Stanislas Wawrinka spielt die konstanteste Saison seiner Karriere, steht in den Achtelfinals des US Open und ist die Nummer 10 der Weltrangliste. Trotzdem muss ihn sein schwedischer Trainer ab und an daran erinnern, welchen Status er sich in der Tennis-Welt erarbeitet hat.
Als Stanislas Wawrinka im Tiebreak des dritten Satzes des Abnutzungskampfes gegen Marcos Baghdatis die ersten Punkte, dann irgendwie seinen klaren Kopf und schliesslich auch den Satz verloren hatte, schüttelte Magnus Norman draussen heftig mit dem Kopf. Es wirkte auf den Trainer des Schweizers wohl wie ein Rückfall in alte Zeiten, ein Rückfall in eine Defensivhaltung, die seinem Schützling früher schon so manchen sichergelaubten Sieg gekostet hatte.
Als Wawrinka allerdings im vierten Akt wieder zu kämpfen begann, klarer, strukturierter, zuverlässiger spielte und dann auch seinen Platz im Achtelfinal der US Open gegen Tomas Berdych buchte, erhob Norman draussen immer wieder die geballte Faust.
Das war der Wawrinka, den der schwedische Ex-Profi sehen will, so oft wie möglich, vor allem so oft wie nötig. «Stan muss das Spiel bestimmen. Und darin muss sich auch sein Selbstbewusstsein, seine Stärke und sein Status ausdrücken», sagt Norman, «er ist schliesslich einer der zehn besten Tennisspieler der Welt.»
So konstant war Wawrinka noch nie
Es scheint, als müssten selbst die engsten Vertrauten den 28-jährigen Romand gelegentlich noch daran erinnern, an seine Position in der Hierarchie der Tennisbranche. Dabei spielt der einstige Schattenmann hinter einem alles überragenden, alles überstrahlenden Roger Federer im Jahr 2013 die konstanteste Saison seiner Laufbahn, inzwischen hat er an den verschiedenen Einsatzorten schon 39 Siege eingesammelt. Mehr als jemals zuvor.
In der Jahresbestenliste hat Wawrinka noch alle Möglichkeiten, sich für den Saisonfinal der acht besten Tourprofis in der Londoner 02-Arena zu qualifizieren. Dieser Startplatz beim World Tour Final ist der höchste Ausdruck von dauerhafter Qualität.
Für Wawrinka wäre es nach vielen launischen, wechselhaften Spielzeiten ein Quantensprung in seiner Tennis-Existenz, ein Ausweis, dass er vor seinem 30. Lebensjahr noch einmal so richtig Fahrt aufgenommen hat. Etwas, was er ja selbst mit aller Macht und Leidenschaft wollte – Top Ten, grosse Turniersiege, die Chance, vielleicht sogar bei Grand Slams um den Titel mitmischen zu können. «Als Tennisspieler brauchst du heutzutage mehr denn viele Jahre der Erfahrung, um ganz vorne im Spiel zu sein», sagt Wawrinka.
Die Emanzipation von Roger Federer
Der Powerspieler hat es in einem harten Prozess auch geschafft, sich von Überspieler Federer zu emanzipieren – und sich auch nicht mehr über ihn zu definieren. Das hat weniger mit der 1:13-Bilanz in direkten Vergleichen mit Federer zu tun als mit der Fokussierung auf eigene Qualitäten und das eigene Tennisleben.
Jeder in diesem Egoistengeschäft, das weiss Wawrinka nun, muss sich komplett um sich selbst und seine Karriere kümmern. Dass er in den letzten Monaten viele der Grössen, auch solche aus den Fab Four, geschlagen hat, hat ihm bei der Festigung der eigenen, stärker gewordenen Tennis-Persönlichkeit geholfen.
So wie auch Norman, der Schwede, der sich schnell als Bereicherung entpuppte, als gewinnender Charakter und wertvoller Tippgeber. Noch immer kämpft Wawrinka zuweilen mit flatternden Nerven, zittrigen Momenten und mit dem alten Warinka, der nicht gerade bekannt dafür war, die Big Points in den matchentscheidenden Momenten zu gewinnen. Doch er kämpft auch erfolgreicher denn je dagegen an – und siegt öfter in diesen kribbligen Duellen, so wie auch am Sonntag gegen Baghdatis.
Berdych muss nicht Endstation sein
In New York hat er schon so manches Abenteuer in den letzten Tagen glücklich überstanden und alles in allem sehr souverän die zweite Turnierwoche erreicht. Er schlug zum Auftakt seinen Angstgegner Radek Stepanek, hielt im Aufschlaggewitter von Hüne Ivo Karlovic Kurs und überwand in drückender Schwüle die Hürde Baghdatis.
Es war durchaus ein Programm, das Möglichkeiten zum Scheitern bot, doch Wawrinka war zum Glück ins Gelingen verliebt. Berdych, der im Tourzirkus nicht gerade beliebte Tscheche, muss nun in der Runde der letzten 16 nicht Endstation für den Romand sein, immerhin liegt Wawrinka sogar 6:5 vorne im direkten Vergleich.
«Tomas ist nicht gerade happy, wenn er gegen mich spielen muss», sagt Wawrinka. Wenn das noch mehr Profis dieser Qualität behaupten müssten, wäre Wawrinka ein gutes Stück weiter.