Real Madrid hat das Spiel gewonnen. Der Preis für die beste Show gehört aber dem SSC Neapel. Maradona, Stossgebete, verhexte Trikots – unser Korrespondent über einen süditalienischen Abend in der spanischen Hauptstadt.
Antonio bekreuzigt sich und schickt ein Stossgebet zum Himmel. Nicht das erste vor diesem Spiel bei Real Madrid, dem grössten des SSC Neapel seit 1990. Damals führte Diego Armando Maradona den Verein zur zweiten Meisterschaft, und Antonio jubelte als Sechsjähriger im Stadion San Paolo.
Nun haben sie ihr Idol den ganzen Tag in den Strassen Madrids gefeiert. Rund zehntausend Tifosi sind in die Stadt gekommen, die meisten irgendwie auch an ein Ticket für das Santiago Bernabéu, in der Kurve singen sie ihr altes Lied:
«Mamma, mamma, mamma /
weisst du, warum mein Herz sich überschlägt? /
Ich habe Maradona gesehen /
und Mamma, ich bin verliebt.»
Maradona selbst ist auch in der Stadt, er unterhält den Boulevard wie eh und je.
Tag eins: Eskorte vom Rollfeld weg, Bezug der Luxussuite im Teamhotel. Tag zwei: Stress mit einem Journalisten, angeblich Drohung mit Schlägen.
Tag drei, morgens: Laute Diskussionen mit Freundin Rocía, die Hotelrezeptionistin ruft die Polizei, diese kommt, verhört Zeugen, stellt aber keine Indizien für Gewalt fest.
Tag drei, mittags: Offizielles Essen der Delegationen beider Clubs, beim Verlassen des Restaurants wirkt Maradona reichlich derangiert.
Tag drei, abends: Die Energie reicht noch, um in Neapels Kabine die Motivationsansprache zu halten. «Eine halbe Minute», wird Trainer Mauricio Sarri später berichten, «aber von einem Mythos wie ihm verfängt das trotzdem.»
Jetzt laufen die Teams ein und Antonio unterbricht sein beschwörendes Gemurmel. «Diese verdammten Trikots», flucht er. Neapel spielt in schwarz. Dem dritten Trikot, eigentlich. Doch Präsident Aurelio De Laurentiis hat das erste, traditionell hellblau, vor ein paar Monaten abgeschafft.
Nach einem Remis gegen das Provinzteam Sassuolo erklärte der Präsident es für verhext, beförderte das zweite – weiss – zum ersten und das dritte zum zweiten. Aberglauben. Seit dem Wechsel gewann Neapel elf von 13 Spielen bei zwei Remis. Also geht es gegen das weisse Real nicht in blau, sondern ganz in schwarz.
Die Partie beginnt rasant, und nach acht Minuten gehen die Italiener tatsächlich in Führung. Lorenzo Insigne, gebürtiger Neapolitaner, 1,63 Meter gross, überlistet den sorglos postierten Real-Keeper Keylor Navas aus 35 Metern mit einer genialen Frechheit.
Inspiriert von Maradonas Worten? «Vielleicht kein Zufall», sagt Sarri später über die gute Anfangsphase. Neapel bemüht sich um gepflegtes Angriffsspiel, doch gerade vorn ist Real einfach schneller, präziser. Karim Benzema, Toni Kroos und Casemiro schiessen hübsche Tore zum verdienten 3:1-Endstand.
Auftritt De Laurentiis, zurückgekämmtes weisses Haar, Vollbart, barocke Gestalt, echter Patriarch. Der Gedanke, dass eine Niederlage von Neapel – das noch nie in einem Champions-League-Viertelfinale stand – beim elfmaligen Titelträger Real das Normalste der Welt ist, scheint dem Filmproduzenten keine Sekunde gekommen zu sein. Und da es an den Trikots ja nicht gelegen haben kann, muss es andere Schuldige geben:
- Die Spieler: «Nicht wie Neapolitaner aufgetreten, ausser Insigne praktisch alles Nullen.»
- Der Trainer: «Man könnte hin und wieder auch mal die Taktik ändern».
- Und überhaupt: «Jeden Sommer gebe ich Geld für neue Spieler aus, und dann sehe ich sie nie spielen.»
Als Sarri eine Stunde nach Schlusspfiff in den Pressesaal kommt, hat sich das natürlich herumgesprochen. Der Trainer trägt wie immer einen schwarzen Trainingsanzug mit goldenen Markenlogos, und wie immer hat er ein paar Zigaretten geraucht, manchmal sogar während dem Spiel, trotz aller Verbote.
Der Pressesprecher versucht, die Polemik abzuwürgen, streitet sich mit den Journalisten um den Wortlaut und zitiert daher die komplette Präsidentensuada noch mal selbst, wodurch sie jetzt auch noch der letzte mitbekommt. Madrid ist in diesem Moment endgültig Neapel, und Sarri nimmt den Fehdehandschuh auf: «Am Platz treffe ich die Entscheidungen.»
Fortsetzung folgt, in drei Wochen muss Madrid nach Neapel. «San Paolo wird ein Inferno sein», verspricht Sarri. Vor dem Bernabéu hat Antonio einen ganz anderen Wunsch: «Wir haben verloren, vielleicht hört das jetzt endlich auf mit diesen verdammten Trikots.»