Mardy Fish besiegt seine Angst – das Tabuthema in der Welt der Starken und Fitten

Am US Open endet die Karriere der ehemaligen Weltnummer 7 Mardy Fish. Der Amerikaner leidet an Angstzuständen, die ihn einst dazu brachten, einen Höhepunkt gegen Roger Federer abzusagen. Über die Jahre hat er seine Attacken in den Griff bekommen.

Mardy Fish waves to the crowd as he walks off the court after losing to Feliciano Lopez, of Spain, during the second round of the U.S. Open tennis tournament, Wednesday, Sept. 2, 2015, in New York. (AP Photo/Frank Franklin II)

(Bild: Keystone/FRANK FRANKLIN II)

Am US Open endet die Karriere der ehemaligen Weltnummer 7 Mardy Fish. Der Amerikaner leidet an Angstzuständen, die ihn einst dazu brachten, einen Höhepunkt gegen Roger Federer abzusagen. Über die Jahre hat er seine Attacken in den Griff bekommen.

Wie könnte er diesen schwersten Tag seines Tennislebens jemals vergessen? Diesen Tag, der eigentlich sein schönster werden sollte. Diesen Tag, an dem der Weltklasseprofi Mardy Fish im Achtelfinal der US Open 2012 gegen Roger Federer antreten darf – ein grosses Spektakel in der grössten Tennisarena der Welt, im Arthur-Ashe-Stadion. «Du arbeitest dein Leben lang für solche Momente – und dann passiert so etwas», sagt Fish.

So etwas: Damit meint der Amerikaner seine Panikattacken. Pure Angst, die ihn seinerzeit auf dem Weg zum Stadion jäh in der Shuttle-Limousine überfällt. Herzrasen, fast bis zum Zusammenbruch. Und nur eins hilft ihm noch, als er mit seiner Frau von den Wolkenkratzerschluchten Manhattans hinüber zum National Tennis Center fährt – die Absicht, das Spiel seines Lebens nicht zu spielen.

«Und dann habe ich die Partie abgesagt»

«Ich wäre beinahe verrückt geworden in dem Auto. Dann sagte meine Frau: ‹Du musst nicht spielen, du musst auf gar keinen Fall spielen.› Und dann habe ich die Partie abgesagt», sagt Fish.

Federer ist eine Runde weiter – und Fish ist in der grössten Krise, geplagt nicht nur von einer Angststörung, sondern auch von schweren depressiven Verstimmungen. Lange habe er sich damals selbst belogen, den eigenen Zustand verharmlost, sagt Fish, «doch an diesem Tag wusste ich: Es muss etwas passieren.»

In der Welt der Starken und Fitten, diesem professionellen Zirkusbetrieb der hochgerüsteten Tennisakteure, verschweigt Fish den wahren Charakter seiner Erkrankung lange auch nach aussen.

Fish kann nicht fliegen, «es war schlicht unmöglich»

Erst jetzt, bei seiner vielbeachteten Rückkehr zu den US Open 2015, zu seinem Abschiedsturnier als Tennisspieler, kann der 33-jährige Amerikaner mit einer gewissen Leichtigkeit über seine Schwäche sprechen, über ein «Tabuthema», wie er findet: «Denn fast 20 Prozent aller Amerikaner leiden unter solchen Problemen. Es ist weit verbreitet. Aber es ist keine Schande, Schwäche zu zeigen.»

Wie das Drama des aufgekündigten Federer-Rendezvous‘ vor drei Jahren endete, ist inzwischen auch bekannt. Dramatisch ist dabei kein zu grosses Wort, denn als Davis-Cup-Spieler Fish und seine Frau im Flieger nach Minnesota sitzen, überfallen ihn wieder Angstattacken.

Der Linienjet muss in New York von der Startbahn zurück ans Gate, Fish kann nicht fliegen, «es war schlichtweg unmöglich», sagt er, «ich weiss nicht, was noch passiert wäre.» Erst ein paar Tage später kehren die Eheleute Fish mit einem Privatjet heim, 20’000 Dollar kostet der Charter.

«Oh Gott, du wirst zunehmen» oder: «Oh Gott, du wirst abmagern»

Damit beginnt sein Kampf aber erst. Als er wieder zuhause ist, traut sich die frühere Weltnummer 7 wochenlang fast nicht mehr aus dem Haus. Es gibt nur eine Ausnahme: Besuche beim Psychiater. Und kleine Strandspaziergänge mit seiner Frau.

Fish sagt, er habe Angst vor «praktisch allem» gehabt: «Ass ich drei Toasts, dachte ich: Oh Gott, du wirst zunehmen. Ass ich wenig, dachte ich: Du wirst abmagern.» Fish nimmt Medikamente, geht zur Therapie – und langsam, ganz langsam wagt er sich wieder in Situationen, die ihm auf der Höhe der Erkrankung undenkbar schienen: Allein ins Kino zu gehen, allein zu schwimmen.

«Verrückt: Dabei war ich immer der Typ, der Unabhängigkeit über alles liebte, das freie Herumreisen, dieses Durch-die-Welt-Gondeln als Spieler», sagt er. 2013 versucht er sich an einem ersten Comeback, aber es bleibt beim Versuch.

Ein dramatischer Fünfsätzer zum Karrierenende

Erst 2015 schafft er es zurück auf die Tenniscourts, zu einer Abschiedstour in Amerika – mit dem Höhepunkt des Auftritts bei den US Open. «Leicht ist es nicht. Es ist immer noch ein täglicher, alltäglicher Kampf», sagt Fish.

Als er in New York angekommen war, sagte er, seine Form könne allenfalls für einen Match reichen, «dann wird Schluss sein.» Doch dann besiegte er in Runde eins den Italiener Marco Cecchinato in vier Sätzen. Erst am Mittwoch senkte sich der Vorhang für ihn, in einem dramatisch verlorenen Fünf-Satz-Duell gegen den Spanier Feliciano Lopez, bei dem er im vierten Akt sogar zum Matchgewinn aufschlug. Und sich dann in der Endphase, von Krämpfen geschüttelt, kaum noch auf den Beinen halten konnte.

Der letzte Ballwechsel in Fishs Karriere (ab 11:32):

Alles ist vorbei für Fish, aber zu seinen eigenen Bedingungen – und nicht von seiner Krankheit diktiert. «Ich werde diesen Tag für immer in Erinnerung behalten», sagt Fish mit belegter Stimme, den Tränen nahe, «es war ein schönes Erlebnis.»

Fish kam schon als Sieger nach New York, und er verlässt es nicht als Geschlagener. «Du warst grossartig», rief Fishs alter Spezi Andy Roddick per Twitter nach New York, «ich könnte nicht stolzer auf Dich sein.» Gefolgt von der Einladung: «Zeit für einen Margarita.»

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