In einem Reizklima kommt Maria Scharapowa nach einer 15-monatigen Dopingsperre in Stuttgart zurück auf die Tennisbühne.
Der Mann, der das «Comeback des Jahres» schon geschafft hat, geniesst im Moment im sonnigen Dubai die Entspannung. Roger Federer, Sensationssieger der Tennis-Festspiele von Melbourne, Indian Wells und Miami, nimmt sich eine lange Auszeit, ehe er frühestens Ende Mai bei den French Open wieder einsteigen will. Vielleicht wird Federer aus der Ferne beobachten, wie an diesem Mittwoch eine weitere prominente Rückkehr in den Tennis-Wanderzirkus verläuft.
Anders als bei Federer wird es aber keine grenzenlose Jubel-, Trubel-, Heiterkeitstour geben, wenn Maria Scharapowa in Stuttgart einmarschiert, zu ihrem ersten Match nach einer 15-monatigen Dopingsperre.
Nichts rund um diesen Auftritt ist Harmonie und Eintracht, ganz im Gegenteil: Schon die Tatsache, dass die ehedem bestverdienende Sportlerin des Planeten überhaupt bei diesem Turnier antreten und ihren Wiedereinstieg versuchen darf, ist heftig umstritten. Aber klar ist: Die Sportwelt schaut nach Stuttgart. Auf Scharapowa, auf dieses Comeback, aber auch darauf, wie sich Fans und Gegnerinnen der 30-jährigen Russin verhalten.
Wie wird die Atmosphäre in der ausverkauften Halle sein? Gibt es Buh-Rufe? Melden sich noch einmal Rivalinnen zu Wort? Auch mit jener Kritik, dass Scharapowa keine Wild Card hätte zugesprochen werden dürfen, also jenen vom Turnierveranstalter verteilten Joker – unabhängig von Weltranglistenpunkten.
Markus Günthardt musste nicht lange überlegen
«Maria Scharapowa ist nicht als Betrügerin verurteilt worden», sagt dazu Turnierchef Markus Günthardt. Der 59-Jährige, wie sein prominenter Bruder Heinz Günthardt selbst einmal Profi, verteidigt die Russin: «Sie hat einen grossen, einen schweren Fehler gemacht. Aber sie hat dafür die volle öffentliche Verantwortung übernommen und gebüsst.» Deshalb, sagt Günthardt, habe er nicht lange überlegen müssen, «um Maria die Wild Card mit sehr gutem Gewissen» zuzuteilen.
Es ist allerdings eine leicht paradoxe Situation bei diesem Jubiläumsturnier in Stuttgart. Es gäbe ja viel zu erzählen über 40 Jahre «Porsche Grand Prix». Über einen Wettbewerb, der ein akkurat und liebevoll gepflegtes Kleinod vor den Toren der schwäbischen Metropole war, im beschaulichen Filderstadt und unter der Regie des Selfmade-Mannes Dieter Fischer.
Es gäbe auch genug Gesprächsstoff, wie es Günthardt und seiner Crew gelang, nach dem Umzug in die Porsche Arena die Traditionen zu wahren, ohne die Moderne und die Modernisierung im vierten Jahrzehnt aus den Augen zu verlieren. Man könnte auch darüber debattieren, wie es ein wenig stottert und holpert im deutschen Frauentennis, dass einige Protagonistinnen vom Erfolgsweg abgekommen und in der Weltrangliste abgerutscht sind. Wobei das Klagen auf hohem Niveau wäre, schliesslich steht Angelique Kerber, die Titelverteidigerin in Stuttgart, noch immer auf Platz 2.
«Ich muss nicht von allen geliebt werden»
Aber Stuttgart steht erst mal ganz unter dem Eindruck dieses Comebacks von Maria Scharapowa in den Tenniszirkus. «Die Frau, die das Tennis spaltet», war kürzlich zu lesen, am Rande des Turniers von Indian Wells. Dort war in zugespitzter Form und in zugespitzem Ausdruck zu erleben, was schon seit Jahresbeginn zu beobachten ist: Rivalinnen von Scharapowa werden zum Comeback befragt, und man kann sagen, dass all jene, die vorher schon nicht die grössten Freundinnen der Russin waren, auch nicht gerade grössere Freundinnen geworden sind.
Dazu muss man allerdings auch wissen, ganz unabhängig von den Turbulenzen um den «Fall Scharapowa», dass sich die 30-Jährige nie um Nähe zu ihren Mitstreiterinnen bemüht hat, schon gar nicht um Freundschaften. Scharapowa verstand und versteht Tennis als Beruf: Sie geht zu einem Spiel wie zur Arbeit, danach schliesst sie die Tür ab und geht wieder nach Hause. Das stundenlange Herumvagabundieren in Spielerlounges, auch die weitverbreitete Kuschel-Atmosphäre auf der Tour, all das ist ihre Sache nicht.
Dass man sie deshalb nicht selten als «eiskalte Diva» bezeichnet, prallt an Scharapowa ab. Es kümmert sie einfach nicht. Im «Stern» sagte die Russin gerade dazu noch einmal dies: «Ich muss nicht von allen geliebt werden.» Der Empfang der Konkurrenz sei ihr egal, daran habe sie «keinen einzigen Gedanken vergeudet». Die Zeit ihrer Sperre hat die von einem geschäftstüchtigen Umfeld umgebene Frau nicht ungenutzt gelassen. Unlängst hat sie ihre eigene Süssigkeiten-Kollektion «Sugarpova» lanciert.
«Jemand, der gedopt hat, dürfte keine Wild Card mehr bekommen»
Scharapowas Rückkehr sorgt nicht nur für ein gewisses Reizklima im Feld der Starterinnen und wahrscheinlich auch noch für ein paar starke Worte während der Spieltage. Sie mobilisiert vor allem ein mediales Interesse, wie es Stuttgart noch nicht erlebt hat. Mehr als 200 Journalisten haben sich angemeldet, und obwohl deutlich mehr Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden, konnten nicht alle Akkreditierungsanfragen erfüllt werden.
Besonders am Mittwoch, an dem Scharapowa nach ihrem Karriere-Bruch eine zweite Stunde Null in ihrem Tennisleben erleben wird. Sie spielt gegen die Italienerin Roberta Vinci, die US-Open-Finalistin des Jahres 2015, aber nicht gegen eine deutsche Starterin. Das wäre ein pikanter Dreh gewesen, denn die deutsche FedCup-Chefin Barbara Rittner hat sich klar gegen die Wild-Card-Vergabe positioniert: «Jemand, der gedopt hat, dürfte keine Wild Card mehr bekommen. Meiner Meinung nach hätte sie bei null, bei den ganz kleinen Turnieren wieder anfangen müssen.»
Die Gemengelage ist auch deshalb kompliziert, weil das deutsche FedCup-Team vor dem Turnierstart sein Relegationsmatch gegen die Ukraine in Stuttgart bestritt – das heisst: Wer im Team spielte, keinen Platz im Hauptfeld des Grand Prix hatte und auch keine Wild Card für das Turnier erhielt, der konnte auch nicht in der Qualifikation antreten. Julia Görges, mit zwei Siegen die sportliche Retterin der DTB-Auswahl vor dem Abstieg aus der Weltgruppe, ging letztlich leer aus. Jene Julia Görges übrigens, die 2011 mit ihrem Stuttgarter Turniersieg so etwas wie die Initialzündung für das deutsche Fräuleinwunder lieferte.
Von Scharapowa wird ein sportliches Statement erwartet
Und was ist nun sportlich von der Comebackerin Scharapowa zu erwarten – nach all den bisherigen Diskussionen und Debatten im Kreis der Kolleginnen, neben der Aufregung um die Wild Card? «Ich bin sicher, dass sie hervorragend vorbereitet ist», sagt Günthardt, der Turniermacher, «sie will sportlich sicher ein Statement geben.»
Seit vier Monaten ist Scharapowa inzwischen wieder im verschärften Trainingsbetrieb, doch das kann den Ernstfall auf dem Centre Court nicht ersetzen, das weiss sie selbst am besten: «Es ist etwas ganz anderes, wenn dir plötzlich wieder eine richtige Gegnerin auf dem Platz gegenübersteht», sagt die Russin, die bis Dienstagabend abseits der Porsche Arena in Stuttgart im Verborgenen trainieren musste, «es wird sicher eine harte Prüfung.»
_
Maria Scharapowas Erstrundenspiel gegen Roberta Vinci (Italien) wird am 26. April von 18.30 Uhr bei Sport1 live im Fernsehen gezeigt.