Zwei Testspiel-Niederlagen – und schon droht die Stimmung im österreichischen Schwarz-Weiss-Schema zu kippen. Für FCB-Stürmer Marc Janko ist das nichts Neues, und vor dem Auftakt am Dienstag gegen Ungarn mahnt Trainer Marcel Koller, Ruhe zu bewahren. Nicht einfach in einem Land, das bereits vom Viertelfinal geträumt hat.
Immerhin, Marcel Koller ist noch die Ruhe in Person. Zumindest einer, der sich im hektischen Einstimmen auf die Europameisterschaft noch nicht von der kollektiven Hysterie hat anstecken und verleiten lassen.
Im Vorfeld des ersten Gruppenmatches gegen den Nachbarn Ungarn (am Dienstag, 18.00 Uhr, in Bordeaux) hat ja sogar der ansonsten so besonnene ÖFB-Sportdirektor einen Blick auf sein angespanntes Nervenkostüm zugelassen. Willibald Ruttensteiner blaffte den ORF-Analytiker Peter Hackmair, 2007 mit Österreichs U-20-Nationalmannschaft WM-Dritter, vor laufenden Kameras an und kritisierte dessen Expertisen heftig.
Eine völlig unnötige Einlage, die aber eines beweist: Die Situation ist durchaus angespannt bei der österreichischen Nationalmannschaft, die sich erstmals sportlich für eine Europameisterschaft qualifizierte und damit im gesamten Land eine Fussballbegeisterung entfacht hat, wie es sie so seit Jahrzehnten nicht mehr gab. Bei den Anfragen für EM-Tickets waren die Österreicher von allen Euro-Teilnehmerländern die Nummer drei, der ORF übertrug zuletzt sogar schon Trainingseinheiten der Teamkicker live.
Realitätssinn und die Sachlichkeit sind auf der Strecke geblieben
Doch die grosse Euphorie ist zugleich das grosse Dilemma, in dem die österreichische Nationalmannschaft jetzt bei dieser Endrunde steckt. Seit die rot-weiss-rote Auswahl mit begeisterndem Fussball und ohne Niederlage durch die EM-Qualifikation marschiert ist, werden vom österreichischem Team in Frankreich regelrecht Wunderdinge erwartet. Laut einer Umfrage rechnet jeder vierte Österreicher zumindest mit dem Viertelfinaleinzug. Nicht selten ist sogar von einer Finalteilnahme die Rede.
Auf dem Weg nach Frankreich scheinen irgendwann freilich der Realitätssinn und die Sachlichkeit auf der Strecke geblieben zu sein. Das wurde wieder so richtig deutlich, als Teamchef Marcel Koller sich doch tatsächlich erdreistete, die Testspiele vor der Euro ihrem angedachten Zweck zuzuführen: dem Testen. Prompt titelte die «Kronen Zeitung», Medienpartner des Fussballverbandes ÖFB, nach einem 2:1 gegen Malta und einem 0:2 gegen die Niederlande: «Das ist viel zu wenig».
Die öffentliche Stimmungsschwankung und der mediale Gegenwind irritierte die österreichischen Teamspieler sichtlich, aber vor allem die Routiniers waren von der Kritik nicht wirklich überrascht. «Wir sind auch schon alle lange genug Österreicher, um dieses Schwarz-Weiss-Denken zu kennen. Das ist nun einmal in unserer Kultur so drinnen», sagte Marc Janko. Den Stürmer des FC Basel stimmte das freilich nachdenklich. Nicht einmal bei Weltmeister Deutschland sei nach der Testspiel-Niederlage gegen die Slowakei der Aufschrei so gross gewesen.
Ausserdem: Wenn jemand die Erfahrung gemacht hat, dass Ergebnisse von Freundschaftsspielen so wertvoll sind wie ein falscher 100-Euro-Schein, dann die Österreicher. Es war in der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft 1990 in Italien, als das österreichische Nationalteam nacheinander in Spanien gewann (3:2), dem damaligen Weltmeister Argentinien ein Unentschieden abrang (1:1) und schliesslich bei der WM-Generalprobe auch noch den Europameister Niederlande besiegte (3:2) und die Fans bereits vom WM-Titel träumten. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Für Österreich kam bereits in der Vorrunde das Aus.
Koller: «Jetzt nicht die Ruhe verlieren»
Marcel Koller will die Ergebnisse und Auftritte in den Testspielen seit der EM-Qualifikation nicht überbewerten, er will sie aber auch nichts links liegen lassen. «Es ist wichtig, dass man jetzt nicht die Ruhe verliert. Ich habe ins Team Vertrauen. Sie haben schon öfter bewiesen, dass sie es können», sagt der 55-jährige Zürcher. Er gibt jedoch auch zu bedenken: «Wir haben eine gute Qualifikation gespielt, aber das ist jetzt auch eine Zeit her. Wir müssen jetzt wieder in die Gänge kommen.»
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— Marc Janko (@JankoMarc) 8. Juni 2016
Bevor die Mannschaft am vergangenen Mittwoch Richtung Frankreich abhob, rief Koller seinen Spielern in Erinnerung: «Man kann nicht kurz vor dem Ungarn-Spiel den Knopf drücken und es funktioniert alles. Es ist auch der Kopf der Spieler entscheidend. Da ist jeder für sich alleine zuständig, dass er das abruft und sich in den Hintern kneift.»
Die Spieler glauben, die Lehren gezogen zu haben
Möglicherweise waren die schwächeren Auftritte in der Vorbereitung ja gar nicht einmal das Schlechteste. Vielleicht hat es den Österreichern noch einmal die Sinne geschärft. Die Spieler scheinen jedenfalls die richtigen Lehren aus den letzten Wochen gezogen zu haben. «Es geht jetzt darum», sagt Abwehrchef Sebastian Prödl, «dass wir die letzten zehn Prozent aufschnappen.»