Lucie Pfaendler: «Die Kraft meines Körpers fasziniert mich»

Lucie Pfaendler hatte viele Jahre mit einer Essstörung zu kämpfen. Seit sie zum Crossfit gefunden hat, geht es stetig bergauf: Der Sport hilft ihr bei der Befreiung von äusseren Zwängen – und birgt doch auch die Gefahr, selber zum Exzess zu werden.

(Bild: Nils Fisch)

Lucie Pfaendler hatte viele Jahre mit einer Essstörung zu kämpfen. Seit sie zum Crossfit gefunden hat, geht es stetig bergauf: Der Sport hilft ihr bei der Befreiung von äusseren Zwängen – und birgt doch auch die Gefahr, selber zum Exzess zu werden.

«Früher war ich nur daran interessiert, was die Leute sehen. Heute ist mir die körperliche Leistung wichtiger als mein Aussehen.» So etwas von sich zu sagen – und das selber zu glauben – hätte Lucie Pfaendler bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten. Die 37-Jährige kam vor gut eineinhalb Jahren über einen Freund zum Crossfit, einer Trainingsmethode aus den USA, die Gewichtheben, Sprinten, Eigengewichtsübungen sowie Turnen kombiniert. Seither trainiert sie mit zunehmender Intensität.

Heute widmet sich die Kommunikationsfachfrau auch beruflich ihrem Sport. Vor sechs Monaten übernahm sie die Marketingabteilung des Crossfit-Studios in Basel. Plötzlich ging in ihrem Leben alles bergauf, erzählt Pfaendler und wirkt dabei ein bisschen, als könne sie ihr Glück selbst noch kaum fassen: «Jetzt habe ich diese neue Sportart, die mir von Anfang an einfach nur Spass machte, und einen Beruf, der mich total erfüllt!»

Als sie mit dem Training begann, musste sie auch kritische Bemerkungen wegstecken. «Manche sagten, ich hätte zu stark an Muskelmasse zugenommen, sähe aus wie ein Mann.» Wäre sie mental weniger stark, könnte sie mit dieser Kritik unmöglich umgehen. Sich von der Beurteilung durch andere zu emanzipieren, dabei half ihr auch ihr Blog. «Ich schreibe in die Welt hinaus, was ich denke, das hilft, eine eigene, selbstbewusste Stimme zu finden.»

Im Blog schreibt sie viel über Essstörungen, dadurch lernte sie auch Leute kennen, die eine ähnliche Geschichte haben. «Diese Vernetzung ist mir wichtig, da man Essstörungen mit niemandem teilen kann, der sie nicht selbst erlebt hat. Es ist eine Sucht, völlig irrational, deshalb kann man sie auf rationaler Ebene kaum nachvollziehen.»

Ein Effekt wie Meditation

Manchmal wird Pfaendler noch immer von ihrer Vergangenheit eingeholt, die innere Balance muss sie sich in ihrem Alltag stets aufs Neue erarbeiten. Vor allem, wenn etwas nicht nach Plan verlaufe, könne sie manchmal schlecht damit umgehen und verfalle wieder in Kontrollmuster. Dann tue es ihr gut, zu meditieren, nur eine Viertelstunde am Stück, helfe bereits, eine innere Stärke und Ruhe zu aktivieren.

Das Crossfit-Training ist für sie, ähnlich wie die Meditation, ein gedankenfreier Raum, den sie gerade in schwierigen Zeiten sehr schätzt: «Es ist wahnsinnig intensiv und erfordert ein Maximum an Konzentration. Wenn man es richtig macht, kann man unmöglich abschweifen und an etwas anderes denken oder gar im Selbstmitleid versinken.» So wird für Lucie Pfaendler die körperliche Anstrengung zur psychischen Entspannung. Und dann fühlt sie sich wieder frei und stark – innerlich wie äusserlich. 

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