Die Fans von Magnus Carlsen kommen endlich auf ihre Rechnung: Die norwegische Nummer 1 verteidigt ihren Titel gegen den russischen Herausforderer Sergej Karjakin – mit einem Matt von historischer Schönheit.
Mit einem brillanten Damenopfer hat Magnus Carlsen die Schach-WM beendet. Ob der schwarze König oder ein Bauer die stärkste weisse Figur verspeiste, war egal: Das wundervolle Matt durch einen feindlichen Turm ersparte sich Sergej Karjakin, gab auf und gratulierte dem Weltmeister zur Titelverteidigung. Carlsen machte sich an seinem 26. Geburtstag selbst das grösste Geschenk und liess sich nach dem 3:1-Sieg im Tiebreak grinsend noch ein paar Stunden in New York mit dem WM-Pokal in Händen feiern.
«Ich bin superglücklich. Ich bin erleichtert über den Verlauf der heutigen Schnellschach-Partien und wie ich mit dem Druck umgegangen bin», gestand der nun dreifache Weltmeister.
Seinem unerwartet starken Widersacher, den er in den regulären Partien nur einmal schlagen konnte, zollte Carlsen Respekt: «Sergej lieferte mir einen tollen Kampf. Ich lernte während dieser WM, dass man geduldig sein muss, weil es im Schach einfach schwierig ist, einen starken Gegner zu bezwingen.»
Kontrahenten vergnüglich vereint: Magnus Carlsen (links) und Sergej Karjakin nach beendeter Arbeit am Schachbrett. (Bild: Keystone/JUSTIN LANE)
Carlens Fans sehen endlich die Überlegenheit, die sie sich erhofften
Der Filmstar, über den zu WM-Beginn die Film-Dokumentation «Magnus» angelaufen war, zeigte endlich auf dem Brett grosses Kino: In den vier Schnellschach-Partien bewies Carlsen die Klasse und die Überlegenheit, die seine Fans bis zur Verlängerung schmerzlich vermisst hatten.
In dem dramatischen Zweikampf hatte der Herausforderer aus Russland bis zum 6:6 mehr überzeugt. Carlsen bescheinigte Karjakin daher, «ein sehr harter Gegner» gewesen zu sein, der sich vor allem ausgezeichnet «verteidigte».
Resultat der Weltmeisterschaft 2016 zwischen Magnus Carlsen und Sergej Karjakin: links die zwölf Partien über die Langdistanz, rechts die vier Schnellschachpartien. Bei Gleichstand wäre es zu maximal zehn Blitzpartien und allenfalls einer Armageddon-Partie gekommen. (Bild: Screenshot worldchess.com)
Erst in den Duellen mit nur noch 25 Minuten Bedenkzeit (plus zehn Sekunden Bonus pro ausgeführten Zug) trumpfte Carlsen im bekannten Stil souverän auf und hätte sogar noch höher gewinnen können. Lediglich die Auftakt-Partie am Mittwochabend Schweizer Zeit vermochte Karjakin bis zum Remis im 37. Zug ausgeglichen zu gestalten.
Karjakin verhaspelt sich wiederholt in schwierigen Stellungen
Fortan setzte der Weltranglistenerste den gebürtigen Ukrainer von der Krim unter Druck. Unerbittlich tickte die Uhr dauernd in schwieriger Lage nach unten. Im zweiten Duell rettete Karjakin noch mit gütiger Mithilfe des Geburtstagskindes ein Remis, obwohl er mit einem Turm gegen zwei Läufer phasenweise kurz vor dem Matt stand.
Carlsen war sichtbar angeschlagen.
Enttäuscht liess sich der Norweger zurück in den Sessel fallen und schloss die Augen. Bei einer Tiebreak-Niederlage hätte sich diese Gewinnstellung bis an sein Lebensende in sein Gedächtnis gebrannt. Doch das wusste der Superstar der Szene zu verhindern und bewies, dass er Nerven wie Drahtseile hat.
Schwarz-weiss wie das Brett, das ihm die Welt bedeutet: Magnus Carlsens Socken während der WM-Partien. (Bild: Reuters/MARK KAUZLARICH)
Mit Schwarz sprang er – unbeeindruckt durch die vorherige Matt-Panne – den Gegner an. Durch ein feines positionelles Bauernopfer ging der Champion in den Angriff über und vollstreckte, als sich sein Rivale mit erneut wenigen Sekunden Bedenkzeit in schwieriger Stellung verhaspelte.
Wie die 1,1 Millionen Dollar Preisgeld verteilt werden
Nach dem 1:2 versuchte Karjakin verzweifelt, jegliche Zugwiederholungen samt Remisschluss, die Carlsen gerne anbot, zu umschiffen. Mit einer Reihe von Opfern hielt der Russe die vage Hoffnung am Leben, irgendwie den Ausgleich zu schaffen. Der Führende liess indes nichts mehr anbrennen und setzte selbst zum Mattangriff und ersten Weiss-Sieg im 16. WM-Duell an.
Den geistreichen Schlussakkord erhob der beliebte US-Kommentator und Grossmeister Maurice Ashley sogleich zur «Geburtstagskombination» – in Anlehnung an andere berühmte Partien, die Namen tragen wie die «Unsterbliche» oder «Immergrüne».
Der alte und neue Weltmeister erhält von den 1,1 Millionen Dollar Preisgeld 623’000 Euro – sofern ihm die Veranstalter nicht noch zehn Prozent abziehen, weil er nach seiner einzigen Niederlage in der achten Partie die Pressekonferenz entnervt vorzeitig verlassen hatte. Der wackere Karjakin darf sich mit seiner Rekordbörse von rund 415’000 Euro trösten.
Klopft bald schon das nächste Wunderkind an die Tür?
Ob der mit zwölf Jahren und sieben Monaten jüngste Grossmeister aller Zeiten noch einmal eine Chance als Herausforderer erhält? «Ich versuche, das nächste WM-Kandidatenturnier wieder zu gewinnen», strebt der Russe die Revanche an. Dank des 6:6 kletterte Karjakin in der Weltrangliste immerhin um drei Plätze auf Rang sechs.
Eine Medaille gibts dann doch noch für den 26-jährigen Russen: Sergej Karjakin klettert in der Weltrangliste nach oben. (Bild: Keystone/MARY ALTAFFER)
Zu den heissesten Anwärtern als nächster Herausforderer zählen neben seinem Landsmann und Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik die drei starken Amerikaner Fabiano Caruana, Wesley So und Hikaru Nakamura. Weil Carlsen 13 Elo-Punkte einbüsste, verkürzte Caruana den Abstand als Weltranglistenzweiter auf nur 17 Zähler und könnte den Norweger mit einem sehr guten Turnier an der Spitze ablösen.
Oder klopft das nächste Wunderkind ans WM-Tor an? Der Chinese Wei Yi wurde wie Carlsen mit 13 Jahren Grossmeister und ist jetzt mit 17 stärker, als Carlsen es in diesem Alter war. In zwei Jahren könnte der Weltranglisten-38. Wei Yi auch das Niveau des Weltmeisters erreichen.
Norwegen freut sich mit seinem Schach-Weltmeister – in zwölf Partien über die Langdistanz und vier im Schnellschach mussten sie zuweilen mit dem 26-Jährigen mitleiden. (Bild: Keystone/MARY ALTAFFER)