Mattscheibe aus Tallinn

Wo Ruderer populärer sind als Fussballer und sich das Fernsehen allem Anschein nach nicht sonderlich für die Qualifikation zur Champions League interessiert: Der FC Basel in Tallinn.

Kühle, windige Begrüssung: Valentin Stocker, Radoslav Kova und Joo Ho Park bei der Ankunft in Tallinn am Montag um die Mittagszeit. (Bild: Hans-Jürgen Siegert)

Wo Ruderer populärer sind als Fussballer und sich das Fernsehen allem Anschein nach nicht sonderlich für die Qualifikation zur Champions League interessiert: Der FC Basel in Tallinn.

Fernsehbilder wird es aus Tallinn vom Spiel des Schweizer Meisters FC Basel beim estnischen Titelträger FC Flora nicht geben. Das estnische Fernsehen bietet jedenfalls keine Übertragung aus der «A. Le Coq Arena» an, aus der das Schweizer Fernsehen zumindest die wichtigsten Sequenzen für eine Zusammenfassung in der täglichen Sendung «Sport aktuell» ziehen könnte.

Auch die Option, mittels einer sogenannten ENG-Kamera wenigstens Bilder aus einer Perspektive zu generieren und nach Zürich zu übermitteln, hat sich nach Auskunft der Sportredaktion des SRF am Montagnachmittag zerschlagen.

Gesichert ist dagegen eine Live-Übertragung am Dienstag kommender Woche vom Rückspiel aus dem St.-Jakob-Park. Zunächst wollte das Schweizer Fernsehen das Ergebnis des Hinspiels abwarten, vor zehn Tagen erhielt der FC Basel jedoch die Zusage aus Zürich. Damit verbunden ist für den Club, dass er zum Beispiel die Bandenwerbung für die Partie (Anpfiff 20.00 Uhr) vermarkten kann.

Das ist nicht ganz unwesentlich, denn FCB-Präsident Bernhard Heusler rechnet einen Verlust von 300’000 Franken aus der ersten Qualifikationsrunde hoch. Denn als Kompensation für das vergangene Saison ausgefallene Heimspiel nach dem Xamax-Konkurs gewährt der Club seinen Jahreskartenbesitzern für das Heimspiel gegen Tallinn freien Eintritt. Rund 9000 Stammkunden haben von dem Angebot bereits Gebrauch gemacht (Fristende am Freitag, 20. Juli, Näheres dazu auf fcb.ch).

Witterungsverhältnisse bleiben Schweizerisch

Spanien siegt in Tallinn

Erst am Sonntag, zwei Tage vor dem Gastspiel des Schweizer Meisters in der estnischen Hauptstadt, ging in Tallinn die U19-Europameisterschaft zu Ende. Mit einem 1:0-Finalsieg von – wem sonst? – Spanien über Griechenland in jenem Stadion, in dem der FCB am Dienstag gegen den FC Flora antritt. Die Esten verloren ihre drei Vorrundenspiele.

Im Baltikum wurde der FCB am Montag gegen Mittag bei frischen Temperaturen um die 16 Grad sowie Wind und Regen von der Ostsee empfangen. Insofern fiel die Umstellung von der Wochenend-Witterung in der Schweiz nicht schwer. Für den Spieltag sind für die estnische Hauptstadt die Prognosen nicht gross anders. Ein, zwei Grad mehr sind vorhergesagt, und immerhin soll es zur Anspielzeit abends um 18.45 Uhr (17.45 Uhr Schweizer Zeit) trocken sein.

Die estnischen Gastgeber – so die äusserst freundliche Auskunft bei einem Anruf auf der Geschäftsstelle des Vereins –  hoffen auf eine für ihre Verhältnisse beachtlichen Kulisse. Schulen und Vereinen wurden eingeladen und ihnen freier Eintritt gewährt, so dass mit 2000 bis 3000 Zuschauern in der «A. Le Coq Arena» gerechnet wird. Das Stadion, im Volksmund Lilleküla genannt, wurde 2001 eröffnet, bietet knapp 10’000 Plätze und ist auch Spielstätte der Nationalmannschaft.

Ruderer angesehener als Fussballer

Bei einem Zuschauerschnitt von rund 200 in der nationalen Meisterschaft erkennt man, welch schweren Stand der Fussball – Jalgpalli, wie er estnisch heisst – im Land hat. Sportler des Jahres werden seit 1955 Leichtathleten, Schwimmer, Ruderer, Readrennfahrer, Gewichtheber und Skilangläufer oder Rallyepiloten und Fechter.

Mit der grossen Ausnahme des vergangenen Jahres: Mannschaft des Jahres wurde das Nationalteam der Fussballer. Es war die Anerkennung für eine verblüffende EM-Qualifikation, die Estland als Gruppenzweiter hinter Italien abschloss und was sich mit Platz 56 im Fifa-Ranking niederschlug (hinter Polen und Armenien sowie vor Nigeria und Costa Rica). In der Barrage zogen die Esten gegen Irland zwar klar den Kürzeren, Nationaltrainer Tarmo Rüütli, der bis 2010 beim FC Flora war, darf sich jedoch Trainer des Jahres 2011 nennen.

Floras Trainer Martin Reim geht mit einem Ziel ins Heimspiel gegen den FCB: «Unser Gegner ist sehr stark, aber wir wollen ein Ergebnis holen, das uns für das Rückspiel in der Schweiz noch eine Chance lässt.» Nicht weniger als 157 Länderspiele hat Reim für Estland bestritten, und er sagte gegenüber uefa.com: «Ich habe in der Vergangenheit gegen sehr gute Klubs und Nationalteams gespielt, aber als Trainer hatte ich es noch nie mit einem solch starken Gegner zu tun.»

Diaz und Sauro vor Debüt

Es sei nicht einfach, die Spielweise von Flora Tallinn zu durchschauen, hat Heiko Vogel am Montagabend in Tallinn eingeräumt. Seit der Auslosung hat Flors drei Spiele bestritten, beim 5:0-Heimsieg gegen FC Viljandi war Gerry Perosa, der im Tessin ansässige Scout des FCB, vor Ort, doch die Erkenntnis ist vor allem die, das es wenig Erkenntnisse gab: «Sie haben in den letzten Partien immer wieder System und Aufstellung geändert», so Vogel.

Immerhin: Von den letzten zehn Meisterschaftsspielen gewannen die Grünweissen neun (sechsmal zu null) und unterlagen sie einmal daheim Levadia, dem grössten Hauptstadt-Rivalen (0:1). In der im Kalenderjahr gespielten Saison der Meistriliiga belegt Titelverteidiger FC Flora nach 18 Spieltagen auf Platz zwei, vier Punkte hinter Spitzenreiter JK Nõmme Kalju. Zuletzt reihte Flora fünf Siege mit 28:0 Toren aneinander, darunter allerdings ein 12:0 und ein 6:0 in den ersten beiden Runden des Pokalwettbewerbs.

Der FCB-Trainer strich noch einmal die klare Favoritenstellung seiner Mannschaft heraus, nennt Niveau-Vergleiche zwischen der estnischen und der Schweizer Liga «sinnlos». «Wir müssen einfach ein gutes Resultat erzielen und den Grundstein für das Rückspiel legen», wird Vogel auf der Homepage des FCB aus der Medienkonferenz am Montag in der «A. Le Coq Arena» zitiert.

Was der FC Flora kann, kann der FCB schon lange: Vogel kündigt Veränderungen in der Startelf im Vergleich zum Liga-Auftakt am Freitag in Genf an. Es gibt jede Menge Optionen: Bei den Aussenverteidigern (Philipp Degen für Steinhöfer oder für Park), bei den Innenverteidigern (Sauro für Kovac) oder im zentralen Mittelfeld (Diaz für Cabral oder Yapi). Klar scheint, dass die beiden südamerikanischen Verpflichtungen Marcelo Diaz und Gaston Sauro in Tallinn ihr Pflichtspieldebüt im FCB-Dress geben werden – zu welchem Zeitpunkt der Partie auch immer. (cok)

Champions League, Qualifikation, 2. Runde
FC Flora Talllin–FC Basel, Dienstag, 17. Juli 2012, 17:45 Uhr
A. Le Coq Arena, Tallinn. – SR Mauro Bergonzi (Italien).

 

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