Lucien Favres Rücktritt – ein Akt der Selbstzerstörung

Tritt ein Trainer zurück, kommt er damit meist bloss seiner Entlassung zuvor. Bei Lucien Favre liegt der Fall anders: Sein Verein wollte ihn unbedingt halten, doch der Schweizer beweist einmal mehr, dass er seinen Eigensinn über den Ehrgeiz stellt.

Raus da: Nachdem Lucien Favre sein Team nicht auf die Erfolgstrasse zurückführen konnte, verlässt er den Verein.

(Bild: Bernd Thissen)

Tritt ein Trainer zurück, kommt er damit meist bloss seiner Entlassung zuvor. Bei Lucien Favre liegt der Fall anders: Sein Verein wollte ihn unbedingt halten, doch der Schweizer beweist einmal mehr, dass er seinen Eigensinn über den Ehrgeiz stellt.

Gedankenverloren verliess Christoph Kramer am Sonntagabend das Dortmunder Westfalenstadion. Der Mittelfeldspieler hatte mit Bayer Leverkusen gerade 3:0 gegen Borussia Dortmund verloren, mit Reportern sprechen wollte er lieber nicht. Bis jemand ihm zurief: «Lucien Favre ist in Mönchengladbach zurückgetreten!» Auf Kramers Gesicht erschien ein Ausdruck der Fassungslosigkeit. «Ihr veräppelt mich», zischte er. Als klar wurde, dass die spektakuläre Information stimmt, sagte er: «Das ist wirklich schade.» Dann machte er sich davon.

Der Leverkusener, der unter Favre zum Nationalspieler wurde, erlebte einen abrupten Wechsel von Ungläubigkeit zu Trauer – und mit ihm viele Fussballfreunde. Niemand hatte mit diesem Rücktritt gerechnet. Selbst die Konkurrenz hat der lange Zeit so zauberhaft erscheinenden Verbindung zwischen Borussia Mönchengladbach und dem Mann aus Saint-Barthélemy kein solches Ende gewünscht. Zumal der Trennungsprozess ziemlich ungewöhnlich verlaufen ist.

Favre schafft Fakten ohne Rücksprache

Am Sonntagmorgen war Favre nicht mit der Mannschaft zum Training auf dem Platz gewesen. Es hiess, er sei krank. In Wahrheit sass er mit der Klubführung zusammen und diskutierte. Favre wollte zurücktreten, während Sportdirektor Max Eberl und Präsident Rolf Königs diesen Schritt um jeden Preis verhindern wollten. «Wir sind nach wie vor total davon überzeugt, dass Lucien der perfekte Trainer für Borussia ist und wir gemeinsam mit ihm die aktuelle, sehr schwierige sportliche Situation überstehen werden», teilte Max Eberl noch am Sonntagabend mit. Da hatte er aber schon einsehen müssen, dass der Trainer sich nicht von seinem Entscheid würde abbringen lassen.

Er hatte ohne Einverständnis des Klubs «Fakten geschaffen», indem er seinen Rücktritt eigenmächtig öffentlich machte, stellte Königs fest. Favre hatte einen Brief verbreitet, in dem es hiess: «Ich habe nicht mehr das Gefühl, der perfekte Trainer für Borussia Mönchengladbach zu sein. (…) Es ist jetzt an der Zeit und die beste Entscheidung für den Verein und die Mannschaft, eine Veränderung herbeizuführen.»

Diese Art der Trennung eines Trainers von seinem Verein ist sehr untypisch. Für Favre ist diese Form des Rücktrittes aber irgendwie typisch.

Am Tag davor hatten die Gladbacher auch ihr fünftes Saisonspiel verloren, mit 1:0 beim 1. FC Köln, aber fussballerisch sah das Spiel wieder etwas besser aus als bei den furchtbaren Niederlagen gegen Hamburg und in Sevilla. Favre hatte angesichts der wunderbaren letzten Jahre, die in der Qualifikation für die Champions League gipfelten, die volle Rückendeckung seiner Vorgesetzten. Für die Bundesliga ist diese Art der Trennung eines Trainers von einem Verein sehr untypisch. Für den 57-jährigen Favre ist diese Form des Rücktrittes aber irgendwie typisch.

In den vergangenen Jahren verspürte Favre immer mal wieder den Impuls, Mönchengladbach zu verlassen, mindestens einmal hat er gegenüber der Klubführung seinen Rücktritt erklärt, konnte aber immer umgestimmt werden. Am Sonntag haben die Verantwortlichen laut Königs lange «gehofft, ihn auch dieses Mal überzeugen zu können.»

Das sagt Yann Sommer zum Rücktritt seines Trainers im Interview: «Ich werfe Favre nichts vor»

Favre ist ein Grübler, ein Zweifler und ein Zauderer, den manche Leute als Kauz bezeichnen. In Mönchengladbach gab es einen engen Kreis von Leuten, die ihn immer wieder moderierend, beratend und um Verständnis werbend begleiteten, so konnte er seine Stärken als Fachmann zur Blüte bringen. Das war eines der Erfolgsgeheimnisse dieser Borussia. Solch ein Umfeld zu verlassen ist riskant und es weist auf massive Zerwürfnisse an neuralgischen Stellen im Klub hin.

«Kompromisse sind ein Fehler»

Es gibt Gerüchte, dass Teile der Mannschaft nicht mehr von der Arbeit ihres Trainers überzeugt waren, handfeste Hinweise in diese Richtung existieren allerdings nicht. Wahrscheinlich ist allerdings, dass in den Wochen des Misserfolges Konflikte aufgebrochen sind, die den sensiblen Favre verletzt haben. Und womöglich ist er nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie die Mannschaft nach dem Weggang der Leistungsträger Christoph Kramer und Max Kruse verstärkt wurde.

Es gibt auffällige Parallelen zu Favres Trennung von Hertha BSC Berlin vor ziemlich genau sechs Jahren. Zwar wurde er damals rausgeworfen, doch auch dort hatte er zuvor wichtige Spieler verloren, was zu anhaltenden Problemen führte. Und auch damals ging er von sich aus an die Öffentlichkeit, um zu erklären: «Ich habe von Anfang an zu viele Kompromisse gemacht, und Kompromisse sind Fehler.»

Favre war dabei, eine Legende in Mönchengladbach zu werden, das ist nach dieser Flucht nicht mehr möglich.

In Berlin musste er nach einer Erfolgssaison plötzlich mit Spielern arbeiten, die er eigentlich gar nicht haben wollte, weil sie nicht zu seinen Vorstellungen passten. Und auch in Mönchengladbach funktionieren die neuen Spieler nicht. Favre war zwar in die Transferpolitik eingebunden, doch das letzte Wort hatte natürlich Eberl. Schon als Marco Reus, Roman Neustädter und Dante den Verein verlassen haben, gab es grosse Meinungsverschiedenheiten über Transfers, Favre kritisierte Eberl damals sogar öffentlich. Aber irgendwie haben die beiden wieder zusammengefunden.



Überzeugt, dass Favre der richtige Trainer für seinen Verein ist, aber ohne Chance ihn zu halten: Max Eberl, Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach.

Überzeugt, dass Favre der richtige Trainer für seinen Verein ist, aber ohne Chance ihn zu halten: Max Eberl, Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach. (Bild: Keystone/Marius Becker)

Das ist diesmal nicht gelungen, und die Kommentatoren warfen umgehend mit Begriffen wie «unwürdig» oder «unverantwortlich» um sich. Der Trainer habe seinen Klub im Stich gelassen, so der Tenor. Tatsächlich ist dieser Rücktritt aber auch ein Akt der Selbstzerstörung. Denn Favre war dabei, eine Legende in Mönchengladbach zu werden, das ist nach dieser Flucht nicht mehr möglich. Sein Ruf wird unter dieser Trennung leiden.

Lucien Favre wurde als möglicher Nachfolger von Pep Guardiola gehandelt, der seinen im kommenden Jahr auslaufenden Vertrag beim FC Bayern bisher noch nicht verlängern will. Nun ist dieser Karriereschritt ziemlich unwahrscheinlich geworden. Denn jetzt wurde vor aller Augen sichtbar, wie eigensinnig und speziell dieser grossartige Fussballtrainer sein kann.

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