Marcel Hirscher befriedigt Österreichs Sehnsucht

Auch der geschlagene Beat Feuz verbeugt sich vor Marcel Hirscher, der als verblüffender Gesamt-Weltcupsieger alle Kriterien eines modernen Sportheroen mitbringt.

Tage Kugel-Vergabe: Marcel Hirscher mit der Kristall-Trophäe als Riesenslalom-Sieger. Am Sonntag kann noch die für Slalom und Gesamtwertung dazukommen. (Bild: Reuters/LEONHARD FOEGER)

Auch der geschlagene Beat Feuz verbeugt sich vor Marcel Hirscher, der als verblüffender Gesamt-Weltcupsieger alle Kriterien eines modernen Sportheroen mitbringt.

Beat Feuz hielt sich erst gar nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln auf. Als er im Ziel plötzlich seinem grössten Widersacher in die Arme lief, verneigte er sich kurz, um dann Marcel Hirscher demonstrativ auf die Schulter zu klopfen. Eine Geste des Respekts und der Anerkennung, aber auch ein Zeichen von Grösse, nachdem dem Schweizer auf den letzten Metern die grosse Kristallkugel noch entrissen worden war.

«Es ist dem Marcel zu vergönnen», meinte Beat Feuz und aus seinen Worten klang dabei keine Spur von Verbitterung, «es ist eindrucksvoll, was er in diesem Winter geleistet hat.»

Marcel Hirscher ist also der neue Superstar der Ski-Szene. Und wer das bislang noch nicht gewusst hat, dem muss das spätestens an diesem Samstag in Schladming klar geworden sein. Beeindruckend wie der junge Österreicher im entscheidenden Riesentorlauf zu seinem neunten Saisonsieg raste, verblüffend wie cool und abgeklärt der 23-Jährige auf die enorme Erwartungshaltung und den grossen Druck in seiner Heimat reagierte, und faszinierend wie dieser schmächtige, blonde Bursche innerhalb eines Weltcup-Winters die österreichischen Ski-Fans in den Bann gezogen hat. «Man kann nur den Hut vor ihm ziehen», staunte dann selbst Altmeister Didier Cuche, der in Schladming seinen Hut nahm.

Das alles entscheidende Manöver

Dem neuen Weltcup-Gesamtsieger waren die Aufregung und der Trubel um seine Person dann fast ein wenig zu viel. «Ich kapier‘ im Moment überhaupt nichts», stammelte Hirscher nach seinem spektakulären Überholmanöver in der Gesamtwertung. Mit 75 Punkten Rückstand auf Beat Feuz war der Österreicher in den Riesenslalom gestartet, mit 25 Punkten Vorsprung auf den Schweizer hatte er ihn beendet. Es war das alles entscheidende Manöver des Winters. Damit wird der abschliessende Slalom am Sonntag für Marcel Hirscher wohl zur emotionalen Ehrenrunde. «Es ist ein Wahnsinn, wie die Leute hier in Schladming mitgehen.»

Der 23-jährige Hirscher befriedigt die österreichische Sehnsucht nach einem neuen Volkshelden. Skifahren ist in Österreich ja seit jeher der Nationalsport Nummer 1, und an charismatischen Typen hat es selten gemangelt. Von Toni Sailer bis Karl Schranz, von Franz Klammer bis Hermann Maier – aber nach dem Karriereende des Herminators Maier (2009) war es ein wenig stiller geworden um die alpinen Helden, die seit 2006 bei der österreichischen Wahl zum Sportler des Jahres nicht mehr den Gewinner stellen konnten.
Einerseits fehlten die grossen Erfolge, andererseits mangelte es auch an Protagonisten mit einem Typen-Schein.

Der erste Flachland-Sieger

Marcel Hirscher kommt da jetzt wie gerufen. Der Salzburger erfüllt alle Kriterien, die ein Sportstar der Moderne braucht: Er ist erfolgreich aber dabei in keinster Weise exzentrisch, er hat auf der Piste das letzte Wort und ist auch abseits nie um einen lockeren Spruch verlegen. Und so nebenbei hat er auch noch eine Biografie, die ein gewisses Starpotenzial in sich birgt: Immerhin darf sich Hirscher erster Flachland-Weltcup-Gesamtsieger nennen – die Mutter des 23-Jährigen kommt nämlich aus den Niederlanden.

Kein Wunder also, dass Hirscher  mittlerweile längst  auf den Spuren von Hermann Maier wandelt. Hirscher trägt den knallgelben Helm, den seinerzeit auch der Herminator berühmt gemacht hat, er hat den gleichen Kopfsponsor wie der einstige Volksheld und ist bereits gefeierter Hauptdarsteller in der österreichischen Fernsehwerbung.

Die Sache mit dem depperten Glasbecher

So manch einem Jungstar würde so viel Popularität zu Kopf steigen, doch Allüren sind Marcel Hirscher fremd. Das versichert jedenfalls auch Papa Ferdinand Hirscher, der seinen Sohn seit Jahren als Privatcoach und Mentor zu jedem Rennen begleitet. «Marcel ist ein realistischer und bodenständiger Bursche», lobt der Vater. Ein Bursche, der in den letzten Wochen unter einer enormen Erwartungshaltung stand.

Seit seiner Siegesserie im Januar wurde der Österreicher ständig nur auf den Gesamtweltcup angesprochen, ein Thema, das Hirscher zusehends nervte. «Wenn jeder nur von dem depperten Glasbecher redet, dann wird’s irgendwann schwer, das auszublenden», gestand Hirscher. Und auch die öffentlichen Rechenspiele im Finish machten die Sache nicht leichter.

Hirscher verblüfft, Feuz aber auch

Wie der Salzburger mit dieser neuen Stress-Situation umging? «Indem ich mir immer eingeredet habe, dass das nur ein normales Rennen ist, in dem es für einen Sieg auch nicht mehr als hundert Punkte gibt», erklärt Hirscher. Gesagt, getan, gewonnen. Mit seinem Triumph verblüffte der Technik-Spezialist auch seinen Cheftrainer. Mathias Berthold hatte noch im Dezember einen österreichischen Gesamtweltcupsieger als unrealistisch betrachtet.

Ein Schweizer Gesamtsieger namens Beat Feuz wäre wohl ebenfalls eine grosse Überraschung gewesen. Kaum jemand hatte den 25-jährigen Speed-Spezialisten im Kampf um die grosse Kristallkugel auf der Rechnung. Vielleicht hielt sich auch deshalb die Enttäuschung beim Schweizer, der übrigens mit einer Österreicherin liiert ist, in Grenzen. «Es war nicht mehr möglich», meinte Beat Feuz mit einem Lächeln,  «ganz ehrlich: Das war eine Bombensaison von mir.»

Ski Welcup, Finale in Schladming (Ö)
Weltcup-Riesenslalom der Männer: 1. Marcel Hirscher (Ö) 2:25,53. 2. Hannes Reichelt (Ö) 0,19 zurück. 3. Marcel Mathis (Ö) 0,55. 4. Alexis Pinturault (Fr) 0,75. 5. Thomas Fanara (Fr) 1,56. 6. Jean-Baptiste Grange (Fr) 1,89. 7. Davide Simoncelli (It) 1,97. 8. Matts Olsson (Sd) 2,18. 9. Steve Missillier (Fr) 2,22. 10. Benjamin Raich (Ö) 2,26. Ferner: 12. Didier Défago (Sz) 2,55. – Ohne Punkte: 19. Carlo Janka (Sz) 3,63. 21. Beat Feuz (Sz) 3,78. 25. Ted Ligety (USA) 10,03. 26. Didier Cuche (Sz) 3:19,03.

Zu den Gesamtständen im Weltcup der Alpinen geht es hier.

 

Nächster Artikel