Völlig überraschend muss der 1. FC Köln einen neuen Präsidenten suchen. Wolfgang Overath ist am Sonntag gekränkt zurückgetreten, weil er sich von Anhängern des Clubs verunglimpft fühlt. Bis ein Nachfolger gefunden ist, wird der Verein interimistisch geleitet.
Tränen, Handgemenge, Jubel, Buh-Rufe. Die jährliche Mitgliederversammlung des 1. FC Köln am Sonntag bot die ganz grossen Emotionen. Der Grund: Präsident Wolfang Overath hatte den Rücktritt erklärt. Völlig überraschend, eigentlich wäre seine Amtszeit noch bis 2013 gelaufen. Nun aber rief der 68-Jährige am Ende seiner Rede in den Saal: «Vielen, vielen Dank – und maat et joot!»
Overath, der Weltmeister von 1974, der als Fussballer seinen 1. FC Köln nie verlassen hatte, geht. Er geht, weil er sich von Gegnern «in einer Art und Weise verunglimpft» fühlt, wie er es noch nie erlebt habe. «Nie konstruktiv» seien die Kritiker gewesen, sondern immer «diffamierend», klagte Overath. Eigene Fehler mochte er nicht eingestehen; nicht in seiner letzten Rede als FC-Präsident. Aber durch übermässige Selbstkritik war Overath sowieso nie aufgefallen, seit er 2004 das Ehrenamt übernommen hatte.
Nachdem der Rücktritt ausgesprochen war, jubelten Teile der 2422 anwesenden Mitglieder, als ob ihrem FC ein Tor gelungen wäre. Andere reagierten schockiert. Overath wurde von einem Anhänger in einer spontanen Rede zum Bleiben aufgefordert und musste sich dabei Tränen aus den Augen wischen.
Als dann Stefan Müller-Römer ans Rednerpult trat, mussten Sicherheitsleute gar ein Handgemenge zwischen Mitgliedern auflösen. Müller-Römer ist Sprecher von «fc:reloaded», einer Bewegung, die sich mit starker Kritik an der Club-Führung hervorgetan hat. Ihm sei es auch nicht recht, «dass ich jetzt als Königsmörder» dastehe, sagte Müller-Römer. Aber für Overath, das ist klar, ist er nichts anderes.
Overath selbst hatte in seiner Rede von einer «kleinen Gruppe» gesprochen, die Widerstand geleistet habe. Aber da bewies er äusserst selektives Erinnerungsvermögen. An der Jahresversammlung 2010 nämlich hatte die Mehrheit der anwesenden Mitglieder dem Vorstand die Entlastung verweigert. Eine schallende Ohrfeige für Overath und Ausdruck grössten Misstrauens der Mitglieder gegenüber der Clubleitung.
Gründe, der Vereinsführung kritisch zu hinterfragen, gab es durchaus. Zwar heulte die «Bild» nach dem Rückritt des Präsidenten, der dem Blatt stets eng verbunden war: «Der FC ohne Overath – ein gewaltiger Verlust. Dies werden alle noch merken!» Aber die Bilanz Overaths liest sich ernüchternd. Seit er übernommen hat, ist der Club einmal in die 2. Bundesliga ab- und einmal in die 1. aufgestiegen. In der höchsten Liga spielte er immer gegen den Abstieg und verbrannte dabei Millionen.
Seit 2005 haben sich die Schulden des Vereins um rund 17 Millionen auf knapp 25 Millionen Euro vergrössert. Dazu hat sich der FC finanzieller Taschenspielertricks bedient, um sofort an mehr Geld zu kommen. So wurde in der Saison 2008/09 das Stadion-Catering in eine AG ausgegliedert, die einen Kredit von 7,5 Millionen Euro aufgenommen hat. Mit diesem Geld wurde dem Verein wiederum das Recht abgekauft, im Stadion Esswaren und Getränke zu verkaufen. So kam der 1. FC Köln zwar auf einen Schlag zu 7,5 Millionen Euro. Doch im Gegenzug fehlen dem Club nun während 12 Jahren jene 600’000 Euro, mit denen der Kredit auf Raten abbezahlt wird.
Und das ist nicht der einzige Fall, in dem die Kölner zukünftige Einnahmen im Voraus bezogen und bereits wieder ausgegeben haben. Für 3 Millionen Euro wurden zum Beispiel Transferrechte an Lukas Podolski und Pedro Geromel verkauft. Das heisst, dass der Verein bei einem Wechsel der beiden Top-Spieler Teile der Transfersumme weitergeben muss. Pikant in dem Zusammenhang: Ebenfalls am Sonntag wurde der Investor Franz Josef Wernze in den Verwaltungsrat gewählt, der einen Teil der Transferrechte hält.
Wer auch immer Nachfolger Wolfgang Overaths wird, die Arbeit wird ihm nicht ausgehen. Die Wahl soll so schnell wie möglich erfolgen. Vorerst aber wird der Club von Werner Wolf, dem Verwaltungsrats-Vorsitzenden, kommissarisch geführt. Immerhin: Sportlich liegen die Kölner derzeit auf Rang elf der Bundesliga. Das ist zwar sportliches Niemandsland. Aber für den 1. FC Köln ist das bereits ein Fortschritt.