Mohamed Salah – der König von Anfield trachtet nach der Krone

Seine Torausbeute ist schon phänomenal, seine Popularität wächst mehr und mehr und nun ist er auch noch als «Spieler des Jahres» in der Premier League ausgezeichnet worden: Mohamed Salah, dessen Stern beim FC Basel aufging, will nun mit dem Liverpool FC die Champions League gewinnen.  

Sein stolzes Lächeln spannte sich über das ganze Gesicht, von einer Seite der «verrückten Locken», wie sein Trainer Jürgen Klopp sagt, zur anderen. Am liebsten hätte Mohamed Salah am Sonntagabend den silbernen Pokal für die Wahl zum «Spieler des Jahres» in der Premier League aber augenblicklich für eine ganz andere Trophäe eingetauscht. 

«Mein persönliches Ziel ist es, mit der Mannschaft Titel zu holen», sagte der 25-Jährige auf der Bühne des Grosvenor House Hotels im Londoner Luxus-Viertel Mayfair, «ich denke immer an das Team, nicht an mich. Wir stehen im Halbfinale der Champions League, wir sind nahe dran. Hoffentlich können wir gewinnen.»

Soviel Uneigennützigkeit ist im Berufsstand der Torjäger eher ungewöhnlich, aber Salah kann seine fussballerische Herkunft auch nach unglaublichen 41 Saisontreffern im Dress des Liverpool FC eben nur schlecht verbergen. Der Ägypter rast den rechten Flügel mit selbstloser Hingabe rauf und runter. Wie es sich für einen Spieler in Klopps System gehört, sind bei ihm Enthusiasmus und Tempo in beide Spielrichtungen gleich hoch; das mit dem Toreschiessen hat sich im Laufe seiner ersten Saison an der Mersey zur grossen Überraschung aller Beteiligten eher so ergeben.

«Wir haben erst nach einer Weile verstanden, wie gut er vor dem Tor ist», hat Klopp erzählt. Der deutsche Trainer der «Reds» hätte im Sommer dem Vernehmen nach eigentlich lieber Landsmann Julian Brandt von Bayer 04 Leverkusen verpflichtet, darf sich aber glücklich schätzen, dass ihm die Scouting-Abteilung des Premier-League-Klubs wegen Salah «andauernd in den Ohren lag».

Im Zusammenspiel mit den kongenialen Kollegen fand Salah nicht nur mehr Räume, sondern eine ganz neue Zeit.

Für jene rund 40 Millionen Euro Ablöse, die Liverpool vor Saisonbeginn an die AS Roma überwies, würden heute Interessenten wie Real Madrid bestenfalls den grossen Zeh des Mannes erwerben. Auf 164 Millionen Euro taxiert das «Cies Football Observatory» in Neuchâtel inzwischen den Marktwert des Spielers mit seinen 24,2 Millionen Followern und Freunden bei Facebook, Twitter und Instagram.

Zu Beginn der laufenden Spielzeit wurde «Momo» Salah auf der Insel noch für unkonzentrierte Abschlüsse im gegnerischen Strafraum gerügt. Er verrannte sich oder wählte die falsche Schussart. Man bekam eine Ahnung davon, warum der damalige Chelsea-Trainer José Mourinho den vom FC Basel verpflichteten Aussenbahn-Wirbler 2015 nach nur sechs Monaten in die Serie A zum AC Florenz abgeschoben hatte. Dabei war Salah dem Londoner Klub rund 19 Millionen Euro Ablöse wert gewesen – was fast einer Verzehnfachung des Investments der Basler entsprochen hatte.

«Man braucht ein Moped, um ihn einzuholen. Aber er macht alles sehr schnell, ohne nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen», sagte sein ehemaliger Roma-Trainer Luciano Spalletti. Doch im detailliert trainierten Zusammenspiel mit den kongenialen, immerzu rochierenden Kollegen Sadio Mané und Roberto Firmino fand Salah nicht nur mehr Räume, sondern eine ganz neue Zeit.


Mohamed Salah entdeckte, wie Ex-Liverpool-Stürmer Michael Owen in der «Mail on Sunday» erklärte, die Langsamkeit: «Bei normalen Menschen schlägt in Stress-Situationen das Herz schneller, sie geraten in Panik. Die besten Spieler unterdrücken diese Reaktion. Salah hat wie alle grossen Torjäger die Kunst perfektioniert, das Spiel in Zeitlupe sehen zu können. Wenn die Chance kommt, wird er ruhiger. Er kann sich so den richtigen Abschluss aussuchen, obwohl um ihn herum das Spiel mit 100 Meilen in der Stunde tobt.»

Auf den Tribünen der Anfield Road wird Salah zur Melodie des 90er-Jahre-Pophits «Sit down» als «Egyptian King» besungen, und nun steht der Halbfinal in der Champions League gegen die Roma an. «Ich liebe den Verein, ich liebe die Stadt, es wird kein leichtes Spiel für mich,» gab Salah vor dem Wiedersehen mit den ehemaligen Mannschaftskollegen in der italienischen Hauptstadt zu verstehen.

Für die Roma aber dürfte die Aufgabe noch schwerer werden. Falls Trainer Eusebio Di Francesco seiner Linie treu bleibt und selbst an der Anfield Road mit einer hoch stehenden Abwehrreihe sein Glück in der Offensive versucht, wird sich den «Fab Three» der Hausherren die Gelegenheit bieten, aus der Tiefe des grünen Raumes auf die gegnerische Abwehrreihe zuzufliegen wie eine Kunstflugstaffel.

Im Nordwesten der Insel ist man überzeugt, dass Mohamed Salah der Schlüssel für den sechsten Europapokal-Sieg sein kann. Der «Liverpool Echo» empfahl ihm vor dem Hinspiel gegen die Roma schon mal prophylaktische Umbauten im heimischen Wohnzimmer. «Er sollte sich einen grösseren Kaminsims zulegen», schrieb das Lokalblatt. Damit er neben der «Player of the Year»-Trophäe noch Platz für einen etwas grösseren Pokal hat.

Champions League, Halbfinals:
Dienstag (20.45 Uhr, live SRF2): Liverpool FC–AS Roma (Rückspiel: 2. Mai)
Mittwoch (20.45 Uhr, live SRF Info): Bayern München–Real Madrid (1. Mai)

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