dann präsentiert sie offenherzig pikante Details aus ihrer früheren Ehe mit dem ehemaligen Rennläufer Thomas Vonn.

Ihre jüngste Aktion fällt auf den ersten Eindruck auch eher in die Rubrik Klatsch und Tratsch, doch die 28-Jährige meint es völlig ernst: «Ich will mit den Herren in der Abfahrt von Lake Louise mitfahren.»

Lake Louise scheint das ideale Gelände zu sein

Deshalb steht Maria Höfl-Riesch etwas im Abseits, während Lindsey Vonn von Reportern und Fotografen umzingelt ist und sich alles um das eine dreht: Darf sie, oder darf sie nicht? Und kann sie, oder kann sie nicht? Die Kampfansage der besten Skifahrerin der Welt an das starke Geschlecht beschäftigt dermassen, dass beim Weltcupauftakt in Sölden sogar die viel gescholtene Materialreform ihre Brisanz verlor. Was ist schon ein simpler Weltcup-Riesentorlauf gegen das Duell der Geschlechter?

«Dieser Wunsch ist schon lange in mir», sagt Lindsey Vonn. Offensichtlich sind der Nummer 1 der Welt in den letzten Jahren die Ziele, Gegnerinnen und Herausforderungen abhanden gekommen. Und welche Piste würde sich besser für den Kampf Mann gegen Frau eignen, als die Abfahrtsstrecke in Lake Louise, die Vonn ihr Wohnzimmer nennt.

Auf keiner Strecke hat sie öfter gewonnen (elf Siege in Abfahrt und Super G), auf keinem anderen Berg fährt sie der Konkurrenz so um die Ohren. «Lake Louise wäre perfekt», sagt Vonn, die von einem Start bei den Herren-Rennen in Kanada am 24. und 25. November träumt.

Fixe Idee und PR-Gag?

So spektakulär und aufregend ein Kampf der Geschlechter sein mag, so fragwürdig ist auch die Idee. Viele kritische Stimmen im Weltcup halten die Aktion für einen PR-Gag von Vonns Sponsor Red Bull. Es wäre nicht das erste Mal, dass der österreichische Getränkekonzern versucht, Grenzen zu sprengen und Aufmerksamkeit zu erregen.

So plant Red Bull immer noch, für seine Firmen-Adler Thomas Morgenstern und Gregor Schlierenzauer die grösste Sprungschanze der Welt zu bauen und ihnen einen 300 Meter-Flug zu ermöglichen, und nicht zuletzt Felix Baumgartner und sein Projekt Stratos dienten wieder als Beleg für das Firmen-Motto: Höher, schneller, weiter – und vor allem publicity-trächtiger.

«Ich mach das nicht für die Publicity oder die Punkte», hält Lindsey Vonn dagegen, «sondern für meine eigene Befriedigung und weil ich es will.»

Die Konkurrenz will den Sinn nicht verstehen

Die Ski-Szene ist hin- und hergerissen. Einerseits fasziniert der Vergleich, andererseits fürchten die FIS-Granden um die Seriösität ihres Regelwerks. «Ausnahmen sind gefährlich», mahnt FIS-Präsident Gianfranco Kasper, «denn dann muss man sie auch allen anderen zugestehen. Und dann wären auch die Herren bei den Damen startberechtigt.»

Der Internationale Skiverband beschäftigt sich bei seiner FIS-Council-Tagung heute, Freitag, und am Samstag in in Oberhofen am Thunersee auch mit DEM Thema des Winters. Der US-amerikanische Skiverband USSA hat eine offizielle Anfrage lanciert.

Die Konkurrenz hält nichts von dem Selbstversuch der besten Skifahrerin der Welt. «Ich verstehe den Sinn nicht, es würde auch keine Frau auf die Idee kommen, im 100-Meter-Lauf gegen die Männer anzutreten», meint etwa der österreichische Herren-Cheftrainer Mathias Berthold, und Maria Höfl-Riesch, Vonns grösste Lebensabschnittsrivalin, vermutet gar, dass sich Vonn in Lake Louise nur einen Vorteil durch ein Extratraining verschaffen möchte. Eine Woche nach den Herren fahren nämlich die Damen auf dem Berg um Weltcuppunkte.

Vonn: «Hätte mir mehr Respekt erwartet»

«Blödsinn», hält Vonn entgegen, «ich bin in Lake Louise schon mindestens hundert Mal gefahren. Da kommt es auf zwei weitere Fahrten auch nicht an.» Die Amerikanerin vermutet einen anderen Grund für die allgemeine Ablehnung: Vonn glaubt, dass einige Herren der Schöpfung Angst hätten, dass sie von einer Frau abgehängt werden. «Ich hätte mir mehr Respekt von den Herren erwartet», sagt sie, «diese Sache ist doch nur gut für den Skisport.»

So unrecht hat Lindsey Vonn mit ihrer Vermutung wohl gar nicht. Denn sollte es Vonn tatsächlich auf ihrer Lieblingsstrecke in Lake Louise mit einer niedrigen Startnummer – also bei guter Piste – mit den Männern aufnehmen, so könnten einige Abfahrer am Ende schlecht dastehen. Vonn, die seit Jahren schon in der Abfahrt nur mehr mit Männer-Ski unterwegs ist, kann nach Experten-Meinung im Idealfall sogar unter den Top 30 in den Rängen für Weltcuppunkte landen.

Die schnelle Slalomläuferin Schild

Sie verweisen dabei auf Marlies Schild. Die Österreicherin, die beste Slalomläuferin der Welt, durfte im vergangenen Winter beim Männer-Slalom in Schladming als Vorläuferin an den Start gehen. Die FIS untersagte zwar eine offizielle Zeitmessung, das österreichische Fernsehen stoppte aber mit und siehe da: Schild hätte sich mit ihrer Zeit für den zweiten Durchgang qualifiziert.

Lindsey Vonn traut sich eine ähnlich schnelle Performance zu. «Ich fahre mit Herren-Ski und trainiere seit Jahren mit Herren. Ich verschiebe ständig die Limits und für mich wäre ein Start bei den Herren der logische nächste Schritt», erklärt die US-Amerikanerin. Der Geschlechterkampf ist für sie ein Lebenstraum. «Irgendwann werde ich mir den erfüllen. Und wenn es jetzt nicht klappt, dann spätestens zum Karriereende.»

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