Wo anfangen nach so einem atemlosen Abend? Am besten von vorne, in der zweiten Minute. Luca Zuffi behauptet den Ball, spielt auf Dimitri Oberlin, der legt sofort steil auf Renato Steffen. Torhüter César kann noch intervenieren, und dann rollt der Ball, wieder über Oberlin, eine kleine Ewigkeit – bis er vor dem Fuss von Michael Lang landet.
Lang, der so lange einem Tor hinterherläuft, trifft zwischen den Beinen von Jardel hindurch zur Basler Führung. Da sind gerade Mal 115 Sekunden vorbei. Der St.-Jakob-Park, mit 34’111 Zuschauern und nicht wenigen Benfica-Fans besetzt, erlebt einen Moment, wie er ihn im Europacup schon lange nicht mehr gesehen hat.
Erinnerungen werden wach, an einen Abend im November 2002, als ein gewisser Julio Hernan Rossi mit seinem Tor in der zweiten Minute gegen den FC Liverpool ein Spektakel in Gang setzte, das am Beginn glorreicher Spiele in der Champions League stand. «A night to remember», sagte man damals nach dem 3:3, das das Tor zur nächsten Stufe öffnete. Und nichts weniger ereignete sich knapp 15 Jahre später an derselben Stelle. Ein neues Spektakel, nur mit einem noch besseren Ausgang für den FCB.
Welche Kraft und Energie und Selbstvertrauen ein Tor freisetzen kann, konnte man gegen Benfica beobachten. Eine Basler Mannschaft, die vor wenigen Tagen noch verunsichert wirkte, die in Manchester vor zwei Wochen beim 3:0 in ihre Schranken gewiesen worden war, schien von Minute zu Minute zu wachsen. Mit breiter Brust und grossem Selbstverständnis begegnete sie dem favorisierten Meister Portugals.
Sie nutzte quasi jede sich bietende Gelegenheit zum rasend schnellen Umschaltspiel, und zum Mann des Abends schwang sich ein junger Mann an seinem 20. Geburtstag auf: Dimitri Oberlin. Unter dem Strich stehen zwei Assists, darunter ein Foulelfmeter, der an ihm verursacht wurde, sowie zwei Tore. Und was für welche.
Oberlins 2:0 – ein Tor wie ein Gemälde
Das 2:0 ist eines, das die Basler Fans nicht vergessen werden. Benfica schlug den zweiten Eckball zur Mitte, am Fünfmeterraum befreite Oberlin mit einem mächtigen Kopfball in Richtung Steffen. Der zog ohne Umschweife los, und hinter ihm startete Oberlin mit riesigen Schritten und schlenkernden Armen zu einem epischen 96-Meter-Sprint in weniger als zwölf Sekunden. Wurde hinterher nachgemessen. Er bekam mit einem idealen Zuspiel den Ball von Steffen zurück – und hatte die Nerven, Goalie-Oldie César zu tunneln. 2:0. Ein Tor wie ein Gemälde. Und schon da stand das Joggeli Kopf.
Benfica nützten das Plus an Ballbesitz, die weitaus grössere Zahl an Pässen und die höhere Genauigkeit nichts. Der Meister Portugals hatte so gut wie keine Ausstrahlung. Tomas Vaclik und Marek Suchy entschärften mit vereinten Kräften eine Chance für den unternehmungslustigen Aussenverteidiger Grimaldo (19.). Raul Jimenez, der den Vorzug vor Haris Seferovic erhalten hatte, verfehlte in der 44. Minute mit einer Volleyabnahme das Ziel – mehr hatte Benfica offensiv nicht zu bieten. Auch, weil der FCB, allen voran der herausragende Eder Balanta, defensiv hervorragend agierte.
Aber es kam besser. Noch viel besser. Steffen und Lang liessen gleich nach Seitenwechsel noch zwei prima Chancen liegen. Dann traf Ljubomir Fejsa Oberlin an der Ferse, und den fälligen Elfmeter verwandelte Ricky van Wolfswinkel traumwandlerisch sicher (59.). Kurz darauf hatte Raoul Petretta Glück, nicht mit der zweiten Verwarnung vom Platz geschickt zu werden, für das Revanchefoul jedoch sah André Almeida vom schottischen Schiedsrichter die rote Karte (63.).
Mit dem vierten Treffer zehn Minuten später hatte der FCB seinen bisher höchsten Champions-League-Sieg egalisiert. Diesmal profitierte Oberlin geistesgegenwärtig von einem schlampigen Pass von Pizzi und war flinker als der 36-jährige Benfica-Captain Luisão.
Die Welle wogte über Ränge, das hat man schon lange nicht mehr gesehen im Joggeli, und obwohl der Gegner zu diesem Zeitpunkt bereits demütigend ins Hintertreffen geraten war, liess der entfesselte FCB nicht locker. Die eingewechselten Mohamed Elyounoussi und Blas Riveros trafen in der 76. Minute innert Sekunden nur den Pfosten und schon im nächsten Anlauf machte Blas Riveros mit dem 5:0 den Kantersieg perfekt.
Das Basler Erweckungserlebnis
Für den FC Basel bedeutet dieser Abend eine erstaunliche Wendung. Erst vor Wochenfrist, nach der 1:2-Niederlage in St. Gallen, wuchs die Unruhe, war der eingeschlagene Weg nach dem grossen Umbruch dieses Sommers erstmals infrage gestellt worden. Dann kam die resultatmässige Wende gegen den FCZ (1:0) am vergangenen Samstag, bei der längst nicht alles Gold war. Und nun steht alles plötzlich im Glanz einer rauschenden Europapokal-Nacht gegen einen grossen Namen des internationalen Fussballs, nach der die Fans so lange gedürstet haben.
So gesehen ist dieses fünf zu null mehr als nur ein Kantererfolg und der höchste Erfolg in der Champions League. Für den FCB, für die Mannschaft und Trainer Raphael Wicky mag es wie ein Erweckungserlebnis gewesen sein. Und plötzlich und nachdem sich Manchester United mit dem 4:1 in Moskau abgesetzt hat, scheint in dieser Gruppe für den Schweizer Meister wieder mehr drin zu sein, als nach dem ersten Spieltag für möglich gehalten wurde.
Trainermonologe: «Geniessen und bescheiden bleiben»
Raphael Wicky:
«Ich kann die Entwicklung in den letzten Tagen nicht abschliessend erklären. Immer habe ich gesagt, dass nicht alles schlecht ist, wenn man verliert. Und es ist auch nicht immer alles gut, wenn man gewinnt.
Wenn man nicht gewinnt, ist es wichtig, dass man Ruhe bewahrt. Und wenn man gewinnt, wie gegen Benfica, muss man bescheiden bleiben, geniessen, weiterarbeiten und daran glauben, was man tut. Ich sehe diesen Sieg nicht als Befreiung. Es ist einfach ein unglaublich schöner Abend, für den FCB und für den Schweizer Fussball. Es ist aussergewöhnlich, gegen Benfica 5:0 zu gewinnen.
Erst im Fernsehen habe ich gesehen, dass Oberlin den Doppelpass mit Steffen spielt. Das war unglaublich, aber wir wissen natürlich, dass er ein unglaublicher Umschaltspieler ist mit grossen Zug zum Tor. Nach seinem 2:0 dachte ich allerdings: Das geht hier noch lange. Denn du hast noch nie nach 20 Minuten ein Champions-League-Spiel gewonnen.»
Rui Vitória:
«Wir müssen analysieren, was alles schief gelaufen ist. Es hat keinen Sinn, hier grossartig Erklärungen zu suchen. Wir sind schlecht gestartet, in der zweiten Halbzeit gab es die rote Karte und den Elfmeter. Basel war einfach effizienter, während wir viele Fehler begangen haben, die man auf diesem Level nicht machen darf. Aber im Leben gibt es halt Hindernisse, die es zu überwinden gilt.
Wir haben jetzt noch vier ausstehende Spiele in dieser Gruppe. Fakt ist, dass wir drei Punkte vom zweiten Platz entfernt sind, und wir sind in der Lage, die letzten vier Spiele zu gewinnen. Wir sind besser, als wir es heute gezeigt haben, und immer noch im Rennen. Ich möchte zudem betonen, dass wir vor einem Jahr zu diesem Zeitpunkt auch erst einen Punkt hatten.»
Der Nebenschauplatz: Sieg für die Rekordbücher
Das 4:0 gegen Ludogorets Razgrad am 4. November 2014 war bisher der höchste Basler (Heim-)Sieg in der Champions League. Der höchste Sieg überhaupt stammt aus der Uefa-Cup-Qualifikation im Jahr 2000 und war ein 7:0 gegen die Halbamateure von SS Folgore aus San Marino. Doch dem November 2014 folgten elf Abende in der Champions League ohne ein Ausschwingen nach oben und ohne Sieg.
Der Gruppensieg in der Europa League unter Trainer Urs Fischer und das Erreichen der Achtelfinals gegen St.-Etienne war im Februar 2016 das letzte internationale Ausrufzeichen des FCB. Als echte Sternstunden wurden zuletzt das 1:0 daheim gegen den Liverpool FC im Oktober 2014 gefeiert (mit Marco Streller als Torschütze) sowie das 1:1 im Rückspiel an der Anfield Road, als die Mannschaft von Paulo Sousa die Achtelfinals in der Champions League erreichte.
Nun steht das 5:0 gegen Benfica als nächste rauschende Europacup-Nacht und als Rekordsieg. Und für den portugiesischen Rekordmeister muss die Statistik ebenso neu formuliert werden: Bisher war ein 0:4 bei Borussia Dortmund, erst im März dieses Jahres, die höchste Auswärtsniederlage in der Champions League.
Die Aufstellung: Petretta anstelle von Riveros
Mit einer Überraschung wartete Raphael Wicky auf: Der 20-jährige Raoul Petretta spielte auf der linken Seite anstelle von Blas Riveros (19). Ansonsten entsprach die 3-4-3-Formation den Erwartungen. Mit einem Dreierblock liess Wicky verteidigen und aufbauen, im Zentrum spielten Taulant Xhaka und Luca Zuffi ihren gewohnten Part, und in der Offensive sorgten das Trio Renato Steffen, Ricky van Wolfswinkel und Dimitri Oberlin für den gewünschten Offensivwirbel.
FC Basel (3-4-3): Vaclik – Suchy, Akanji, Balanta (80. Serey Dié) – Lang, Xhaka, Zuffi, Petretta (67. Blas Riveros) – Steffen, van Wolfswinkel, Oberlin (73. Elyounoussi).
Auf der Bank: Salvi (ET), Itten, Schmid, Bua.
Benfica Lissabon (4-4-2): César – Almeida, Luisão, Jardel, Grimaldo – Zivkovic (73. Samaris), Pizzi, Fejsa, Cervi (46. Salvio) – Jonas (67. Seferovic), Jimenez.